laut.de-Kritik

Er lächelt. Wann hat man das schon einmal erlebt?

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Welche der Platten unserer Zeit werden unsere Nachfahren in 100 oder 1.000 Jahren noch hören? Von Untergangsszenarien einmal abgesehen, sind die Kandidaten altbekannt: Die Beatles mit einer ihrer späten Platten, "Pet Sounds" von den Beach Boys, vielleicht "Appetite For Destruction" von Guns N' Roses oder "OK Computer" von Radiohead. Eventuell sogar "True Blue" von Madonna.

In die engere Auswahl gehört auf jeden Fall Van Morrisons "Astral Weeks"; jenes verspielte, introvertierte Frühwerk, das auch 40 Jahre nach seiner Veröffentlichung 1969 dem Zuhörer Ehrfurcht abverlangt. Musikalisch zwischen Jazz, Folk und Rock angesiedelt, setzt sich der Nordire in den Texten mit dem Sinn des Lebens auseinander, wie sein Landsmann James Joyce in einem Stream of Consciousness. Dass er damals am Ende seiner noch jungen Karriere und mit dem Rücken an der Wand stand, gab dem Werk eine Glaubwürdigkeit, die bis heute Bestand hat.

Solch eine Legende vier Jahrzehnte später live aufzuführen, ist ein waghalsiger Akt. Zumal Morrison kaum Geld- oder Popularitätssorgen plagen dürften. In Vergessenheit geraten ist er nicht, seine Auftritte bleiben erfolgreich. Für die Wiederbelebung spricht also nur der künstlerische Aspekt.

Verschiedene Begleitumstände untermalen das Ereignis. Erstens: Originalgitarrist Jay Berliner ist mit von der Partie. Zweitens: Morrison hat die Tracklist ergänzt und die Reihenfolge der Stücke geändert, um dem Werk Aktualität zu verleihen und die einzelnen Songs hervorzuheben. Drittens: Der Nordire kümmerte sich selbst um Produktion und Unterbringung des Albums, denn es ist sein erstes auf dem neu gegründeten Label Listen To The Lion Records. Was ihm, viertens, die Möglichkeit gab, den Sound so wiederzugeben wie es ihm gefällt, ohne Overdubs oder nachträgliche Spielereien. Ein reines Live-Erlebnis also.

Die zwei Auftritte im Hollywood Bowl am 7. und 8. November 2008 waren zweigeteilt: Erst kamen so etwas wie die Greatest Hits, dann die überarbeitete Version von "Astral Weeks". Bevor es richtig losging, gaben Morrison und Co. unter anderem "Gloria" mit John Densmore am Schlagzeug zum Besten. Wie 1966, als seine damalige Band Them im Los Angeles spielte und die Doors im Vorprogramm auftreten ließ. Diese Version ist aber nur auf der Vinyl-Ausgabe zu hören.

So richtig warmgesungen scheint Morrison dennoch nicht zu sein, als er "Astral Weeks/Believe I've Transcended" anstimmt. Um so verspielter klingt seine Band, in der Richie Buckley an der Flöte eine Hauptrolle zukommt. Vielleicht ist es auch die Aufregung? So grantig, wie sich Morrison normalerweise gibt, sind ihm solche Emotionen nicht wirklich zuzutrauen, doch das Cover zeigt, dass er auch anders kann: Er lächelt. Wann hat man das schon einmal erlebt?

Die entspannte Stimmung, die auf der Bühne offenbar herrschte, ist auch auf dem Album zu hören. Die Teilnehmer nehmen sich die Freiheit, zu improvisieren. Eine Geige und zwei Celli sorgen für irische Atmosphären, zudem versuchen die Teilnehmer nicht, sich gegenseitig an die Wand zu spielen, sondern sich zu ergänzen.

Mitten drin Morrison, der singt, führt und sich an der Pracht seines Werkes erfreut. Ab "Sweet Thing" kommt so richtig Stimmung auf. Auch wenn Bläser "The Way Young Lovers Do" zusätzlich aufpusten, bleibt das Klanggewand ruhig, aber intensiv. "Cyprus Avenue/You Came Walking Down" und "Ballerina" laden zu einer stimmungsvollen Verschnaufpause ein, bevor "Madame George" den abschließenden Höhepunkt des Konzerts setzt.

Welcher Grund Morrison auch immer zur Rückkehr in die Vergangenheit bewog, sich und das anwesende Publikum hat er offenbar glücklich gemacht. Eine bahnbrechende Live-Aufnahme ist es selbstverständlich nicht, eher ein Treffen mit alten Bekannten, mit denen man gemütlich plaudert. Welche Alben dem Zahn der Zeit trotzen werden, ist eine herausfordernde wie müßige Frage. Die Live-Version von "Astral Weeks" wird kaum dabei sein.

Trackliste

  1. 1. Astral Weeks/I Believe I've Transcended
  2. 2. Beside You
  3. 3. Slim Slow Slider/I Start Breaking Down
  4. 4. Sweet Thing
  5. 5. The Way Young Lovers Do
  6. 6. Cyprus Avenue/You Came Walking Down
  7. 7. Ballerina/Move On Up
  8. 8. Madame George
  9. 9. Listen To The Lion/The Lion Speaks
  10. 10. Common One

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