laut.de-Kritik

Anspielen gegen den Mythos: Eine Verbeugung vor der Banenenplatte.

Review von

"Einen so spektakulären Aufschlag gab es seit der Kollision der Titanic mit einem Eisberg nicht mehr", schwärmte die L.A. Times 1967 und damit fünf Jahrzehnte nach dem Unglück des Luxusdampfers. Nachzulesen in der Innenhülle des legendenumrankten Velvet Underground-Debütalbums "The Velvet Underground & Nico". Seither ist fast genau so viel Zeit vergangen, Lou Reed ist mittlerweile tot, aber man darf davon ausgehen, dass auch der pophistorische Aufschlag dieses Albums, das einst die Meilenstein-Rubrik auf laut.de einläutete, viele weitere Epochen überdauern wird.

Mit dem spektakulären Aufschlag war damals übrigens die Konfrontation gemeint, die Andy Warhol's Exploding Plastic Inevitable unter Mitwirkung der Velvet'schen Feedbackschleifen auf das verwöhnte Strip-Publikum ausübte. Eines dieser Happenings für die Zeitmaschine, denn nur den wenigsten war es wohl vergönnt, in dieser Zeit überhaupt schon atmen zu dürfen, geschweige denn im konzertfähigen Alter zufällig in L.A. rumzuhängen. Michael Stipe war damals sieben, immerhin, Iggy Pop sogar schon 20, allerdings beide fernab von Kalifornien und auch von der Bandheimat New York. Dafür umrahmen beide Musiker nun das ehrenvolle Coverprojekt "I'll Be Your Mirror".

Der R.E.M.-Sänger eröffnet mit priesterlicher Ruhe, Pop reanimiert im Verbund mit Matt Sweeney im kontrastreichen Finale noch mal all seine animalischen Instinkte, die einst die Platten der Stooges - ebenfalls Velvet Underground-Fans - so aufregend machten. Wenn es die Aufgabe eines Tribute-Albums ist, eine Band anhand der Zusammenstellung nachweislich talentierter und im Vorhinein nicht völlig erwartbarer Künstler*innen zu ehren, macht "I'll Be Your Mirror" sehr viel richtig. Trotz unüberhörbarem Respekt schlagen sich die meisten Anwesenden wacker.

Denn was auch klar ist: Egal welches Lied man hier neu interpretiert, man spielt gegen einen Mythos an. Jeder einzelne Song besitzt eine faszinierende Aura und funktioniert für sich genommen, ist aber gleichzeitig Teil eines konsistenten Gesamtkunstwerks. Die scharfe Viola des John Cale, das minimalistische Schlagzeug der Moe Tucker, Sterling Morrisons uramerikanische Surfgitarre und Lou Reeds Loner-Poesie kreieren auf diesem Debüt eine ungeheure Wucht, die auch nach 50 Jahren noch nachhallt. Ein spektakulärer Aufschlag eben.

Michael Stipe sucht sein Heil in der Reduktion, eine einsame Klarinette bildet die Szenerie in "Sunday Morning", bevor Stipes karge Stimme die Weltmelodie originalgetreu nachzeichnet. Später stößt Stipes Schwester Lynda für den Chorgesang hinzu. Die Streicher produzierte noch der 2020 gestorbene Hal Willner, der u.a. auch mit Reed gearbeitet hat. Was genau Matt Berninger dazu bewog, das drängende "I'm Waiting For The Man" ins bekannte The-National-Schlurftempo zu überführen, bleibt sein Geheimnis. Die gesamte Spieldauer über wirkt der Sänger auch seltsam lustlos, er hätte sich diesen Beitrag besser gespart.

Der transzendentalen Kraft von Nicos Stimme kommen Sharon Van Etten und Angel Olsen in einer ätherischen Version von "Femme Fatale" verdammt nahe, während Courtney Barnett später "I'll Be Your Mirror" überzeugend in ihren eigenen verschrobenen Indie-Kosmos hievt. Große Befürchtungen musste man als Rezipient ähnlich wie früher vor einem Interview mit Lou Reed vor der Version des gottgleichen "Venus in Furs" haben, doch Geigenvirtuose Andrew Bird gelingt gemeinsam mit der New Yorker Band Lucius das Kunststück, dem Experimentaltrack einerseits treu zu bleiben und ihm doch anhand klirrender Soli neue Facetten abzuringen.

Ein VU-Tribute ohne die Teilnahme von Kurt Vile wäre fast schon grotesk, geht der Mann aus Pennsylvania doch als stimmlicher Lou Reed-Wiedergänger durch, und genau so stürmt er in "Run Run Run" auch voran: selbstsicher und werktreu. Was St. Vincent und Thomas Bartlett in "All Tomorrow's Parties" anstellen, versteht man auch nach dem zehnten Hören nicht. Das abseitigste Cover der Palette sucht die Distanz zum Original in Pianoentwürfen, im Hintergrund schräg flimmernden Soundscapes, geflüstertem Text und Vocodereinsatz. Ungeachtet des persönlichen Urteils wird hier noch einmal die existenzielle Frage nach dem Sinn einer Coverversion gestellt: Geht es um die Inspiration und den Mut für neue Umsetzungen oder will man vom Original möglichst wenig abrücken, auch auf die Gefahr hin, dass man damit langweilt?

Hier kommen Thurston Moore und Bobby Gillespie ins Spiel, die "Heroin" nichts substanziell Neues abringen, auch wenn der Primal Scream-Sänger nachweislich genug Kenntnis über das Sujet des Songs besitzt. Die irischen Postpunk-Newcomer Fontaines D.C. machen ihre Sache auf "The Black Angel's Death Song" ordentlich, man hätte sich für sie aber einen Song gewünscht, der weiter weg von ihrem eigenen Sound of Noise entfernt ist. Vielleicht waren die aber schon vorab an die größeren Acts vergeben. Iggy Pop schließt das sündige Fun House jedenfalls mit Desert Sessions-Derwisch und Kollabo-Experte Matt Sweeney auf "European Sun" lauthals ab, lacht noch einmal irre und macht sich mit bloßen Oberkörper von dannen. Passend zur letzten Songzeile des Albums: "Your clown's bid you goodbye."

Trackliste

  1. 1. Michael Stipe - Sunday Morning
  2. 2. Matt Berninger - I'm Waiting For The Man
  3. 3. Sharon Van Etten with Angel Olsen - Femme Fatale
  4. 4. Andrew Bird & Lucius - Venus in Furs
  5. 5. Kurt Vile - Run Run Run
  6. 6. St. Vincent & Thomas Bartlett - All Tomorrow's Parties
  7. 7. Thurston Moore feat. Bobby Gillespie - Heroin
  8. 8. King Princess - There She Goes Again
  9. 9. Courtney Barnett - I'll Be Your Mirror
  10. 10. Fontaines D.C. - The Black Angel's Death Song
  11. 11. Iggy Pop & Matt Sweeney - European Sun

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

2 Kommentare

  • Vor 3 Jahren

    das original strahlt um einige lumen heller!!!
    nette zusammenstellung, aber nico und lou kann halt niemand das wasser reichen...

  • Vor 3 Jahren

    Illustre Runde, aber zwangsläufig nahe an der Überflüssigkeit.
    Auf der aktuellen Welle an Tributalben wollte das Label wohl noch mal das schnelle Geld machen, aber wirkt die Gästeliste im Vergleich zum 4 CD-Monster "Blacklist" reichlich mager und dann ist das Original auch noch eines der großen, alles überdauernden Alben der Rockgeschichte. Mehr als ein Eintrag bei Discogs wird von diesem Projekt nicht bleiben.