laut.de-Kritik

Hier lebt der Geist der britischen Punk Explosion von 1977.

Review von

Der aus dem englischen Chatham stammende William Charlie Hamper zählt ohne Zweifel zu den umtriebigsten Persönlichkeiten im DIY Independent-Bereich. Nicht nur hat er im Verlaufe seiner Karriere fünf Romane, 40 Gedichtbände und weit über 2000 weltweit ausgestellte Gemälde und Zeichnungen realisiert. Wichtiger noch: Als Musiker veröffentlichte er unter seinem Pseudonym Billy Childish in den vergangenen 37 Jahren über 125 (!) Alben, die sich genretechnisch hauptsächlich zwischen britischem Oldschool-Punk, Garage Rock, Sixties-Beat und Surf einordnen lassen.

Erst im Mai erschien von dem in diesem Jahr 60 Jahre alt werdenden Childish die Compilation "Punkrock Ist Nicht Tot". Wer allerdings nun denkt, dass der runde Geburtstag des Englishman mit dieser sehr ausführlichen Compilation bereits ausgiebig gefeiert wurde, der irrt. Es passt nur zu gut zu Childishs Veröffentlichungs-Strategie, dass jetzt, nur drei Monate nach diesem Release, mit "Last Punk Standing" bereits ein weiteres Album vorliegt. Für den Briten ist es die mittlerweile sechste Platte, die er gemeinsam mit CTMF (Chatham Forts) aufgenommen hat.

Thematisch dreht sich auf "Last Punk Standing" alles um Zeit und Sterblichkeit. Hierzu sagt Childish: "Das waren schon immer Themen in meiner Poesie und Musik, aber die kamen auf dieser LP immer mehr zum Vorschein. Ich erlitt vor einem Jahr einen schweren Zusammenbruch und es gab zwei Selbstmordversuche in unserem Bekanntenkreis."

Kein Song beschreibt dies auf dem Album besser als "Like An Inexplicable Wheel", in dem die Zeit und das Leben als Rad beschrieben werden, das sich immerzu dreht und dadurch unaufhaltsam die Vergangenheit mit der Zukunft verbindet. "Das Leben scheint ein unerklärliches Rad zu sein, und ich dachte, es sollte einen Popsong (oder zwei) darüber geben" erklärt der Tausendsassa das Lied. Verlorene Zeit und die daraus resultierenden Folgen sind somit auch Inhalt der Rock'n'Roll-lastigen Single "You Can't Capture Time". Diese textlich sehr moderne Deutung des Heraklitschen Prinzips des 'Panta Rhei' (alles fließt) rockt wie die Hölle und schreit direkt nach hemmungslosem Pogo-Tanz.

In "Journey To The End Of The Night" reflektiert Childish, über sein gebrochenes Ich (unter anderem sexueller Missbrauch und eine komplett ruinierte Kindheit) und über die Konfrontation mit den eigenen Dämonen (Raubbau am eigenen Körper aufgrund jahrelanger Alkoholsucht) und der daraus resultierenden Verzweiflung. So heißt es im Text: "I sit here at this journey to the end of the night / Climbing the very depths of despair / Some say it's a journey of misery and pillery". Die auf einer leicht verstimmt klingenden Gitarre geschrammelten Akkorde und die sehr minimalistische Bass- und Schlagzeugbegleitung geben der Stimmung des Songs vollen Raum, um sich entfalten zu können. Getragen von Childishs Gesang springt den Hörer die Verzweiflung des Briten förmlich an. Das absolute Highlight auf der Platte!

Weniger hoffnungslos geht es im balladesken Liebeslied "You're The One I Idolise" zu. Der Track kommt in einem dezentem Rhythm And Blues-Gewand daher und ist deutlich inspiriert von Arthur Alexander, einem der Pioniere des Country-Soul der 60er und 70er Jahre. Auf dem Album befinden sich daneben auch noch weitere Verweise auf die Musikgeschichte. Mit dem instrumentalen "Mahrek Le Mole" huldigt das Trio deutlich Link Wray & The Wraymens 1958er Hit "Rumble", der als wichtiger Wegbereiter des (Proto) Punk gilt. Mehr Old School geht kaum.

Der Titelsong des Albums "Last Punk Standing" hingegen ist wieder ein ganz klassischer CTMF-Track. Er handelt, typisch für das Album, erneut von verstreichender Zeit, der Vergänglichkeit des Lebens und dem damit notwendigerweise für die Nachwelt verbundenen Verlust von Wissen und persönlichen Erfahrungen. Wer wird beispielsweise die Quintessenz, die ursprüngliche Geisteshaltung und vor allem den Sound des Punk weitergeben, wenn die letzten Angehörigen dieser authentischen Riege ausgetrunken haben? Als besonderes Schmankerl enthält dieser Song einen Gastauftritt des legendären und 2018 verstorbenen Sängers der englischen Post-Punk-Band The Fall, Mark E. Smith.

Glücklicherweise ließ sich Childish, trotz aller der Scheibe zugrunde liegenden persönlichen Tragödien, in keinster Weise entmutigen. Ganz im Gegenteil. Müdigkeit sucht man hier vergebens. Dank seiner rotzigen Fuzz-Gitarre, Nurse Julies mächtig knurrigem Bass und dem schnörkellos treibenden Spiel von Schlagzeuger Wolf Howards klingt "Last Punk Standing", immer auf den Spuren des Geistes der Explosion des Punks im Jahr 1977 wandelnd, schön roh, archaisch und lo-fi.

Childishs Mantra von "the sound of yesterday, tomorrow" macht dieses Album, das aus dem Herzen der britischen Medway Scene kommt, zu einer äußerst kurzweiligen, soliden und Spaß machenden Zeitreise. Zwar nutzen sich die Songs bei wiederholtem Hören recht schnell ab, doch vermutlich dürfte der bunte Exzentriker das nächste Album bereits sowieso in Petto haben, um zeitnah frischen Wind in die Ohrmuscheln der geneigten Hörerschaft zu blasen. Punks not dead (yet).

Trackliste

  1. 1. It Hurts Me Still
  2. 2. You Can't Capture Time
  3. 3. Journey To The End Of The Night
  4. 4. Like An Inexplicable Wheel
  5. 5. You're The One I Idolise
  6. 6. The Darkness Was On Me
  7. 7. Mahrek Le Mole
  8. 8. Gary's Song
  9. 9. The Happy Place
  10. 10. She Didn't Know Everything Was Available
  11. 11. Last Punk Standing
  12. 12. I Can Recall It All
  13. 13. Some Unknown Reason
  14. 14. The Used To Be

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