laut.de-Kritik

Paul McCartneys geflügelter Garagenrock.

Review von

"One, two, three, four!" Paul McCartney gibt den Takt an, seine Wings steigen mit ein. Immer wieder hört man Paul den Takt einzählen, zwischendurch lachen Bandmitglieder oder verpassen den Einsatz. Das Hörerlebnis des Doppelalbums "One Hand Clapping" hat den unausgereiften Charme einer Bandprobe. Passend zum Albumtitel ziert das Cover eine einarmige Putte mit Kopfhörern, zwei Pfeile deuten eine Klatschbewegung an.

Die Aufnahmen entstanden 1974 in den Abbey Road Studios. Wings ließen sich dabei von einer Filmcrew begleiten, ähnlich wie die Beatles-Doku "Let it Be" fünf Jahre zuvor. Das Filmmaterial zu "One Hand Clapping" wurde jedoch erst 2010 im Rahmen von McCartneys Archive Collection veröffentlicht. Zuvor kursierten Ausschnitte des Films als Bootlegs in der Weltgeschichte herum.

Ein möglicher Grund, warum McCartney den Film damals nicht veröffentlichen wollte, war die Umbruchstimmung in der Band zu jenem Zeitpunkt. Während der Aufnahmen war Geoff Britton noch als Schlagzeuger dabei. Als die Doku 1975 fertiggestellt wurde, hatte ihn mittlerweile Joe English ersetzt.

Neben Geoff und Paul waren die beiden festen Wings-Mitglieder Linda McCartney und Denny Laine am Start, Jimmy McCulloch spielte Gitarre. Pauls ehemaliger Bandkollege Lennon sagte 1975 in einem Interview mit dem Rolling Stone: "Wings ändert sich die ganze Zeit über. Es ist konzeptionell. Ich meine, sie sind die Hintergrundleute für Paul. Es spielt keine Rolle, wer spielt. Man kann sie Wings nennen, aber es ist Paul McCartney-Musik. Und es ist gutes Zeug." Irgendwie hatte er da wohl Recht. Auf gewisse Art waren Wings eine Fortsetzung der Beatles, nur mit McCartney als Frontmann und alleinigem kreativen Anführer.

Nicht nur das berühmte Tonstudio war ein Throwback zu den guten alten Zeiten. Auch die harmonischen Satzgesang-Arrangements, besonders in "Bluebird", erinnern an das musikalische Handwerkzeug der Fab Four. Außerdem enthält die Songauswahl in "One Hand Clapping" einige Kleinodien aus der Beatles-Schatztruhe, darunter "The Long And Winding Road", "Lady Madonna" und eine Ulk-Version von "Let It Be".

Doch das Album enthält weit mehr als ein bloßes Schwelgen in der Vergangenheit. Vielmehr zeigt es die zu jenem Zeitpunkt übersprühende Kreativität der Wings und das unglaublich breite Genrespektrum für das sich die Band begeistern ließ: Das energische "Soily" enthält Punk-Elemente, "Reggae C Moon" entführt nach Jamaika. "Little Woman Love" ist eine schnelle Rock'n'Roll-Nummer, "Baby Face" ein charmanter Ragtime, der dem Stil von "Honey Pie" des White Albums ähnelt und mit dem überraschenden Einsatz der urigen Tuxedo Brass Band aus New Orleans aufwartet.

Einige Songs, darunter "Jet" und "Bluebird", entstammen dem Album "Band On The Run", das im Jahr vor diesen Jam-Sessions entstand. Der gleichnamige Hit kommt etwas dreckiger und rockiger daher als auf dem Studioalbum. Im McCartney-Klassiker "Maybe I'm Amazed" klingt Pauls Gesang etwas verhallt. In dieser Version zerreißt es seine Stimme nicht so wie im Original. Streicher untermalen die Ballade sanft. Auch im verträumten "My Love" kommen Streicher zum Einsatz.

Zwischendurch setzt sich McCartney ans Klavier. In zahlreichen Tracks, darunter "Let's Love", "All Of You" und "I'll Give You A Ring", ist er alleine zu hören. In "Sally G" greift Paul zur Akustikgitarre. Für "Band On The Run" und den James Bond-Hit "Live And Let Die" geht die Band wieder gemeinsam an den Start. In letzterem sorgen sie gemeinsam mit einer dramatischen Orchesterbegleitung für jede Menge chaotische Energie. McCartney beendet den orchestralen Exzess mit einem exzentrischen Knurren.

Die Tracklist des Albums umfasst insgesamt 24 Songs, einige davon veröffentlichte McCartney bereits häppchenweise als Teil seiner Archive Collection. Nun ist die Sammlung komplett. In den "One Hand Clapping" Sessions zeigen die Wings ihre wilde Seite. Mit dem Elan von Teenagern, die gerade eine Garagenband gegründet haben, verpassen sie ihren eigenen Hits einen neuen Anstrich. Lennons Urteil, Wings seien nur Background-Musiker für McCartney, ist vielleicht doch ein wenig unfair. Denn man hört ihnen an, dass sie mehr als das waren: Freunde, die wahnsinnig gerne zusammen gejammt haben.

Trackliste

Disc 1

  1. 1. One Hand Clapping
  2. 2. Jet
  3. 3. Soily
  4. 4. C Moon
  5. 5. Maybe I’m Amazed
  6. 6. My Love
  7. 7. Bluebird
  8. 8. Let’s Love
  9. 9. All Of You
  10. 10. I’ll Give You a Ring
  11. 11. Band On The Run
  12. 12. Live And Let Die
  13. 13. Nineteen Hundred And Eighty Five
  14. 14. Baby Face

Disc 2

  1. 1. Let Me Roll It
  2. 2. Blue Moon Of Kentucky
  3. 3. Power Cut
  4. 4. Love My Baby
  5. 5. Let It Be
  6. 6. The Long And Winding Road/Lady Madonna
  7. 7. Junior’s Farm
  8. 8. Sally G
  9. 9. Tomorrow
  10. 10. Go Now
  11. 11. Wild Life
  12. 12. Hi, Hi, Hi

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