laut.de-Kritik
Der Doom-Altmeister badet akustisch in glühender Passion und tiefer Verzweiflung.
Review von Dominik KautzWer sich im tonnenschweren Doom-Metal zuhause fühlt, für den führt an Altmeister und Genre-Ikone Scott 'Wino' Weinrich absolut kein Weg vorbei. Zu wirkmächtig ist sein Vermächtnis in diesem Bereich. Seit 40 Jahren tritt der Sänger und Gitarrist als unverwüstliche und prägende Kraft innerhalb des Undergrounds in Erscheinung. Egal ob mit Saint Vitus, The Obsessed, späteren Formationen wie Spirit Caravan, Place Of Skulls, The Hidden Hand oder mit der Stoner-Doom-Supergroup Shrinebuilder.
Seine erste Soloplatte "Punctuated Equlibirium" spielt er, unter anderem mit Hilfe von Clutch-Drummer Jean-Paul-Gaster, bereits 2009 für das Szene-Kultlabel Southern Lord ein. Soundtechnisch präsentiert Wino auf dem Album noch die volle Breitseite aus fuzzigem, sabbatheskem Riffing. Für sein bereits ein Jahr später folgendes zweites Album "Adrift" hängt er die E-Gitarre an den Nagel, greift beherzt im Alleingang zur Westernklampfe und liefert ein durch und durch unprätentiöses Akustikalbum. Zehn Jahre später folgt jetzt in Zusammenarbeit mit Produzent Frank Marchard (The Obsessed, Bob Mould) der nächste Akustik-Streich. Und was für einer!
Gleich mit dem wehklagenden Opener "Forever Gone" nimmt Wino den Hörer mit auf eine Reise durch die Tiefen seiner Seele. Das desolat schwebende Akustikgewand und Winos enorm ausdrucksstarke Stimme unterstützen die Dramatik hier hervorragend. Neu ist dieser Song indes nicht. Fans dürften die Nummer in leicht abgewandelter Form bereits von seinem 2015er Album "Freedom Conspiracy" kennen, das er gemeinsam mit dem aus Halle an der Saale kommenden Dark Folker Conny Ochs aufnahm. Auf "Forever Gone" jedoch verleiht Wino dem Track eine strahlende, dunkle Eleganz, die das Original an Intensität weit übertrifft. Ein starker Einstieg in eine starke Platte.
"The sadness fills the very soul / darkness shrouds the summer sky / left me here all alone / no chance to scream goodbye", singt Wino mit schmerzerfüllter Stimme im Requiem "Taken" und führt das ohnehin schon wenig lebhafte Ambiente noch ein Stück weiter in Richtung kalter Grabestiefe. Eindrucksvoll zeigt er hier, dass schwere Musik nicht zwingend knallende Drums und fett verzerrte, tiefer gestimmte Gitarren braucht. Ganz so, wie es Ex-The Obsessed- und Ex-Kyuss-Basser Scott Reeder in der Szene-Doku "Such Hawks Such Hounds" bereits treffend auf den Punkt brachte: "Du kannst eine akustische Gitarre und eine Stimme nehmen und es kann das härteste Ding der Welt sein."
Die Inspiration zum sterbensschönen "The Song's At The Bottom Of The Bottle" geht zurück auf eine Unterhaltung mit dem ursprünglichen Saint Vitus-Basser Mark Adams. Dieser teilte Wino nach einer Show im Tourbus mit, dass seine gesamten männlichen Familienmitglieder am Alkoholismus starben. Für Wino selbst ist es "ein Song über das Umarmen des Lebensstiles, den ich wählte: Schön, belohnend, dunkel und destruktiv. Es geht um Leidenschaft. Wie könnte es um weniger gehen?"
Diese selbstzerstörerische Leidenschaft zeichnet schlussendlich das gesamte Album aus. Immer mit an Bord: eine kräftige Prise Townes Van Zandt. Dabei geht Wino äußerst stringent vor und beschränkt sich auf Songs, deren Grundgerüste er ohne Schnickschnack auf das Wesentliche reduziert. Das im luftigen "No Wrong" implementierte, fuzzgetriebene E-Gitarrensolo unterstützt diese Wirkung nur zusätzlich.
Den nach vorne treibenden, zusätzlich mit Schlagzeug und Bass garnierten Rocker "Dark Ravine" veröffentlichte Wino bereits 2012 auf "Heavy Kingdom", seiner ersten Zusammenarbeit mit Conny Ochs. Ebenfalls darauf befindlich: Das elegische, unglaublich weit und traurig klingende "Dead Yesterday". Beide neuen Versionen machen die Originale wegen der glasklaren Produktion und Winos wesentlich stimmigerem, hingebungsvollerem und somit emotionaler wirkendem Gesang vollständig vergessen. Besonders "Dead Yesterday" besticht in Zeilen wie "I don't know where we'll be tomorrow / I don't care, I don't care any way / Take time away from life's sorrow / I'm grateful for these precious days, yes" mit brillant ausgedrückter Fragilität. Klar der beste Track des ohnehin schon großartigen Albums.
Nach dem kurzen, bluesgetränkten "You're So Fine" offenbart Wino im ergreifenden, erneut unglaublich schwer klingenden "Crystal Madonna" ein weiteres Mal tief sitzende Seelenpein. "All the lovin's gone away / in hopelessness my heart is torn" singt er mit unter die Haut gehender, leidend-brüchiger Stimme. Zum Abschluss packt der Barde noch ein gelungenes, mit Americana-Elementen unterlegtes Cover von Joy Divisions "Isolation" auf die Platte. "Ich fühlte mich immer von der melancholischeren, dunkleren Musik angezogen und diesen Song spielte ich live von Anfang an auf der Akustikgitarre. Das ist meine Version", begründet er die Wahl dieses überraschenden Finales.
Auf "Forever Gone" klingt Scott 'Wino' Weinrich trotz omnipräsenter Melancholie dank einfacher Arrangements, exquisit gezupfter Gitarren und seiner vor Weltschmerz gezeichneten Stimme außerordentlich frisch und lebendig. Dabei pendelt er mit seinen authentischen Texten aus Sehnsucht, Kummer und pechschwarzer Dunkelheit immer zwischen glühender Leidenschaft und tiefer Verzweiflung – ohne dabei je in der Pathosfalle zu tappen. Das macht die Platte nicht nur zu einem absoluten Underground-Tipp. Auch fernab dieser kleinen Hörerschaft sollten Freunde tief in die Seele gehender, akustischer Klänge "Forever Gone" eine Chance geben.
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