laut.de-Kritik
Trifft direkt ins Herz.
Review von Franz MauererDer Pressetext beschreibt "13" Frank Beltrame Italian Stiletto With Bison Horn Grips" (nachfolgend: "13") als ungewöhnlich zugängliches Xiu Xiu-Album. Das bedeutet nicht sonderlich viel, verschoben sich die Parameter seit "Fabulous Muscles" doch erstens recht konsequent immer weiter in Richtung Kunst statt Pop, und zweitens bewährten sich selbst die Überhits "I Love The Valley OH" und "Sad Pony Guerrilla Girl" musikalisch und textlich nach meiner persönlichen Erfahrung als passiv-aggressiver Trigger in toxischen Beziehungen.
Frank Beltrame bezieht sich auf eine italienische Dolchart, die sich trotz ihrer per Taste rasant auslösbaren Klinge (nach deutschem Waffenrecht hierzulande sehr ungewöhnlich) auch für die Jagd eignet und deren Griff oft mit Büffelhorneinlagen überzogen ist. 13 Zoll sind dafür eine ziemlich stolze Länge, für halbe Sachen ist Jamie Stewart halt nicht zu haben.
Der Opener "Arp Omni" löst besagtes Zugänglichkeits-Versprechen gleich mal ein: ein sanfter Song nach Art von Majical Cloudz, aber mit zögerlicherem, sehr schönem Gesang. Der Track greift mit Drones und vorsichtigen Streichern (wofür ein exzellentes Quintett an Violinisten und Cellisten engagiert wurde) immer weiter nach oben aus, auf der suche nach Tiefe ist er nicht. Ein schönes Kleinod, das seine Behutsamkeit nicht auf Kosten von Musikalität priorisiert.
Stewart blickt dabei wie gewohnt in den tiefsten Abgrund, auf dessen Boden er selbst lauert ("I have done almost nothing right / My entire adult life"). "Maestro One Chord" startet unvermittelt mit bandtypischer Kakophonie und verstärkt den Eindruck, den schon "Ignore Grief" 2023 nahelegte: Mit David Kendrick an den Drums fand Stewart eine Idealbesetzung, die mit ihm und der exzellenten Angela Seo, die das zum Teil in der neuen Bandheimat Berlin aufgenommene Album erneut produzierte, mithalten kann. Eine schöne, konservative Noise-Pop-Nummer, für die man Xiu Xiu liebt.
Die Single "Common Loon", der englische Name für den Eistaucher, stellt Ansprüche, die ab Sekunde eins klar werden: Hier lauert ein Hit, für den die Band ein NSFW-Video in Auftrag gegeben hat (google it, ist aber nicht sexy). Das Trio taucht in verzerrten Pop mit einer Hammerbassline ein, den die Black Lips bestimmt mögen würden. In der straighten, aber nie einfachen Songstruktur fiept im Hintergrund natürlich immer noch irgendein Geisterstimmchen, sodass man nachts leicht erschrocken die Kopfhörer abnimmt und verzagt in die eigene Wohnung lauscht. Wir sind hier immer noch bei Xiu Xiu!
Auf "Pale Flower" packt der Sänger zum ersten Mal die Dramatik irgendwo zwischen Perfume Genius und Morrissey aus, die für viele Veröffentlichungen der Band so charakteristisch ist. Die fünfminütige Nummer bleibt trotz ihrer vielfachen Wendungen melodisch und zugänglich, zumindest bis in der letzten Minute Stewart über einem Horror-Donnerwetterpiano seine bekannten Fantasien mit der Ernsthaftigkeit eines Rektors bei der Zwischenzeugnisübergabe in der Aula vorträgt: "But tonight all fools must be whipped." "Veneficium" kombiniert beides und stößt so weit in meine Top Ten der Band vor, nicht zuletzt wegen des ekstatischen, sich nach oben schraubenden Pre-Chorus.
"Sleep Blvd." und "T.D.F.T.W." sind saucoole, spannungsgeladene Goth-Rocker, die beide ziemlich ohne Umschweife in die Fresse und auf den Tanzboden gehen, ersterer ein wenig nach den (0ern klingtend, der Zweite eher apathisch zitternd. Stewart gibt mit großem Erfolg den DEE. "Bobby Bland" mimt noch am ehesten frühere Werke, dementsprechend hochgradig sympathisch, aber in Einzelteile zerschossen singt Stewart hoch über schräge Soundinvasionen, bedrohliche Drones, Hauchzen, Ächzen und Würgen, dazu ein exzellenter Beat. Und doch bleibt der Track auf dieser Scheibe Fremdkörper. Dies gilt mit Abstrichen auch für den Closer "Piña, Coconut & Cherry", dessen hypnotischem Zug man sich trotzdem nicht entziehen kann. Xiu Xiu stechen mit ihrem Frank Beltrame definitiv ins Herz.
1 Kommentar
Extrem gut.