laut.de-Kritik
Nicht nur versöhnliche Töne zum 20-jährigen Jubiläum.
Review von Joachim GaugerWenn in "Pass The Hatchet, I Think I'm Goodkind" nach gut zweieinhalb Minuten der Gesang einsetzt, fragt man sich kurz, ob aus dieser Orgie vibrierender Gitarren doch noch ein Song werden kann. Doch die Stimme versteckt sich im Hintergrund, ihr Auftritt bleibt eine Episode. Eine Episode, die so zufällig an dieser Stelle des völlig strukturlosen Openers angeordnet ist wie die Bendings, Tremoli und Soli, die aus den drei Grundakkorden aufsteigen wie die Blasen aus einer Sprudelflasche.
Man kann vielleicht darüber streiten, ob man die Ereignislosigkeit auf fast elf Minuten zelebrieren muss. Auf jeden Fall aber bildet der Auftakt einen schönen Kontrast zum folgenden "Beanbag Chair", einem poppigen Liedchen mit kleiner, süßer Strophe, flotter Bridge und eingängigem Refrain, mit hämmerndem Klavier und weinerlicher Posaune.
Es folgt das schwebende und klassische Songstrukturen nur ganz zart andeutende "I Feel Like Going Home", wie um zu beweisen, dass Yo La Tengo so virtuos mit der überlieferten Form und ihren Entwicklungsstufen spielen wie kaum eine andere Band. Und als hätten sie diese lästige Pflicht nach drei Songs endlich erledigt, packen sie im soulig-funkigen "Mr. Tough" und dem so sentimentalen wie schaurig-schönen "Black Flowers" endlich auch die Spielfreude aus.
"The Race Is On Again", "Sometimes I Don't Get You" oder "The Weakest Part" sind eingängige, gelegentlich melancholische Poprocksongs, die vielleicht auch deswegen so gut gelungen sind, weil Yo La Tengo ihren hohen Anspruch mal vergessen und einfach drauf los musizieren. Ja, sie haben immer noch ein unglaubliches Händchen für wunderbare Melodien, die auch deshalb so bezaubernd wirken, weil sie nicht überall von Wohlklang umgeben sind.
Denn auf die Pflicht folgt die Kür und dann wieder die Pflicht: Natürlich lassen es die vier aus New Jersey nicht nehmen, hier mal eine Klangcollage wie "Daphne" einzustreuen, dort einen Rockabilly-Reißer wie "Watch Out For Me Ronnie" oder gar einen Track wie "The Room Got Heavy", der mit fetten Synthies, treibenden Drums und Bongos und minimalistischem Gesang sogar fast als clubtauglich durchgeht.
Weniger Überraschungen wären eine Überraschung, und so ist nicht weiter verwunderlich, dass Yo La Tengo 20 Jahre nach "Ride The Tiger" ans Ende ihres Jubiläumsalbum ein ebensolches Monster stellen wie an den Beginn: "The Story Of Yo La Tango" dauert fast 12 Minuten, hat wie der Opener keine Struktur, dafür aber eine Entwicklung vorzuweisen. Man könnte auch sagen, der Song ist die Entwicklung, nämlich ein einziges, zunächst verhaltenes, später immer wilder aufbrausendes Crescendo. Schöne Geschichte.
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