laut.de-Kritik

Atemlos, chaotisch und hysterisch.

Review von

Vielleicht erschließt sich nicht auf Anhieb, warum der Dude mit dem sperrig bescheuterten Namen aus der gottverlassenen Industriestadt Baton Rouge derzeit zu den heißesten Rappern der Welt gehört. Youngboy Never Broke Again nennt mehr Platinplatten sein eigen als Michael Jackson und besitzt eine der eingefleischtesten Fanbases der Szene. Ein bisschen fühlt sich sein melodischer Post-Thugger-Flow, sein schnörkelloser Straßenrap-Ansatz und sein Mixtape-Spam wie das Chaos-Pendant zu Lil Babys Neutralität an. "Colors" tappt zwar in ein paar Fallen der Streaming-Ära, zeigt aber, dass dieser Junge geboren ist, um zu rappen.

Das spürt man vor allem, wenn sich im Mittelteil der zwanzig Songs plötzlich der Highlight-Run des Tapes einstellt. Angekündigt von der pathosreichen Pain Rap-Ballade "How You Been", in der mit einem toten Bruder jenseits des Grabes Zwiesprache gehalten wird, legt er spätestens ab "Dis & That" einen absoluten Sprint hin. Der Junge spittet mit einer komplett unberechenbaren manischen Energie. Oft klingt er, als würde er sich selbst ins Wort fallen, wenn er zwei Mal alle vier Zeilen Flow, Stimmlage, Melodik und Tempo variiert.

Ein Chaos, an das man sich gerade während der Verses erst mal ein bisschen gewöhnen muss, aber dafür gibt es ja die Hooks, die spätestens seit seinem Megahit "Outside Today" in ihrer Qualität außer Frage stehen sollten. Dieses Tape hat reihenweise davon, diese Momente, in denen er aus seinem Irrsinn in ein viel zu eingängiges Pattern übergeht und plötzlich undenkbar organisiert und catchy klingt. "These n*ggas got me fucked up, YoungBoy, they got you fucked up", rappt er sich auf "Dis & That" sofort in den Gehörgang.

Die Divergenz zwischen so schnörkellosem und manischem Straßenrap mit diesen viel zu effektiven Hooks fasziniert. Er wirkt nicht wie der Typ, der Songs groß plant oder überdenkt. Es wirkt, als stolpere er aus Versehen in diese großartigen Melodien. Deswegen nimmt ihm der Pop-Appeal kein bisschen Gangster-Cred, die auf Songs wie dem stoisch benannten "Gangsta" gekonnt in Szene gesetzt wird. Er klingt müde und grimmig, wenn er erklärt, warum die Industrie mit seiner Roughness nicht klarkommt, kurz darauf taucht Quando Rondo als einzige Feature der Platte auf, der Rapper aus seinem Freundeskreis, der letztes Jahr noch mit der Ermordung von King Von in Verbindung zu stehen schien.

Der beste Song folgt kurz darauf: "Fish Scale" lebt nicht von Drama oder irgendwelcher Lore, sondern schlicht und einfach von einem malmenden Beat und Trap-Exzellenz. Dieses nach oben schraubende Piano-Sample auf der marschierenden Percussion ist der Grund, warum ein naheliegendes Subgenre mal Drill getauft wurde: Und Youngboy klingt wie ein verdammter Drill-Sergeant auf diesem Beat, atemlos, hysterisch und exzentrisch. In solchen Momenten glaubt man, er könnte mit allem und jedem auf den Track steigen und mit den besten aller Zeiten gleichziehen.

Diese Kopflosigkeit bleibt Stärke und Schwäche von "Colors". Manchmal stellt sich eine goldene Legierung aus genau der richtigen Performance und genau richtiger Instrumentierung ein, aber oft scheint sich niemand zu genaue Gedanken darüber gemacht zu haben. In der Konsequenz findet sich hier zwar kaum ein furchtbarer Song, aber sehr viele, die dieselbe Formel mit weniger beeindruckenden Ergebnissen benutzen. Müssen es also zwanzig Songs sein? Der Albumgenuss leidet ein bisschen unter dieser Gleichförmigkeit, aber anders wären die Hochpunkte wohl auch kaum entstanden.

Nicht zuletzt gibt es auch eine ganze Stange poppigere Nummern, Songs über Liebe und Verzweiflung, die sich besonders im letzten Drittel häufen. Eigentlich sollte man einen Doppel-Punch namens "Emo Rockstar" und "Emo Love" arg plakativ mutmaßen, aber er zieht es durch. "Mama I'm a rockstar, I don't care what they think about me", kann als Line nur funktionieren, wenn man es wirklich rüberbringt. Und das tut er. Youngboy klingt wie absolut niemand. Er hat sich eine komplett eigene Sparte im melodischen Trap-Game erschaffen.

So bleibt am Ende nur noch eine Auflistung der übrigen Highlights: "Snow Bunny" und "2Hoo" sind liebestrunkene Trap-Balladen auf tingeligen, aber atmosphärischen Beats. Auf "No Switch" und "DC Marvel" flowt er wie ein junger Gott, und der Quasi-Abschluss "Foolish Figure" zeigt ihn so nüchtern und selbstreflektiert wie selten. "Colors" wälzt sich im Chaos seines künstlerischen Ansatzes und seiner Person, aber es demonstriert auch, dass sein Bauchgefühl treffsicher genug ist, um auf Überlänge und verrückten Ideen wieder und wieder zu funktionieren.

Trackliste

  1. 1. Long Live
  2. 2. Bring It On
  3. 3. No Switch
  4. 4. Smoke One
  5. 5. 2Hoo
  6. 6. DC Marvel
  7. 7. How You Been
  8. 8. Expensive Taste
  9. 9. Cage Feeling
  10. 10. Dis & That
  11. 11. Gangsta (feat. Quando Rondo)
  12. 12. Know Like I Know
  13. 13. Bring The Hook
  14. 14. Fish Scale
  15. 15. Emo Rockstar
  16. 16. Emo Love
  17. 17. Snow Bunny
  18. 18. Foolish Figure
  19. 19. I Got This
  20. 20. Flossin (Bonus)

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