laut.de-Kritik

MC Solaar weint.

Review von

Emmanuel de Buretel vom französischen Label Because Music ist gewohnt, dass seine Meinung Gewicht hat. Weil Leute wie Air und Daft Punk durch ihn zu Stars wurden. Aber in einem Punkt täuschte er sich nachweisbar und gründlich. Er sagte zum Rapper Youssoupha Mabiki, dass dieser es nie zum Durchbruch bringen werde. Weil er "MC Solaar in abgeschwächter Form" sei, prophezeite den großen Flop. Mit dieser bornierten Frechheit, einer Synthese aus zynischem Totschlagargument und herablassender Schubladisierung, rechnet Youssoupha jetzt ab. Zu hören im Song "Solaar Pleure" auf "Neptune Terminus". MC Solaar weint. Doppeldeutig, denn 'Solaar' meint hier zugleich unser Sonnensystem, in dem der Neptun als einer von neun Planeten kreist.

Youssoupha geht heute chartstechnisch ab wie eine Rakete, und das nicht etwa, weil er Skandalrapper wäre. Aus deutschem Blickwinkel ist es am zugänglichsten, erst mal zu sagen, was er nicht macht: keinen düsteren Grime oder abgegriffene Standard-Trapbeats verwursten (na gut, in "Collision feat. Josman" praktiziert er es doch ein bisschen, sogar beides). Er imitiert keinen 90er-Boom Bap, er macht nicht auf Retter des Jazzrap.

Er legt statt dessen lupenreinen, bedächtigen Sprechgesang auf cloudigen Beat-Flächen vor, ab und zu Afrotrap ("Maryam"), Afro-House-Elemente ("Après-Soirée feat. Jok'air"), mal eine melodramatische Ballade mit warmem Folktronic-Anstrich ("À Chaque Jour... feat. Imani"). Dazu addiert sich seine wunderschöne Stimme voller Schwermut, weich und kristallklar. Seine Texte stecken voll mit Sinn, meiden Gejammer und moralische Verkrampftheit. Manche seiner Stücke treiben durch wunderschönes Melodie-Gelände, so das sensitive "Gospel" oder das poppig-romantische "Bagarrer" über den Nachwuchswunsch eines verliebten Mannes.

In Frankreich und Belgien erreichte er mit "Neptune Terminus" sofort die Album Top Ten, in der Schweiz kletterte er dank des französischsprachigen Landesteils immerhin auf Rang 25. Er reüssiert als Album-Artist, vielleicht einfach weil seine Longplayer zuverlässig vollgepackt sind mit guten Nummern. Der Erfolg hat sich mittlerweile konstant so eingefahren, und es fällt (wieder) auf, dass die französische Rap-Szene auf Ernsthaftigkeit, Eloquenz, Eleganz und ein gewisses Sprachniveau Wert legt.

Vulgäre Kraftausdrücke sind da die Ausnahme, gerade durch die Seltenheit wirkungsvoller. Verbürgen lässt sich, dass French Rap a.k.a. 'hip-hop français' eine komplett andere Welt als Deutsch-Rap darstellt und geschichtlich ganz anders entstand und gewachsen ist. Genau das führt bisweilen dazu, dass Leute, die von Deutsch-Rap angeödet sind, im Nachbarland das Paradies finden.

Bei Youssoupha hat jedes Stück seine eigene Note. Seine Musik hat Ambition, nicht nur weil ein Song so heißt, "Ambition (Guinée-Conakry)". Das anspielungsreiche Lied handelt vom Grundkonflikt in den Texten so ziemlich aller namhafter Acts des französischen Hip Hop: Dass man mit Migrationshintergrund aus Nord-, West- und Zentralafrika nicht ernst genommen wird. Dass man dann nichts werden könne, wenn man aus den Banlieux, den endlos gezogenen Vororten von Lyon, Lille, Marseille, Montpellier oder Nantes stammt. Gar aus Clichy-sous-Bois im Pariser Speckgürtel, einem Ort, der nur Trabantenstadt ist. Oder aus Sartrouville, wo Youssoupha Abi machte und Jahrgangsbester in französischer Sprache und Literatur war. Quasi als Ausländer, mit Eltern aus dem Kongo und dem Senegal.

Seither machte er es sich offenbar zur Lebensaufgabe, die reaktionäre Denkweise in den Köpfen zu besiegen. Ob auf Seiten derer, die andere Versagen und Bedeutungslosigkeit einredet, oder auf Seiten derer, die an ihre eigene Chancenlosigkeit glauben.

Deswegen sind französischer Hip Hop und somit Youssoupha nur mit gesellschaftspolitischer 'Consciousness', mit 'Realkeeping', mit 'Wokeness', mit was auch immer für Wörtern, die es in der ersten Welle der 90er nicht gab, denkbar. Denn die zugehörigen Phänomene sind Teil der DNA von French-Rap. Es ist ungeschriebenes und ehernes Gesetz aller in der Szene - wie unterschiedlich die Künstler*innen im Detail dann sein mögen - immer wieder Migrationsgeschichten zu enttabuisieren und auf Alltagsdiskriminierung in aller Schärfe und Konkretion hinzuweisen. Und Kriminalität und deviantes Verhalten im Detail darzustellen.

Youssoupha schildert in "Ambition (Guinée-Conakry)" die Perspektive eines Bahnhofsgangsters, der Drogen, Zigarren und Whisky schmuggelt. Auch wenn er unter Druck gerät, über seine Hintermänner Auskunft zu geben, wird er nichts verraten. Glaubt er doch an die Millionen, die bessere Lebensqualität und vor allem daran, dass sein Business gut sei und er damit in den Himmel komme.

"Neptune Terminus" folgt grundsätzlich dem Modell des Konzeptalbums. Schon weil die metaphorische Idee vom Planeten Neptun sich durch mehrere Songtexte zieht und alle Stücke von denselben Beatmakern, dem DJ-Duo Medelin, umgesetzt wurden - bis auf Intro und Schluss. Variation entsteht durch die gut mit dem Flow verknüpften Gäste, darunter Gaël Faye, Dinos und Imani - Leute aus Youssouphas Umkreis, unbekannter als er. Wobei er selbst ein Indie-Act auf dem Label eines Kumpels ist. Da herrscht Freiheit, zugunsten einer durchdachten Longplay-Story. Und, Fun Fact: auch um den Tonträger in zehn unterschiedlichen Cover-Artworks zu vermarkten. Je nachdem, in welcher Farbe das Vinyl gepresst ist, gibt's eine individuelle Verpackung. Wir sehen hier das sehr schöne Artwork der blauen Edition.

Der Neptun als Kernelement der Platte ist der Planet, der am weitesten von der Sonne entfernt in der Galaxis kreist und für Youssoupha so etwas wie Afrika verkörpert. "Terminus" ist die Endstation. Afrika wird in Frankreich oft als wahnsinnig weit weg empfunden (siehe Zeilen wie "j'ai grandi loin de la Tour Eiffel" in "Ambition (Guinée-Conakry)"). Dabei waren ja viele Staaten dort bis vor noch nicht gar so langer Zeit Kolonien in direkter Abhängigkeit von der Pariser (und der Brüsseler EU-)Wirtschaftspolitik. Und sind es strukturell teilweise immer noch.

Die Lyrics binden in zahlreichen Querverweisen zudem Ereignisse aus dem Musikbusiness ein, ob den Tod von Nipsey Hussle, Kritik an Youssoupha selbst, er mache 'Urban-Pop' (tut er definitiv nicht), oder rassistischen Social Media-Hass gegenüber Aya Nakamura. Die konkreten Beispiele sorgen immer dafür, dass die Tonlage der Songs sich nicht in Gejammer verliert, sondern eher erzählfreudig und reflektiert anmutet.

Eine echte Alternative bietet Youssoupha zur Verherrlichung von Cannabis-Konsum und -Deals im breiten Hip Hop-Mainstream bei uns. "À chaque jour suffit sa peine", "jeden Tag ist sein Schmerz genug", heißt es in "À Chaque Jour... feat. Imani". Und mit diesen Worten endet die LP über die Unerträglichkeit des Fremd-im-eigenen-Land-Seins. Youssoupha lebt heute in zwei Ländern, sein Sohn (auf Artworks anderer Vinyl-Farben im Foto zu sehen), geht in Frankreich zur Schule, seine Tochter in der Elfenbeinküste. Echte Integration ist eine Illusion, da muss noch verdammt viel passieren im Sonnensystem zwischen Erde und Neptun.

Trackliste

  1. 1. Houston (Intro)
  2. 2. Astronaute
  3. 3. Solaar Pleure
  4. 4. Gospel
  5. 5. Kash feat. Lefa, Dinos & Punchlinovic
  6. 6. Bagarrer
  7. 7. Maryam
  8. 8. Neptune Terminus
  9. 9. Interstellar feat. Gaël Faye
  10. 10. Mon Roi
  11. 11. Ambition (Guinée-Conakry)
  12. 12. Collision feat. Josman
  13. 13. Après-Soirée feat. Jok'air
  14. 14. À Chaque Jour... feat. Imani

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