laut.de-Kritik

RTL-Spendengala-Core mit Powerstimme.

Review von

Wenn Leute Zoe Wees erklären, wird gern auf ihren kometenhaften Aufstieg in der Streaming-Welt verwiesen. 400 Millionen auf "Control", fast 200 Millionen auf "Girls Like Us". Das Mädchen aus Hamburg scheint der erste globale Superstar aus Deutschland seit vielen Jahren zu sein. Nur, wo diese Abermillionen an Hörer*innen sich versteckt halten, das erschließt sich nicht ganz. Ja, Zoe hat Talent, Volumen, Kraft, Ausdruck, sie ist gewissermaßen das komplette Paket. Trotzdem ist ihr Debüt "Therapy" eines der langweiligsten Alben des Jahres.

Oh Mann. Manchmal macht es ja Spaß, über Popmusik abzuledern, die einem nicht gefällt. Es ist immerhin Popmusik, nicht die ernsteste Sache der Welt. Dieses Memo ist zu Zoe Wees nicht durchgedrungen. Ihre Musik ist von vorne bis hinten so ächzend voll mit heiligem Ernst, man möchte die Stunde Material auf diesem Album am besten andächtig auf den Boden schauend konsumieren. Song für Song wälzt sie sich durch Familiendramen, Politisches und Erinnerungen an den Vater, der ihre Familie hat sitzen lassen. Song für Song erhebt sie sich in diesen starken, gigantischen Vocals und nach jedem Song geht die nächste Vier-Akkorde-Klavier-Struktur los. Spätestens nach fünf Songs wünscht man sich, die Messe würde langsam zu Ende sein.

Ich sage jetzt etwas Gemeines, und es tut mir Leid, denn Zoe wirkt wirklich okay, wie eine kluge junge Frau, die ihr Herz am rechten Fleck hat. Aber: Nur, weil das ein sehr persönliches Album ist, ist es leider keines mit viel Persönlichkeit. Die emotionale Reichweite rangiert von traurig bis trauriger bis hin zu am traurigsten. Gepaart mit der absurd freudlosen Produktion aus der Dose bekommen wir Musik, die sich guten Gewissens nur als RTL-Spendenmarathon-Core bezeichnen ließe. Sie besitzt sehr viel Pathos, sie bespricht sehr ernste Themen, aber so etwas Neues lernen wir daraus nicht. Man fühlt sich tatsächlich irgendwann wie der Therapeut von Wees, so wie man mit teils unverarbeiteten Traumata bombardiert wird, siehe "Daddy's Eyes". Aber will man beim Popmusik hören wirklich konstant jemandes Therapeut sein?

Oft verglichen wurde sie ja anfangs mit Billie Eilish. Gemeinsam haben sie ein Faible für Balladen, eine markante Stimme und ihr Alter. Aber spätestens auf Albumlänge merkt man einfach, dass Billie viel mehr Freude am Medium Song hat. Hätte es diesem Album das Genick gebrochen, wenn wenigstens ein kleiner Funken Humor, Freude, Optimismus, Zynismus oder irgendeine andere Form von Emotion außer dem monochromatischen Sperrfeuer der Depression vertreten wäre? Geht dieser Frau irgendetwas anderes durch den Kopf außer Klavier und Sadness? Da müssen doch irgendwelche anderen Facetten in diesem in Interviews so coolen und sympathischen Mädchen stecken, die diese Bleiwüste von einem Album unterschlägt.

Die ersten zwölf Songs sind sich in musikalischer Machart so ähnlich, man fühlt sich, als würde man durch eine brutalistische Trabantenstadt in Sibirien laufen. Das ist auch etwa das Level an Freude, das musikalisch aufkommt. Man möchte regelrecht einen Freudenschrei tun, wenn auf "That's How It Goes" für das 6lack-Feature eine zweite musikalische Idee aufgefahren wird: Ein melancholischer R'n'B-Beat mit starkem Groove und Gitarren. Siehe an: Auf einmal erwacht Wees' Stimme zum Leben, entfaltet mehr Getragenheit und Rhythmus, auch die Lässigkeit des Featuregasts tut Wunder. Warum nicht gleich so! Danach geht es zwar großteils wieder in die alte Siedlung, aber immerhin tauchen nun vereinzelt Farbtupfer in Form von ein paar EDM-Strings oder ein paar Gitarren auf. "Less Of A Woman" gibt mit seinem Bekenntnis zur eigenen Stärke und zum eigenen Wachstum schließlich noch einmal positive Impulse mit.

Mit diesen beiden Lichtblicken und Zoes Talent hätte ich gern hier abgeschlossen und einfach auf fantasievollere nächste Projekte gehofft, aber eine Sache gibt es noch zu bemäkeln. Anfangs sagte ich ja, dass ihre Stimme und ihr Gesangstalent eigentlich der Hauptzug in ihre Musik ist. Aber selbst ihre Stimme geht im Tracklisting unter. Essentiell zeigt sie über die zwanzig Tracks zwei verschiedene Tonlagen. Eine etwas jünger und ein bisschen unschuldig klingende - und dann die volle Ladung Power. Die Kurve ist jedes Mal die gleiche. Zoe bolzt auf diesem Album mit einer so methodischen Gleichheit in jeden einzelnen Song hinein, dass man irgendwann gegenüber der Größe und Stärke der Vocals abstumpfen muss. Quasi das Imagine Dragons-Level, etwas zu übertreiben und irgendwann meint man, sie würde das Trauma so besingen, wie sie ihr Pausenbrot besingen würde, weil sie wirklich alles in diese gleiche, melodramatische Action-Schiene drehen muss.

"Therapy" ist ein Album von einer vielversprechenden Sängerin, das so gleichförmig und fantasielos zusammengebaut ist, das einem die Füße einschlafen. Es lässt sich leider kaum anders sagen. Was spricht denn dagegen, dass Zoe mal einen fröhlichen Song singt oder in Disco abschweift, oder ein tibetanisches Kehlkopfs-Volkslied, oder was auch immer. Aber bitte, bitte, macht irgendetwas in die Tracklist, das ein bisschen aus diesem Katechismus-Gefühl ausbricht. Stand jetzt ist es wirklich schwer vorzustellen, dass sich von den 400 Millionen Hörer*innen wirklich irgendwer dieses ganze Album mit gusto durchhören würde.

Trackliste

  1. 1. Sorry For The Drama
  2. 2. Lightning
  3. 3. Girls Like Us
  4. 4. Love Should Be Easy
  5. 5. Control
  6. 6. Lifeline
  7. 7. Daddy's Eyes
  8. 8. Hold Me
  9. 9. Nothing's Forever
  10. 10. 21 Candles
  11. 11. On My Own
  12. 12. Broke
  13. 13. That's How It Goes (feat. 6lack)
  14. 14. You Ain't Really Good For Me
  15. 15. Don't Give Up
  16. 16. Nothing But You
  17. 17. Third Wheel
  18. 18. Less Of A Woman
  19. 19. Hold Me Like You Used To
  20. 20. When It Hurts

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5 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Gute Sängerin die das Pech hat in der deutschen Musikindustrie arbeiten zu müssen.

    • Vor einem Jahr

      Exakt das. Amerikanische Stimme und Talent auf Lea/Mark Forster/Nico Santos-Alman-Einheitsbrei-Schnarchproduktion. Ich raff einfach nicht, wieso man hierzulande glaubt, man müsse alles mit so viel klebrigem Pathos produzieren, wenn die drüben über dem Teich das oftmals viel lockerer hinbekommen.

      Man merkt halt direkt, dass die Produzenten allesamt deutsch sind. Sogar der Song mit 6lack klingt so gottverdammt steif.

  • Vor einem Jahr

    Wer sagt das ❓ Breitband Singsang auf Schmalspur ‼️

  • Vor einem Jahr

    Heute zum ersten mal reingehört: Wie gut bitte ist denn eigentlich BAP und vor allem BAP Live ?!

    • Vor einem Jahr

      Aff un Zo mietfrei in mei Kopf

    • Vor einem Jahr

      Klar sind die gut! Haben hier ja auch schon ne Meilenstein („Vun drinne nah drusse“). Mein absoluter Favorit von ihnen ist aber das 84er Album „Zwesche Salzjebäck un Bier“.
      Über Niedecken muss sich natürlich jeder seine eigene Meinung bilden, es spricht mMn jetzt nicht unbedingt für ihn, dass BAP seine One-Man-Show geworden ist, auf der anderen Seite ist es halt auch sein Lebenswerk.

    • Vor einem Jahr

      Danke. Werd ich mir reintun.

  • Vor einem Jahr

    Ich glaube, heute geht es (leider) meistens nicht mehr darum, dass ein Werk in Form eines Albums abgeliefert wird, das Höhen und Tiefen haben darf und sich Songs über wesentlich mehr als 200 Sekunden entfalten dürfen. Immerhin kauft das ja niemand mehr. Also muss das Ziel sein, dass die Leute beim Streamen bei der Stange bleiben und nicht wegzappen. Das erreicht dieses Album ganz hervorragend. Wer die Musik von Zeo Wees mag und das Album im Hintergrund dudeln lässt, der weiß nach dem 14. oder 15. Titel sowieso nicht, wie viele (oder gar welche) Titel noch kommen oder ob die Repeat-Schleife schon wieder von vorne angefangen ist.

    Insofern kann man das Album auch anders sehen: Saubere Arbeit. Gleichmäßig gut. Kein einziges schlechtes Lied drauf, das man skippen möchte. Dazwischen noch einige Hits, die aus dem guten Durchschnitt noch ein wenig herausstechen. Mir gefällt das Album. Ich werde es sicherlich noch oft nebenher hören. Was ja sicherlich auch genau das Ziel der Produktion ist.

  • Vor einem Jahr

    Gut produziert aber die Stimme haut mich nicht um.
    Irgendwie austauschbar.