18. April 2018

"Die Arschlöcher dürfen nicht gewinnen"

Interview geführt von

form im Gespräch über Sexismus und sexualisierte Gewalt, Feminismus, K.I.Z. und Gutmenschlichkeit.

Eigentlich sollte es in diesem Interview ganz explizit um Sexismus im Rap gehen. Doch wenn man einen derart intelligenten und eloquenten Gesprächspartner wie form hat, nagelt man ihn nur ungern auf ein Thema fest. Deswegen spricht der Rapper nicht nur über Sexismus als gesamtgesellschaftliches Problem, sondern kratzt auch an Rassismus und Integration und wie diese gelingen kann.

Es zeichnet ein trauriges Bild unserer Gesellschaft, dass wir es als bemerkenswert erachten, wenn ein Mann, ausgerechnet auch noch ein Rapper, über Themen wie Sexismus spricht und sich mit Frauen solidarisiert. Eigentlich sollte es doch normal sein, jeden Menschen gleich zu behandeln, ganz unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft. Doch dazu lieber mehr von form selbst.

Hier nun die Dokumentation eines wichtigen Gespräches, stattgefunden irgendwo in Neukölln.

Ich habe mir gedacht, wir reden heute über Sexismus im Rap. Da können wir auch prima mit deinem neuen Video einsteigen. Magst du nochmal kurz erklären, was oder wer "Team Backstein" überhaupt ist?

"Team Backstein" sind alle, die keinen Bock mehr auf die Scheiße haben, wie es im Refrain auch heißt. Und die sich entschlossen haben, beim Themenkomplex Sexismus und allem, was dazu gehört nicht mehr nur vorsichtig aufzutreten und sich zu entschuldigen, dass sie da sind und eine Meinung haben, sondern etwas forscher voranzugehen und natürlich auch, im Bezug auf den Backstein, einfach mal aufs Maul zu hauen. Nicht mehr zu warten, bis irgendwer anders die Security ruft, die dann nicht kommt und das nicht ernst nimmt.

"Team Backstein" ist tatsächlich einer der wenigen Tracks, der nach innen gerichtet ist. Sonst versuch' ich immer, eher übergreifend und inklusiv zu sein, und das ist jetzt ein exklusiv-Track an Leute, die das Thema gleich verstehen. Das ist ja auch auf der Textebene erstmal ein bisschen kryptisch, wenn man zum Beispiel den Text von mir im Splash-Mag nicht gelesen hat, weiß man nicht unbedingt, was da genau gemeint ist. Das ist auch offen für Militanz in anderen Bereichen, die ich auch prinzipiell nicht ablehne. Das ist "Team Backstein". War das ein bisschen zu zerfaselt?

Alles gut. Gewalt als letzte mögliche Instanz, um etwas zu verändern?

Nicht mal direkt, um etwas zu ändern, sondern um zu überleben. Also, ja: Die Darstellerinnen im Video schlagen auch zu, mussten auch schon zuschlagen. Wenn sie das nicht getan hätten, dann würden sie entweder immer noch darunter leiden, oder es würde weiter passieren. Ich bin als Kind selbst oft krass verprügelt worden und ich krieg' jetzt noch richtige Anfälle, wenn mich jemand ohne mein Konsens berührt. Es geht also weniger darum, das Problem anzugehen, sondern erstmal auf sich selbst Acht zu geben. Wenn jemand komplett deine Grenzen missachtet, dann musst du dir irgendwie Gehör verschaffen. Das ist sehr schade, weil ich find' Gewalt selbst eigentlich überhaupt nicht toll, das sag' ich in dem Track auch: "Nicht wir sind schuld, dass es jetzt knallt." Sondern es ist eine Gegenwehr, ein Sich-Behaupten. Es ist an Menschen gerichtet, die Opfer eines Übergriffs, welcher Art auch immer, wurden. Sie sollen nicht in der Isolation bleiben und sie sollen zum Beispiel sehen, dass auch Männer sich mit dem Thema befassen.

Das ist ja auch eine kleine Gratwanderung, die ich da eingeh'. Ich kann nicht für Frauen sprechen, die statistisch viel häufiger vergewaltigt werden, aber ich kann mich trotzdem solidarisch zeigen. Ich glaub', es ist extrem wichtig, dass sich auch Männer mal mit dem Thema befassen und nicht nur sagen: "Das ist ein Frauenthema, macht ihr mal." Nein, Alter, das ist ein gesellschaftliches Thema und Männer sind fast immer Täter.

Als ich mich ein bisschen durch dein Online-Magazin FICKO geklickt habe, ist mir besonders ein Artikel im Gedächtnis geblieben. Die Autorin meint darin: "Ich schlag' jetzt zu und seitdem gehts mir gut." Der Artikel hat mich darüber nachdenken lassen, wie man mit unterschwelligem Sexismus und unterschwelligen Übergriffen umgeht, wie sie beispielsweise im Büro passieren können. Ich kann ja schlecht meinem Chef in die Fresse hauen.

Ja, ja, voll. Da gehts ja jetzt auch gar nicht unbedingt darum, dass man das immer komplett so machen muss, sondern eher als Haltung. Nicht jetzt schlagen unbedingt, aber du darfst dich wehren. Du hast keine Pflicht, irgendwas als normal hinzunehmen, oder als so banal, dass man darüber nicht reden muss. Das kenn' ich wiederum tatsächlich aus eigenem Erleben, wenn auch bei ganz anderen Themen. Aber so dieses sich selbst nicht ernst nehmen und sich selbst nicht zugestehen, dass es erlaubt ist, bei irgendetwas zu sagen: "Hey, das stört mich." Auch so Sachen wie: "Fuck, hätt' ich damals was gesagt, jetzt ist es ja schon ein bisschen her, jetzt kann ich nix mehr sagen." Das ist extrem giftig und scheiße und falsch. Das darf man gar nicht mit sich machen lassen.

De facto läuft es halt trotzdem ganz oft so. Und Frauen wird auch extrem oft beigebracht, dass das, was sie sagen, gar nicht so wichtig ist. Wie viele Leute, vor allem Frauen, ich kenne, die mir oftmals von einer Situation erzählen, aus der sie nicht rauskamen, weil sie sich nicht getraut haben, was zu sagen. Also irgendjemand fasst dir an den Arsch und du weißt nicht, was du da machen sollst, bist voll verdattert und ärgerst dich hinterher und regst dich jetzt noch drüber auf. Ich will, dass man darüber mal nachdenkt. Dass das einfach nicht mehr als normal angesehen wird. Das ist so krass. Was ist das denn? Was für ein trauriges Zeugnis von Zivilisationsversagen. Was ist daran denn normal? Also, normal im Sinne von "es sollte die Norm sein" - ne, sollte es halt nicht. Es darf so nicht sein. Da muss sich Einiges ändern, und das müssen wir eben tun. Zum Beispiel durch Diskutieren. Denn im Prinzip wird dir ja Gewalt angetan. Auch wenns nur was ganz Kleines ist. Es ist dann halt kein Schlag in die Fresse, sondern 'ne Respektlosigkeit, die trotzdem schmerzt. Auch die darf man abwehren. Auch da darf man sagen: "Finger weg."

Das ist für Frauen nochmal hundertmal schwerer, weil denen gesagt wird: "Immer schön lächeln und nie nein sagen." Das ist aber falsch. Das dürfen wir nicht akzeptieren. Da müssen wir halt dort, wo wir sind, leben, arbeiten, was auch immer, was tun. Zum Beispiel versuchen, solidarisch mit Leuten zu sein, die es versuchen und dann vielleicht auch was falsch machen. Dieser Weg ist ja noch nicht schon voll vorgelebt.

Jetzt hab ich überhaupt nicht das beantwortet, was deine Frage war. Was war deine Frage nochmal?

Eh ... ich weiß es nicht mehr. Aber mir ist eine andere Frage eingefallen: Ich selbst erlebe derartige Situationen eigentlich nur aus der "Opferperspektive", sozusagen. Ich frage mich dann immer, wie das für einen Mann ist, der vielleicht damit aufgewachsen und sozialisiert worden ist, dass es okay ist, einem Mädel an den Arsch zu packen, ohne dass sie dem zustimmen muss. Wie ist das für dich?

Da kann ich tatäschlich wenig sagen, weil ich das auch schon mit elf oder so so gemein und so scheiße fand, wie die Typen, die irgendwie zwei, drei Klassen über mir waren, mit ihren Freundinnen umgegangen sind. Da hab ich mir damals schon gedacht: "Wenn ich 'ne Freundin hätte, würde ich nicht so gemein zu der sein." Ich kann mich noch an diesen Gedanken erinnern, da war ich so 5. oder 6. Klasse. Ich kann mich aber auch noch daran erinnern, wie wir in der Grundschule schon zu Mädels "Weiber" gesagt haben. "Weiber". Das war "Mädchenschleim" und "Weiberschleim", wenn ein Mädchen einen berührt hat. Die waren halt echt weniger wert, das war auch völlig klar. Natürlich war das auch irgendwo Unsicherheit. Aber das hab ich nicht hinterfragt, irgendwie. Das ist mir irgendwann vor ein, zwei Jahren eingefallen.

Bei mir ist der Zugang zu dieser ganzen Thematik eigentlich auch über den Feminismus gekommen. über Frauen, Freundinnen und Verwandte, die mir Sachen erzählt haben. Und dann kommt tatsächlich erstmal der Wille, überhaupt niemals so sein zu wollen. Dann merkt man aber bei manchen Dingen: "Scheiße, da war ich ja auch voll das Arschloch." Besonders im Redeverhalten. Eine Freundin hat mir beispielsweise von Haftbefehls "Hang The Bankers" erzählt, und ich habe ihr nicht geglaubt, dass Haftbefehl einen Track mit einem englischen Namen hat. Und hinterher hat sie mich angekackt und gesagt: "Hey, du hast mir nicht geglaubt, weil ich 'ne Frau bin." Weiß ich nicht, obs daran lag, aber ich war schon sehr überzeugt davon, dass ich auf jeden Fall Recht hatte. Hatte ich halt aber nicht.

Oder Leute so ein bisschen ärgern, oder necken, auch wenn es nicht böse gemeint ist. Das macht man bei Frauen irgendwie öfter. Die haben vielleicht auch gelernt, oder ganz oft schmerzhaft lernen müssen, dass sie immer lächeln müssen. Das heißt, die lächeln dann, während sie ganz leicht sagen: "Bitte, hör' auf damit." Man macht trotzdem weiter, und hinterher merkt man: "Fuck, Alter, ich hab das Nein überhaupt nicht ernstgenommen." Da gibts Tausende solcher Beispiele. Es ist halt ein Riesenspektrum zwischen nicht ernst nehmen und Vergewaltigung. Aber es fängt halt schon damit an, wenn man Leuten weniger Wert zuspricht und sie nicht ernst nimmt, weil sie Frauen sind.

Ich glaube, dass das teilweise schon im Kindsalter anfängt.

Na, klar. Das fängt sogar vorher an. Wenn du noch nicht mal geboren bist. Da gibt es auch Studien, dass, wenn ein Mädchen im Bauch der Mutter viel Action macht, dann wird das anders wahrgenommen, als wenn ein Junge das macht. Der ist dann halt lebhaft. Von Anfang an wird man so sozialisiert.

Gerade kam auch wieder eine Studie raus, dass Frauen in der Steinzeit sogar mehr gejagt haben als Männer. Dieses ganze "Das war ja früher schon so", das sind alles Mythen, im Bezug auf den Sexismus. Dabei stimmt das aber gar nicht. Es war nicht schon immer so.

Es entsteht halt jetzt erst wirklich ein Bewusstsein dafür, dass wir unsere Geschichtsschreibung auf so einem, nennen wir es mal "Patriachat" aufgebaut haben.

Nicht nur aufgebaut. Frauen wurden ja auch rausgestrichen, rausradiert. Da gibts unzählige Beispiele. Wie viele Menschen immer fragen: "Was haben denn Frauen jemals gemacht?" Jo, die wurden aktiv rausgeschnitten, aus der Geschichte. Hinterher wurde die Geschichte der Sieger erzählt und behauptet, es wären nur Männer gewesen. Dabei haben Frauen ganz schön viel gemacht. Auch in diesen angeblichen Männerdisziplinen, Held und Schwert und vorne an der Front.

"K.I.Z. sind ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen muss"

Männerdisziplinen ist ein gutes Stichwort um endlich mal auf Rap zu kommen. Meinst du, es gibt im Rap viel mehr Frauen, als wir eigentlich wahrnehmen?

Ja, auf jeden Fall. Hast du schon mal von Mansha gehört? Die hab' ich vor 'nem Jahr oder so auf Facebook kennengelernt. Die hat Anfang der Neunziger gesprüht, gebreaket und gerappt. In diesen ganzen Rückschauen und Anthologien des Deutschrap-Kanons - Blitzmob, Advanced Chemistry, Too Strong und was weiß ich nicht alles - da kommen Frauen erst ab Cora E. vielleicht vor. Vorher nicht. Aber die gab es damals. Das ist jedes Mal wieder die Auslöschung der weiblichen Geschichte. Und im Rap gibts natürlich auch 'ne weibliche Geschichte. Warum auch nicht? Rap ist geil, natürlich begeistert das auch Frauen. Wenn aber die Leute, die die Geschichte aufschreiben, das nicht auf dem Zettel haben oder das nicht so geil finden, weil sie vielleicht Sexisten sind, ja, dann ist das alles nicht so wichtig. Denn Frauen muss man ja nicht so wichtig nehmen.

Es wird immerhin überhaupt mal diskutiert. Also, es passiert wenigstens ein bisschen was. Und das liegt ja unter anderem auch an den Frauen, die das in der Szene thematisieren, sich Gehör verschaffen. Gerade Feminimus ist vor allem bei Männern extrem unbeliebt, und die haben ja oft die Deutungshoheit über das, was "cool" ist. Coolness ist auch ein sehr "männliches" Konzept. Es passt sehr zu dem, wie Männlichkeit konstruiert wird. Emotionsunterdrückung und so weiter. Cool sein halt. Aber: "The future is female." Ich glaub', das ist nicht nur so'n Spruch, ich glaub', das wird auch im Rap noch deutlicher werden und stärker kommen. Allein die, die jetzt mit Haiyti aufwachsen. Denen wird man das nicht so einfach erzählen können, dass es gar keine Frauen im Rap gibt.

Hayiti ist auch die erste, zumindest die erste, die ich so mitkriege, die nicht mit diesem maskulinen Ding spielt. Wenn du dir zum Beispiel Schwesta Ewa anschaust, die ja, blöd gesagt, einfach rappt wie ein Mann. Sie imitiert das, irgendwie auch geil. Aber trotzdem ist da ein meilenweiter Unterschied zwischen den beiden. Es stellt sich bei Haiyti nicht die Frage, ob sie jetzt gut rappen kann, obwohl sie eine Frau ist. Sie macht das halt einfach. Ich glaube ja auch, dass in der Cloudrap-Szene Geschlecht ganz einfach komplett egal wird.

Das glaub' ich tatsächlich gar nicht. Da ist man, glaub' ich, schnell mit großen Hoffnungen. Wenn man sich anschaut, was die Leute da so von sich geben ...

Du spielt auf Rin an?

Ja, zum Beispiel. Oder wen es da sonst noch so gibt. Das sind ja auch oft ganz schöne Trottel, die einfach nur "Kunstfreiheit" schreien. Ich hab' keine Ahnung, was Cloudrap ist, deswegen benutze ich diesen Begriff nicht so gern, aber sagen wir mal Cloudrap dazu. Er ist einfach sehr liberal, im Sinne von "Du kannst machen was du willst". Das find' ich schon auch schön, das ist total befreiend. Es ist aber auch für ganz viele Arschlöcher ein Freibrief, komplett freizudrehen und sich gar nicht mehr begründen und irgendeiner Verantwortung stellen zu müssen. Dass es aber trotzdem so 'ne gewisse "Axt & nackter Oberkörper im Wald"-Männlichkeit untergräbt, das glaub' ich schon auch. Da ist mehr Platz als im Boombap. Aber das heißt halt nicht, dass da automatisch mehr passiert. Haiyti hat ja, soweit ich das einschätzen kann, ihre Weiblichkeit weniger thematisiert als Schwesta Ewa. Deswegen find' ich das, was Schwesta Ewa da einbringt, sogar noch kontroverser, weil Haiyti im Prinzip, wie Angela Merkel auch, ignoriert, dass sie 'ne Frau ist. Andererseits wiederum auch nicht, weil sie ja auch offensiv so Emo-Trap macht. Das bricht zumindest ein Stück weit mit einer komplett verpanzerten Männlichkeit. Also, "männlich" würd' ich das jetzt auch nicht nennen, ich mein' nur die Art, wie man das thematisiert. Geschlecht ist halt als so normal angesehen, dass man gar nicht mehr darüber redet.

Der letzte FICKO-Artikel, den ich gelesen habe, beschäftigte sich mit Sexismus und sexualisierter Gewalt im Punk. Siehst du da Parallelen zu Hip Hop?

Ja, auf jeden Fall. Zu Punk kann ich weniger sagen, weil ich damit weniger zu tun habe als mit Rap. Aber da gibt es auf jeden Fall Ähnlichkeiten. Die Leute kommen sich megageil vor und sind de facto doch viel beschissener, als sie zugeben. Das ist so eine Gemeinsamkeit.

Sie beschreibt in dem Artikel, wie sie oder ihre Freundinnen auf Konzerten mehr oder weniger sexuell missbraucht wurden. Ist dir sowas im Rap-Kontext zu Ohren gekommen?

Zu Hauf. Wenn man sich anguckt, wie über Frauen gesprochen wird, Groupies und sonstwas. Da braucht man nicht viel Fantasie. Und klar, man kriegt schon einige Geschichten mit. Ich bin da zu weit außen vor in der Szene, um konkretere Geschichten zu kennen. Aber das, was #MeToo ausgelöst hat, das kann mir niemand erzählen, dass es das bei Rap nicht gibt. Und dass nicht mal darüber geredet wird, ist halt nochmal ein viel größeres Zeichen. Ich mein', was hat Gzuz gerappt: "Deine Frau bläst unterm Beifahrersitz." Das ist dieses klassische Besitzdenken: Deine Freundin ist dein Besitz, und um dich zu kränken, muss ich so etwas mit deinem Besitz machen.

Siehst du da eine Grenze zwischen aktivem Sexismus und Stilmittel? Es gibt ja immer wieder den Standpunkt, dass ein Punch oder Ähnliches nur eine Art Kunstform ist, kein Sexismus.

Naja, wenn es als Stilmittel benutzt wird, dann ist es ja aktiver Sexismus. Warum denunziert man denn einen Mann, indem man ihm sagt: "Du bist eine Frau"? Das macht man in der Annahme, dass eine Frau weniger wert ist. Das steckt ja da drin, und das ist natürlich sexistisch. Es ist auch egal, wie man das meint. Man könnte natürlich auch hundertmal sagen: "Das Hakenkreuz war anders gemeint. Und auch der Hitlergruß ist doch eigentlich der römische Gruß." Wenn du dann das Hakenkreuz und den Hitlergruß machst, dann brauchst du dich halt nicht wundern, wenn das Reaktionen auslöst. So ist es auch bei anderen Sachen. Es gibt eben 'nen Kontext: Wer bist du, was sind deine Positionen, was ist der Kontext, in dem du das sagst? Das ist scheißegal, wie du das gemeint hast. Wenn du rassistische, sexistische Wörter benutzt und das was auslöst, dann musst du halt überlegen, woran das liegen könnte.

Man macht natürlich trotzdem mal aus Versehen was falsch, dann sollte man auch die Möglichkeit bekommen, sich zu erklären. Aber wie etwas wirkt, kannst du eben nicht beeinflussen. Wenn du mit krassen Wörtern um dich schmeißt, yo, dann wirst du halt so wahrgenommen. Das ist dann nicht der Fehler der anderen.

Wie siehst du das im Kontext von K.I.Z., beispielsweise?

Da kam gestern erst diese Radiosendung von Simon Langemann, hast du die anhören können?

Ich hab nur mal kurz reingeskippt, leider.

Da haben wir nämlich sehr viel darüber geredet. Ich seh' das da ähnlich. Ich wiederhole mich jetzt im Prinzip, weil wir das in dem Podcast auch hatten. Ich finds halt nicht geil. Ich find' manche Sachen, die die machen, total gut. Ich find' aber auch, dass sie sehr harte Kritik verdient haben, weil die nicht genug über ihre Männlichkeit nachdenken. Was man auch daran merkt, worüber sie Witze machen, sich zu machen trauen. Vergewaltigung kommt bei denen ja nur als Witz vor. Das heißt, dass die ja offensichtlich noch nie drüber nachdenken mussten. Für Leute, die 'nen anderen Zugang zu dem Thema haben als nur darüber zu lachen, ist das nicht cool. Deswegen find' ich auch, dass K.I.Z. ein Beispiel dafür sind, wie man es nicht machen muss.

Und weil ich ja weiß, wie es ist, denken die Leute jetzt "Oh mein Gott, man darf gar keine Witze mehr machen, mimimi, Kunstfreiheit, Satire, bla bla bla." Yo. Dann seid eben kreativ und macht nicht das, was schon hunderttausende Male ausgelatscht und das einfachste der Welt ist. Typen, die Frauenwitze machen. Ha. Ha. Ha. Man kann auch anders witzig sein.

Dieses Bedürfnis, sich unangreifbar darzustellen, das hat ja auch was mit Männlichkeit zu tun. Diese aggressive, unbeeindruckte und desinteressierte Männlichkeit, die auch in diesen Witzen drinsteckt. Wenn man über alles Witze macht, heißt das ja auch, dass man sich darüber erhebt. Ich find' das halt nicht so spannend und ein bisschen billig. Und das ist bei K.I.Z. auch dabei. Das ist natürlich auch 'ne Überlebensstrategie. Das heißt jetzt nicht, dass die voll die schlechten Menschen sind. Die sind halt auf eine bestimmte Weise aufgewachsen. Da brauchtest du dieses dicke Fell und die Sprüche, sonst gingst du unter. Aber die Frage ist eben: Willst du dich nicht irgendwann mal davon befreien, ein bisschen da rauskommen? Und vielleicht auch gerade an dem Punkt, an dem Tausende Leute zu dir aufschauen? Hast du vielleicht auch mal Bock, dich selbst was zu trauen, ein bisschen Neuland zu betreten, oder willst du immer wieder dasselbe machen?

Dieses Problem gibt es auch weit über Rap hinaus und überhaupt nicht nur bei K.I.Z.. Aber du hast gerade nach K.I.Z. gefragt. Ich will die jetzt nicht mega dissen. Aber der Anspruch muss sein: Du wirst mit dem ernst genommen, was du sagst. Wenn du ein Thema auf eine gewisse Art und Weise bedienst, darfst du nicht erwarten, dass du Applaus dafür bekommst. Ich fänds gut, wenn wir es als Gesellschaft hinbekommen, mal einen Konsens darüber zu haben, dass Vergewaltigung nicht witzig ist.

Schönes Ziel.

Ja. (lacht) Das ist halt total utopisch.

Wir beide sind ja nun auch Menschen, die sich auf eine Art und Weise damit beschäftigen und da vielleicht auch in einer Filterblase drinstecken, die sich mit dem Thema auseinandersetzt. Wie kommen wir aber an Menschen ran, die das überhaupt nicht auf dem Schirm haben? Capital Bra, seine Hörer, Farid Bang und die ganze Banger-Bande, zum Beispiel?

Das versuch' ich gerade. Bisher noch nicht allzu erfolgreich, aber ich möchte, dass in der Rap-Szene über Männlichkeit geredet wird. Dafür setze ich mich ein und nutze die Bühne, die mir gegeben wird. Einen Track machen, ein Video, in diesem Interview darüber reden. So oft, bis es allen aus dem Hals hängt und sie es nicht mehr an andere abschieben, sondern selbst sich damit auseinandersetzen. Das ist mega die Sysiphos-Arbeit, aber die Alternative wäre, es nicht zu probieren. Jeder einzelne Mensch, der ein Interesse daran hat, muss sich drum kümmern. Und wenn es nur eine Person ist, die du zum Nachdenken bringst. Ich hab' selbst viel dadurch gelernt, dass andere mit mir geredet haben. Ich bin nicht krass schlauer als andere Menschen. Alle können das. Jeder Mensch kann sich respektvoll verhalten. Das ist eine Frage von Kultur. Was wird belohnt, was wird geahndet. Wir müssen halt dafür sorgen, dass Sachen mehr geahndet werden, die bisher einfach nur durchgewinkt wurden. Jeder kann was sagen, jeder kann eingreifen, oder die eigene Position mal klar machen. Männer trauen sich ja ganz oft überhaupt nicht, was dazu zu sagen, weil es uncool ist. Man will ja lieber der Täter sein und nicht das Opfer. Das muss man halt durchbrechen. Überall immer wieder darüber reden und das so lang, bis die Leute die Argumente aufbeten können.

Bei manchen Aspekten ist es schon ein bisschen besser als vor hundert Jahren. Nicht bei allen, bei manchen Sachen ist es auch schlechter. Aber bei den Sachen, die besser sind, lag es halt daran, dass ziemlich viele Leute etwas getan haben. Und das unter anderen Bedingungen. Die hatten kein Internet. Die haben richtig hart hustlen müssen. Aber gerade sind revolutionäre, historische Zeiten. Alter, was #MeToo noch für Wellen schlagen wird. Das ist noch gar nicht abzusehen und das ist gerade ein halbes Jahr alt. Das ist so riesengroß. Es können sich echt Sachen verändern, und wir müssen alle auch ein Stück weit Träger dieser Veränderung sein.

"Wir brauchen eine Gesellschaft, an der alle teilhaben können"

Meinst du, man kann das auch Leuten klar machen, die sich nicht als Teil dieser Gesellschaft sehen? Gerade an Menschen in sogenannten Problembezirken ranzukommen und ihnen zu zeigen, dass sie eine gewisse Verantwortung haben, ist ja sehr schwierig.

Ja. Das ist halt auch genau das Problem, die Spaltung der Gesellschaft und die Ausgrenzung und Armut. Deswegen ist es auch gut, nicht nur ein Thema zu haben. Wer Antifeminist ist, ist mit viel höherer Wahrscheinlichkeit auch Rassist, Antisemit und so weiter. Deswegen: Gutmenschlichtkeit. Sei kein Arschloch. Gib dir so viel Mühe wie möglich. Du kannst mehr tun, du musst nicht alles hinnehmen. Du musst das auch für dich selber tun. Über dich selber erstmal nachdenken. Das geht. Es ist nicht einfach, aber es wird klappen. Man schafft es vielleicht, mit extrem viel Aufwand, eine Person zu überzeugen. Aber ich glaube, insgesamt gesellschaftlich kriegen wir es nur durch einen richtig riesengroßen Aufriss hin. Es muss sich im System was ändern, im Denken, bei allem. So wie das jetzt weiterläuft, fährt das alles richtig hart an die Wand. Da wird es richtig hart knallen. Mord und Totschlag. Das muss ja aber nicht das einzige sein, worauf es hinausläuft. Wir können ja auch sagen: "Wir wollen das nicht, sondern eine Gesellschaft, die auf Kommunikation und Solidarität basiert." Dafür müssen wir halt was tun. Zum Beispiel bei Themen wie dem Sexismus einfach mal zuhören und gucken: Wie ist es denn? Die Hälfte der Weltbevölkerung sagt, da gibt es ein Problem. Dann sollte man vielleicht nicht einfach sagen: "Es gibt kein Problem." Dass man das nicht alles sofort erreicht, ist klar. Wann war das jemals anders?

Realistisch gesehen: Meinst du, wir schaffen das?

Da schwank' ich immer wieder. Ich glaub', wir können es schaffen, aber ich bin nicht sicher.

Mir geht es genauso. Und was mir dabei noch mehr Angst macht, ist, dass ich nicht weiß, wie groß der Anteil der Menschheit wirklich ist, der das genauso sieht wie ich. Du hast ja eben gesagt "Die Hälfte der Weltbevölkerung sagt, da gibt es ein Problem." Aber ist das wirklich so, oder ist das unsere Filterblase, die uns den Eindruck gibt?

Natürlich. Es ist ja auch nicht so, dass alle Frauen sagen: "Sexismus ist ein Problem". Das ist ja auch eine politische Entscheidung, dass man Sexismus als Problem anerkennt und etwas dagegen tun will. Das ist jetzt nicht einfach so als biologische Software mitgeliefert, weil du eine Frau bist. Aber egal, ob sie gegen Sexismus sind oder nicht, betroffen sind sie schon davon, dass sie in den Augen vieler Männer weniger wert sind und sich Gedanken darüber machen müssen, wie sie rausgehen, weil es eine Gefahr bedeuten könnte, sich so und so anzuziehen. Frauen, die Sexismus nicht als Problem sehen, denken vermutlich, das wäre normal, weil Männer sind halt so. Betroffen sind sie aber trotzdem.

Die Begründung, etwas nicht zu machen, weil ja eventuell gar nicht alle dahinter stehen, ist glaube ich, einfach gar nicht nötig. Allein, wenn es nur dir selbst schlecht geht und du willst daran etwas ändern, ist das doch trotzdem legitim. Natürlich werden nicht hundert Prozent der Frauen das alles so unterschreiben. Aber das müssen sie ja auch gar nicht. Alle, die Bock haben, dagegen etwas zu tun, machen eben einfach mit. Daran arbeite ich. Dass wir etwas Zugängliches schaffen, ein "Team Backstein": "Alle, die keinen Bock mehr auf die Scheiße haben, sind eingeladen." Alle dürfen mitmachen. Und so, finde ich, muss die Gesellschaft auch funktionieren. Die "Gesellschaft der Vielen" heißt, alle die Bock haben, mitzumachen, müssen mitmachen können. Und wir müssen das so anlegen, dass Unterschiede prinzipiell akzeptiert werden. Nicht nur eine Art von einziger Wahrheit. Die Leute haben halt alle einen unterschiedlichen Background, dann müssen wir die Gesellschafts- und Machtstrukturen eben so bauen. Das gängige Bild ist immer noch der westliche, weiße Mann in der Chefredaktion, zum Beispiel. Oder der westdeutsche, weiße Mann in den Ministerposten. Das ist ein Riesenproblem, dass Ostdeutschland gar nicht in der Regierung repräsentiert ist. Das spielt den Leuten von der AfD natürlich in die Hände. Dabei könnte man das ja beheben, wenn man ein bisschen drüber nachdenkt. Wenn man nicht will, dass die AfD nicht nur in Sachsen eine riesige Mehrheit bekommt, sondern überall, dann müsste man mal was dagegen tun.

So langsam werden ja auch Änderungen sichtbar. Dass Jens Spahn zum Beispiel kritisiert wird, für den Unsinn, den er verzapft. Er ist ja nicht der erste, der so 'ne Scheiße redet. Das war früher normal, dass da nicht drüber geredet wurde. Und jetzt ist die Sichtbarkeit ein bisschen größer geworden. Und mit der Zeitwende des Internets können sich ja auch alle marginalisierten Gruppen eine Stimme verschaffen, ohne von irgendwelchen Gatekeepern abhängig zu sein, die sagen: "Du kommst mit deinem Text nicht in die Zeitung."

Läuft man da nicht auch Gefahr, in genau diese Gruppen abzudriften und an die anderen überhaupt nicht mehr ranzukommen?

Ja. Da läuft man auch Gefahr. Aber das muss man eben mitbedenken. Zum Beispiel, indem man sich selbst auch klar macht, dass man Teilidentitäten hat, ob man will oder nicht. Zum Beispiel bin ich als Mann auch dadurch geprägt, dass meine Hautfarbe nie ein Thema war. Ich bin weiß, ob ich will oder nicht. Das ist ein Teil meiner Prägung gewesen.

Aber, ja, diese Gefahr der Anomie gibts natürlich. Da gibt es einen sehr interessanten Text von Konstantin Bethschneider. Wenn es in der Mehrheitsgesellschaft gar keinen Raum dafür gibt, einfach als normaler Mensch akzeptiert zu werden, als eine Person, die irgendwie abweicht, dann sucht man sich halt ähnliche Leute. Das wird dann von der Gesamtgesellschaft total skandalisiert, wenn sie 50 Jahre später merkt, dass sich da eine Art Parallelgesellschaft gebildet hat. Huch, da könnte man ja vielleicht mal was machen. Und dann kommt auf einmal eine Integrationspflicht, nachdem man jahrzehntelang nicht mal Sprachkurse angeboten hat. Dann haut man auf die Leute drauf, denen man es Jahrzehnte zuvor nicht mal möglich gemacht hat, sich zu integrieren. Integrieren ist auch wieder so ein problematisches Wort, also, mitzumachen, teilzuhaben an der Gesellschaft. Da müssen wir hin. Das ist mein großes Projekt. Wir brauchen eine Gesellschaft, an der alle teilhaben können. Wir wollen zur Gesellschaft der Vielen. Die ganzen Sachen, die einem in der Schule erzählt worden sind, die im Grundgesetz stehen: Der Großteil davon ist in der Realität überhaupt nicht umgesetzt. Da müssten wir hin. Wir müssen als Gesamtgesellschaft einen Weg finden. Wir müssen identifizieren, woran das liegt, dass bestimmte Leute gar nicht mitmachen. Die kann man ja mal einladen. Zum Beispiel bei einem Freestylebattle. Wenn ich da nichts mache, dann ist es doch klar, dass weibliche Nachwuchs-MCs nicht kommen. Sie trauen sich vielleicht nicht, weil sie wissen, sie werden wieder als Frauen degradiert, in ihrem Frau-Sein abgewertet. Wenn ich aber will, dass mehr weibliche MCs kommen und in der Szene existieren, damit auch das Publikum ein bisschen diverser wird, dann muss ich auch die Strukturen so ändern, dass sich Frauen eingeladen fühlen. Dass sie sich wohl fühlen.

Natürlich schafft man nicht mit einem Freestylebattle 4000 Jahre Menschheitsgeschichte ab, oder wie lang auch immer sexistische Strukturen schon greifen. Aber, yo. Dann macht man es halt nochmal und macht vielleicht auch Fehler, aber man muss zumindest den Versuch starten, wenn man was ändern will.

Hast du denn schon ein Erfolgserlebnis gehabt, von dem du berichten kannst? Zum Beispiel, dass du mit jemanden aus der Hip Hop-Szene gesprochen hast, der so überhaupt nichts von dem Thema hören wollte und dem du einen Floh ins Ohr setzen konntest?

Mein größtes Erfolgserlebnis sind tatsächlich immer Leute, die mir schreiben, dass meine Musik ihnen was gegeben hat. Da freue ich mich auch immer riesig drüber. Das ist jetzt nicht ein spezielles Erlebnis, das kommt immer mal wieder vor, vor allem seit dem ich explizit darauf hinweise, dass die Leute mir sagen sollen, wenn ihnen meine Musik was gegeben hat. Ich will ja nicht nur von den Leuten hören, die es scheiße fanden. Ich mach' das ja auch unter anderem wegen der Leute, die da auch was fühlen. [Überlegt sehr lange] Man bekommt ja nicht immer direkt gesagt "Übrigens, das hat da bei mir was ausgelöst." Das dauert manchmal auch ein paar Jahre. Gerade Männlichkeit muss hart sein, die gibt nicht zu, dass sie sich getäuscht hat. Ich gerate ja regelmäßig mit Leuten aneinander. Aber allein eine Auseinandersetzung darüber ist für mich schon ein Erfolgserlebnis, weil dieser Streit vorher gar nicht dar war. Es gab jetzt nicht ein spezielles Erlebnis, sondern eher viele kleine. Und die sind eingedeckt in Hunderte Erlebnisse, die einen irgendwie verzweifeln lassen. Es ist halt auch ganz viel Scheiße dabei, weil die Leute nicht hören wollen, dass wir was ändern müssen und dass es auch an uns Männern ist, etwas zu ändern. Das ist dann auch ein Erfolgserlebnis, dass mit mir nicht geredet wird oder ich nicht ernst genommen werde, denn das heißt: Immerhin haben die meine Botschaft wahrgenommen, die wissen immerhin, wo ich stehe. Aber ich hätte es auch gern anders. Ich bin jetzt nicht der einzige, der darüber reden muss. Ich will da eigentlich auch gar nicht zuständig sein.

Fragst du dich manchmal: Wofür mach' ich das eigentlich?

Auf jeden Fall. Extrem oft frag' ich mich das.

Und jetzt in einem Satz, deine Antwort: Warum?

Warum mach ich das? [Überlegt lange] Die Arschlöcher dürfen nicht gewinnen. Ganz einfach. Die Arschlöcher dürfen nicht gewinnen.

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