1. Oktober 2011

"Aktuelle Popmusik dreht sich nur um Geld, Sex und Saufen"

Interview geführt von

Als Aaron Bruno, Kopf und Hauptakteur von Awolnation, im März 2011 ein Mammutwerk von einem Album veröffentlichte, bekam diesseits des Atlantiks kaum jemand was davon mit. Besser spät als nie, denn "Megalithic Symphony", dieses Genre zerbröselnde Scheibchen zwischen Madonna und Refused, liegt seit Freitag auch in Deutschland im Handel.Während die Band im Juni für ein paar Tage in London weilte, ließen wir uns die Chance nicht entgehen, mit Mastermind dem dieser schizophrenen Musikmischung einige Worte zu wechseln.

Am Abend spielen Awolnation eines der bis dato seltenen Europakonzerte in der Hoxton Bar in West London. Dort treffen wir vor dem Soundcheck einen etwas geschlauchten Aaron. "Der Jetlag. Aber ich will keine Diva sein und hier rumheulen", meint er und stellt sich eine Cola auf den Tisch. Sobald er über Musik sprechen darf, leuchten die blauen Augen wieder auf und der Redefluss ist ungestoppt. Ein Vorbote der energiegeladenen Show, die wenige Stunden später das Dach des Clubs wegblasen sollte.

Aaron, was war deine erste musikalische Erfahrung, an die du dich erinnern kannst?

Es gibt einige Wegweiser in meinem Leben. Mein Vater hatte eine alte, klassische Gitarre mit Nylonsaiten und er spielte in diesen Flamenco/Latin-Bands, was irgendwie komisch war, denn er ist Italiener. Und er zeigte mir dann die ersten paar Töne von "La Bamba", das Hauptthema. Später kaufte er eine zweite Gitarre, eine billige, und wir begannen gemeinsam zu jammen. Ich spielte den Rhythmus, er die abgedrehten Sachen. Das war das erste Mal, wo ich Musik spielte und die Kraft dahinter fühlen konnte. Ich war in der ersten Klasse und so etwas in dem Alter zu entdecken, war sehr beeindruckend.

Das andere, an das ich mich erinnern kann, war im Auto meiner Mutter, als wir zur Schule fuhren. Ich bemerkte die Modulation in einem Madonna-Song, wenn der letzte Chorus in eine höhere Tonart wechselt. Übrigens etwas, dass ich in meiner Musik auch einmal durchziehen werde. Ich hab es ein paar Mal probiert, aber es klang dann nur nach Bon Jovi.

Nach "Living On A Prayer"?

Genau! Einfach lächerlich. Aber egal, damals im Auto fiel mir auf, wie sich die Tonart änderte und sich das ganze Feel drehte. Zumindest erzählt mir das meine Mom immer, ich kann mich nicht ganz genau daran erinnern. Solche Sachen, eben die Power von Akkordveränderungen und -progressionen hab ich schon früh aufgeschnappt. Und das trieb meine Liebe zur Musik immer weiter. In einer Million Jahren hätte ich nicht dran gedacht, dass ich es selber einmal spielen würde. Aber ich erkannte, wie sehr es mich bewegte und wie sehr es mir durch den Tag half.

Dadurch entwickelte sich dann auch eine Liebe zu anderen Instrumenten. Du spielst auch Schlagzeug?

Ja, gerade so eben. Ich weiß nicht, ob ich mich wirklich Schlagzeuger nennen darf.

Immerhin spielst du alle Drums auf "Megalithic Symphony" bis auf einen Song.

Ja, es gibt noch einen zweiten, "Jump On My Shoulders". Auf "Soul Wars" lud ich meinen guten Freund Tony Royster Jr. ein, den ich schon lange kenne. Ich hatte immer großes Glück, viele tolle Drummer in meinem Umfeld zu haben, z.B. auch Joe Porcaro, der Jeffs Vater ist. Wir waren mit seinem Neffen sehr gut befreundet, also lernte ich in sehr jungen Jahren auch Joe kennen.

Und als wir dann den jungen Tony kennenlernten, rauchten wir Gras, hörten ihm beim Spielen zu und drehten einfach durch. Es ist, als ob man Tiger Woods beim Golfspielen zusieht, Kelly Slater beim Surfen oder die Beatles live. Und als ich dann einmal einen schnellen Song hatte, wollte ich ihn unbedingt dabei haben.

Seine Spielweise ist ja wirklich sehr abgedreht.

Ja, es ist unmöglich. Hayden, unser jetziger Drummer, macht es auf seine Art. Wir haben vorhin gerade eine Live-Session für XFM hier gemacht. Und Hayden killt auf dem Song alles, er macht es zu seinem eigenen Ding. Ich glaube nicht, dass ein Schlagzeuger Note für Note das spielen sollte, was auf dem Album ist. Man will ja mit jemandem spielen, dem man vertraut, also können sie auch ihren eigenen Stempel der Musik aufdrücken.

Hayden hat auch im Chorus von "Jump On My Shoulders" die Drums gespielt. Den Rest hab ich live eingespielt oder programmiert. Keine direkten Samples, sondern nur die Sounds auf ein Minikeyboard geladen und dann eingespielt. Manchmal hab ich es dann noch perfektioniert, vieles aber einfach so stehen gelassen. Auf dem Song "Sail" ist nichts zurechtgerückt, die Percussion ist sehr frei und alles hat ein Laid back-Feel.

Das find ich wichtig. Hört man heute Popsongs oder auch Indiesongs an, hört man, dass der Produzent 'Beat Detective' (Pro Tools-Funktion fürs Timing) auf die Drums gelegt hat. Und das ist einfach nicht menschlich. Ich glaube nicht, dass es vielen Leuten auffällt, aber im Unterbewusstsein nimmt man das schon war. Ich würde auch nie meine Vocals irgendwohin tunen, auch wenn ein Part etwas zu hoch oder zu tief ist. Solange es gut klingt, behalte ich es. John Lennon sang manchmal zu tief, und er ist einer der größten Künstler aller Zeiten.

Dein Bassist Dave ist als einziger von deiner alten Band Under The Influence of Giants auch bei Awolnation mit von der Partie. Hast du dich mit ihm immer gut verstanden oder hast du einfach einen guten Bassisten gebraucht?

Eher letzteres. Als ich anfing, hatte ich einen anderen Bassisten. Da hatte ich noch keine Ahnung, wie weit das alles gehen würde. Ich wusste nicht, ob es eine Tour geben sollte, oder ob das Album überhaupt erscheinen wird. Wir hatten nur ein paar Songs, für die sich die Menschen zu interessieren begannen. Und dann wurde es Zeit, eine richtige Band aufzustellen, in die ich auch Vertrauen hatte.

Als die Giants sich auflösten, ging jeder seine eigenen Wege. Mit Dave hatte ich immer schon eine besondere stimmliche Verbindung, denn er machte viele Backup-Vocals bei den Giants. Und ich brauche zumindest zwei andere Leute in der Band, die wirklich singen können. Natürlich können wir live nicht alle durchziehen, aber wir werden sicher nicht Computertracks mitlaufen lassen wie Milli Vanilli.

Obwohl ich schon viele Bands gesehen habe, die das machen. Ehrlich gesagt hatten wir bei den Giants manchmal Backingtracks. Rückblickend schäme ich mich fast dafür, aber das mussten wir machen. Jetzt läufts aber nach Motto "what you see is what you get". Jedenfalls rief ich Dave an, und er war sofort an Bord.

"Der Sound stammt nicht von diesem Planeten"

Als die Giants auseinanderbrachen, wie ging es dir da?

Das war wirklich eine Zeit des Lernens und Wachsens. Es war der Drummer der Giants, der ankam und meinte, er wolle etwas anderes machen, außerhalb der Band. Das war natürlich verheerend für mich, aber zur gleichen Zeit fühlte es sich richtig an. Ich erkannte auch eine Möglichkeit, mein eigenes Ding durchzuziehen. Ich hatte noch keine Ahnung, ob es Aaron Bruno oder wie auch immer heißen sollte. Obwohl ich immer die Ansicht hatte, dass man irgendwie verwundbarer ist, wenn man sich bei seinem wirklichen Namen nennt. Vielleicht auch egozentrischer.

Viele Leute wollten mich davon überzeugen, mit meinem Namen weiterzumachen. Fuck them! Das klingt doch scheiße. (lacht) Und dann kam zu der Zeit grad der Ali-G Film "Bruno" raus, und ich wusste nicht, inwiefern das die Leute falsch verstehen könnten. Oder auch die Konnotation von Bruno mit einem italienischen Pizzabäcker, so sehe ich nicht aus und bin auch nicht so. So kam ich mit dem Namen Awolnation daher, nachdem ich den Song "Burn It Down" geschrieben hatte. Es klang irgendwie wild und vielleicht auch größer als ich mir gedacht habe.

Kann man sich hinter dem Namen gut verstecken bzw. ermöglicht der Name Dinge, die sonst nicht gehen würden?

Ich meine, ich kenne nicht viele Künstler, die mit ihrem eigenen Namen für eine bestimmte Musik stehen. Als Kind wollte ich kein Thom Yorke-Shirt anziehen, ich wollte ein Radiohead-Shirt. Würde James Hetfield jemals ein Soloalbum herausbringen, würde ich nicht sein Shirt tragen, sondern ein Metallica-Shirt. Ich denke, Menschen wollen ein Teil von etwas größerem sein und es sich auch irgendwie zu Eigen machen. Und es ist schwer, das bei einer einzelnen Person oder einem Namen zu fühlen.

Und so sollte das Album klingen: Wie eine Nation von Leuten, die gemeinsam diese Musik hören, um den alltäglichen Problemen des Alltag zu entfliehen, den sich ständig wechselnden Beziehungen mit Eltern, Freunden, Verwandten oder auch Jobs. Awol war mein Spitzname seit der High School, daran die Nation anzuhängen, fand ich einfach ganz gut.

Stimmt es, dass du unter diesem Namen auch gerappt hast?

Das ist wahr. Das habe ich ein paar Mal gesagt, und die Menschen scheinen das viel zu wörtlich zu nehmen. Aber wir hatten als Kinder einfach nur herumgealbert. Wenn wir zum Strand zum Surfen unterwegs waren, legten wir die "Endtroducing" von DJ Shadow auf, denn da gab es einen Song gleich am Anfang mit einem extrem fetten Drumbeat. Und darüber haben wir gerappt. Und wir waren furchtbar. Von dreißig Versuchen war vielleicht ein guter dabei, wo ich einen Moment der Klarheit und des Flows hatte.

Jedenfalls nannte ich mich Awol. Ich liebte auch die Idee, einfach zu verschwinden. Ich wollte nie an einem Ort sein, wo ich nicht sein möchte. Das müssen wir natürlich alle. Wir müssen zu Gericht, wenn wir einen Strafzettel bekommen, oder zu Jobs, die wir nicht gern machen. An diesen Sachen kommt man logischerweise nicht vorbei. Aber in einer perfekten Welt müsste man das nicht tun. Daher stammt auch Awol.

Auf dem Cover der EP, auf verschiedenen Plakaten und Youtube-Clips taucht immer das Bild des Astronauten mit dieser ganzen Weltraum-Bildwelt auf. Ist das Musikmachen für dich Abkapselung von der Welt?

Absolut, wenn wir unsere Musik machen, weiß ich nicht einmal, wo ich bin. Nichts anderes ist mehr wichtig. Die ganzen Klischees, die man von anderen Künstlern schon gehört hat, sie scheinen wirklich zu stimmen. Es ist ja nicht Raketenwissenschaft, ich behaupte nicht, das Rad neu zu erfinden. Aber ich denke, das Album, egal ob es Menschen mögen oder nicht, kann man nicht mit vielen Sachen vergleichen, man kann es schwer einordnen. Also ist es schon ein Sound, der von einem anderen Ort stammt, vielleicht nicht von diesem Planeten.

Als leidenschaftlicher Surfer schreibst du auch Musik auf deinem Surfboard?

Wenn ich im Wasser bin und die Wellen gut sind, kommen oft die besten Ideen. Dann denke ich mir, Shit, ich muss ans Ufer paddeln und das irgendwie mit meinem Handy aufnehmen! Meine Mutter, meine Freundin und ein Haufen anderer Menschen haben unzählige Voicemails von mir drauf. "Hey Mom, das brauchst du dir nicht anhören, behalte es nur für mich." Und dann singe ich eine Melodieidee oder Lyrics ins Telefon. Hört sich ziemlich komisch an im Nachhinein, das kannst du mir glauben.

Solche Sachen hört man auch auf dem Album, die kurzen Skits, das sind genau solche Voicemails. Das erste passierte, als ich mit Dan The Automator arbeitete, der einer meiner Helden ist. Manchmal haben wir aber erst um acht Uhr abends im Studio begonnen. Also bin ich noch an den Strand gefahren und hab bei Santa Cruz diese Zigeunerfrau gesehen, die eine Kreatur getragen hat. Bis heute weiß ich nicht, was es war. So eine Art Nagetier, aber viel flachgedrückt, mit komischem Fell oder Haut.

So etwas hab ich noch nie gesehen und das hat mich auf besondere Art und Weise berührt. Es war aufregend, über die Möglichkeiten des Unbekannten nachzudenken. Und das inspirierte mich, einen Song darüber zu schreiben, der aber noch nicht veröffentlicht ist. Keine Ahnung, wie und wann er herauskommt, er klingt ziemlich anders, ist mehr so ein Latin-Feelgood-Summer-Song.

Sind mehr neue Sachen in Arbeit?

Yep, ich weiß noch nicht, wann es veröffentlicht wird. "Megalithic Symphony" kommt ja hier erst in die Läden, da fangen wir gerade erst an. Und es sieht nach einer langen Reise aus. Aber ich habe schon mit dem zweiten Album angefangen. Wenn ich heimkomme, gehe ich ins Studio und arbeite. Ich habe soviel Zeit in dieses erste Album gesteckt. Und unabhängig davon, ob es den Menschen gefällt, man kann sich darauf einigen, dass es eine ambitionierte Platte ist. Und daher muss für mich das zweite Album auch wieder diesen Anspruch erfüllen, und hoffentlich noch besser werden. Bessere Songs.

Fließt das Tourleben in den Songwritingprozess ein?

Sicher, vor allem weil man live die direkte Reaktion der Leute sieht. Ich habe mir immer die Publikumsreaktion bei den Songs vorgestellt, wenn wir zum Beispiel eine ausverkaufte Show spielen. Aber einige Songs auf dem Album machen mir auf der Bühne mehr Spaß als andere. Solche Sachen lernt man mit der Zeit.

Welche Songs wären das zum Beispiel?

Haha, das wäre jetzt so, als würde man sagen: Welches von deinen drei Kindern enttäuscht dich am meisten? Das würde ihre Gefühle verletzen und ich möchte nicht die Gefühle meiner Songs verletzen. Gewisse Songs funktionieren auch viel besser live, als ich es mir gedacht habe. Der Song "Not Your Fault" ist zwar schon etwas älter, aber da geht die Menge immer ab. Dann gibts die Ballade "All I Need", die ich ursprünglich nie live spielen wollte, die erstaunlich heavy wird, aus irgendeinem Grund.

Spielt ihr alle Tracks von "Megalithic Symphony" live?

Wir lassen schon mal Songs aus. Kommt darauf an, wie ich mich fühle. Das Album ist gesangstechnisch wirklich herausfordernd. Bei vielen gehe ich wirklich an die Grenzen meines Stimmumfanges, da muss man aufpassen. Es ist nicht so, dass ich es nicht singen kann oder die Töne nicht treffe, ich krieg einfach keine Luft mehr und würde dann umkippen. Also lassen wir manchmal einen Song vom Album weg und spielen eine Nummer von der EP.

Ich habe definitiv keine coolen Dancemoves, eine Form von choreographiertem Tanz oder mehrere Outfits, auch kein Pyro. Ich versuche einfach nur ehrlich zu sein, und hoffentlich können sich die Menschen damit identifizieren.

In anderen Interviews machst du immer klar, dass deine Einflüsse zu vielfältig sind, um sie aufzuzählen ...

Stimmt, es ist einfach alles. Jede Art von Musik. Sogar instrumentale Dancemusic. (lacht) Ich liebe Justice, Boyznoize, Simian vor Simian Mobile Disco und vieles, vieles mehr. Ich liebe Refused, ich liebe Michael Jackson, ich liebe die großen Punkbands. Da versuche ich alles zu vereinen.

Als Liebhaber jeder Art von Musik, hast du schon einmal daran gedacht, ein Cover zu spielen?

Ja, ich hab mal ein Cover von "All I Have To Do Is Dream" von den Everly Brothers gemacht, zuhause nur aus Spaß. Den Song fand ich immer schon klasse. Ich liebe einfach die Musik der Fünfziger. Auch die der Vierziger und Sechziger, aber die der Fünfziger ganz besonders. Buddy Holly bläst mich immer wieder weg, die ganz frühe Popmusik schlägt immer ein bei mir. Einfache Strukturen mit schönen Melodien, die leicht melancholischen Wechsel zwischen Dur und Moll. Und davon wollte ich eine dreckige Version machen, die immer noch eine gewisse Schönheit besitzt. Wenn das Album da ist, werde ich den Song herschenken, dass die Leute ihn hören können. Es ist ein Cover, damit will ich kein Geld machen.

Übrigens, mir ist natürlich klar, dass dieses Album illegal runtergeladen wird. And that's fine, you know. Ich will einfach, dass dieses Album unter die Leute kommt. Und wenn sich jemand das anhören will, unterstütze ich das. Wenn sie es kaufen, großartig. Aber wenn nicht, zum Beispiel weil das Geld nicht da ist, holt euch das Album einfach. Musik ist für alle da.

Ist mit Albumverkäufen überhaupt noch Geld zu holen? Ihr seid ja auch quasi durchgehend auf Tour, das ist doch heutzutage fast die einzige Einnahmequelle.

Who knows? Ich wollte nie Songs schreiben, um Millionär zu werden. Ich würde mir wünschen, mit meiner Musik einfach weitermachen zu können. Und später vielleicht ein Album eines anderen Künstlers zu produzieren, das wollte ich schon immer machen. Es scheint aber so, als würde immer etwas dazwischen kommen, wenn ich jemanden finde, den ich gut finde.

"Ich habe Glück, die Miete zahlen zu können"

Du bist ja auch einer der ersten Künstler auf Red Bull Records. Wie manifestiert sich der Konzern hinter dem Label in der Zusammenarbeit?

Da gibt es nicht den geringsten Einfluss. Höchstens dass sie hin und wieder fragen, ob wir bei Red Bull Events spielen wollen, und die sind eigentlich meistens ziemlich cool. Red Bull braucht mich nicht, um Kohle zu machen. Sie wollen einfach am Puls der Zeit bei der Musik bleiben, weil Musik so universell ist. Irgendwann haben die Leute vielleicht die Nase voll von Energydrinks, die Musik wird immer hier sein.

Unterm Strich habe ich bei jeder Entscheidung das letzte Wort, und darauf kommt es an. Es gibt Kleinigkeiten wie bei Demos, was sehr abgedreht ist. Ich gab ihnen die Demos und sie fanden sie gut. Als ich dann die leicht abgeänderte fertige Fassung einreichte, hieß es gleich:"Moment, der Part bei 2:13 war auf dem Demo lauter. Können wir ihn hochdrehen?" Und dann sagte ich natürlich "Fuck No", weil ich das eben so haben wollte. Damit müssen sie klarkommen, wir lachen darüber und alles ist wieder gut.

Waren andere Labels auch noch an Awolnation interessiert?

Es gab noch andere Labels, die ich jetzt aus Respekt nicht nennen werde. Ein Label wollte mich noch vor Awolnation als Soloartist unter Vertrag nehmen. Ich hätte quasi der Plattenfirma gehört. Dabei drehte es sich aber nicht um viel Geld, man konnte nur schwer davon leben. Es war zwar ein ziemlich cooles Indielabel mit tollen Künstlern, trotzdem schien es nicht richtig. Sie wollten mich auch nur wegen einer Ballade signen. Es ist ein guter Song, aber nicht wirklich das, was ich machen wollte. Ich hatte gerade eine musikalische Scheidung hinter mir und wollte nicht schon wieder heiraten, wollte noch auf ein paar Dates gehen.

Also habe ich das abgelehnt, mein Management und meinen Anwalt gefeuert und hab von vorne angefangen. Dann hab ich mich mit meinem alten Manager zusammengetan, der nach dem Breakup der Giants auch einige Veränderungen in seinem Leben durchgemacht hat. Und ich begann, diese Songs zu schreiben, an die ich glaubte. Wir gingen es ruhig an, wollten die ganze Musik verschenken und langsam wieder ein paar Konzerte spielen. Und viel früher als gedacht, interessierte sich Red Bull für uns und bot mir deren Studio an, no strings attached.

Und für mich als großer Fan von Recording und Songwriting war das das Golden Ticket. Ich fragte: Whats the deal? Wenn ich diese Songs dort aufnehme, gehören sie dann dem Label? Und sie sagten: "Nein, das ist nur ein Akt der Freundlichkeit." Cool, wo kann ich unterschreiben? (lacht) Jetzt habe ich Zugang zu einem großartigen Studio, jederzeit und kostenlos. Das ist das Tolle an dem Deal.

Also vertraust du Labels wieder etwas mehr?

Ja. Ich meine, es ist immer noch eine Plattenfirma, sie sind immer noch Nerds. Aber sie sind coole Nerds. (lacht) Und ich bin ja auch dieser große Musiknerd. Wenn ich eine Band entdecke, die mir gefällt, dann liebe ich sie wirklich. Dann will ich mir den Bandnamen auf den Arm tätowieren lassen. Aber sie sind wirklich cool drauf. Lustig ist, dass die Leute zuhause denken, ich sei Millionär. Wir werden im Radio gespielt, haben ein Video auf MTV und einen Vertrag bei Red Bull. Und schon glauben alle, ich hätte Geld wie Heu.

Zugegeben, es klingt auch gut.

Richtig! Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich auch sagen: "Fuck, you made it", aber ich weiß es besser. Ich hatte Geld, ich hatte nichts, ich hatte Schulden. Jetzt habe ich das Glück, dass ich die Miete bezahlen kann. Vielleicht treffen wir uns in einem Jahr wieder und ich habe mehr Geld oder wieder Schulden. Ich weiß es nicht.

Wann hast du zum letzten Mal eine Band so sehr geliebt, um ein Tattoo zu überdenken?

Ist schon länger nicht mehr passiert. Das neue Sleigh Bells-Album hat mir sehr gut gefallen, das hab ich sehr genossen. In letzter Zeit entdecke ich auch viel alte Musik wieder. Ich fand ein Neil Young-Livealbum von 1971, kurz bevor er "Harvest" aufgenommen hat, was eines meiner Top 10-Lieblingsalben aller Zeiten ist. Da spielt er alle Songs von "Harvest" zum ersten Mal und erklärt sie. Ich glaube, es hieß "Live in Vancouver". Das hat mich wirklich in seinen Bann gezogen. Ich bin auch ein großer Hardcore-Fan, und auf diesem Gebiet mag ich eine Band namens Black Breath aus San Francisco.

Gleichzeitig stehst du ja wie gesagt auf Pop.

Oh ja, Michael Jackson und Prince lehrten mich, wie man Songs schreibt. Die Beatles natürlich auch.

... hat Popmusik oder der Großteil dessen, was in den Charts ist, heute nicht auch ein etwas negatives Image?

Ich denke, aktuelle Popmusik hat eine extrem negative Botschaft. Es dreht sich um Geld, Sex und Saufen. Das ist eine sehr böse Botschaft für Menschen und das ist heute Mainstream. Daran angehängt: Musikliebhaber sind ja immer sehr schnell, wenn es darum geht, Lady Gaga oder Katy Perry schlecht zumachen. Aber ich kann dem Songwriting schon einiges abgewinnen. Ich mag einen guten Popsong. Ich meine, ich liebe einfach gute Songs, egal in welchem Format sie daherkommen.

Die Freundin eines guten Freundes hat zwei, drei Songs für das neue Katy Perry-Album geschrieben. Und ich finde, sie hat tolle Arbeit geleistet, also kann ich mir diese Songs anhören. Die Lyrics sind zwar eher belanglos, aber ich kann verstehen, warum sie so große Popsongs wurden.

Deshalb empfinde ich immer Respekt für die Songwriter, nicht unbedingt für die Künstler. Wenn man jemanden hat, der dir deine Songs schreibt, ist man im Grunde genommen ja nur Schauspieler. Eine gutaussehende Person, die immer ihre Stylisten und Make-Up dabei hat. Ich meine, das ist keine wahre Kunst, das ist eher ein Job.

Ist Awolnation demzufolge kein Job für dich?

Es ist wer ich bin. Es ist zufällig die Art und Weise, wie ich mein Geld mache. Aber es fühlt sich sicherlich nicht nach einem Job an. Manchmal nervt mich schon die Fliegerei, das viele Reisen. Aber hey, ich bin in London und spiele eine ausverkaufte Show. Das ist eine ziemlich abgedrehte Erfahrung. Ich hätte mir nie gedacht, dass so etwas passiert.

Ich wollte ja fast aufhören. In einer fast masochistischen Weise habe ich mit der Idee geflirtet, Musik für immer aufzugeben. Ich sprach es laut aus, einfach nur, um diese Möglichkeit einsinken zu lassen. Und es fühlte sich scheiße an. Also schrieb ich diese Songs. Wenn man ganz unten ist, geht der einzige Weg nach oben. Und deshalb klingt die Musik so, wie sie klingt.

Prinzipiell bin ich sehr dankbar dafür, eine weitere Chance bekommen zu haben. Viele Leute haben nicht die Möglichkeit, ein Album herauszubringen, bei mir ist es jetzt schon ein drittes Mal passiert. Das Album ist erst seit wenigen Monaten in den Staaten draußen und es läuft schon besser als in jedem anderen Punkt meiner Karriere.

Ich fühle mich nicht wirklich anders. Ich wache jeden morgen auf und überlege mir, was gut und was schlecht läuft und momentan sieht es ziemlich gut aus. Eigentlich verrückt und angsteinflößend. Ich warte nur darauf, dass die Welt explodiert.

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