Mitgesungen, mitgefühlt, mitgeweint, mitgeliebt: 20 Jahre Fan-Liebe in üppiger Buchform.
Berlin (jas) - Im Popbetrieb häufen sich die Revivals, und irgendwann schreibt dann doch jeder seine Memoiren. Dirk von Lowtzow, Jan Müller, Arne Zank und Rick McPhail sind jetzt in diesem Alter, und fast zeitgleich zum neuen Album erscheinen "Die Tocotronic Chroniken". Gestern lud man ins Berliner Prince Charles zur großen Buchpräsentation mit anschließendem DJ-Set.
Nach 20 Jahren Bandgeschichte ist das Archiv der Gruppe natürlich prall gefüllt und so enthält das Bilderbuch mit mehr als 400 Abbildungen u.a. Fotos, Flyer, Skizzen, Notizen, Merch- und Kritzelkram sowie Rezensionen aus Feuilleton und Musikpresse. Ein Poesiealbum, ein Tagebuch, ein Nachschlagewerk, eine wissenschaftliche Arbeit über den Sinn und Unsinn der Verbindung von Pop und Politik, ein wunderbares Erinnerungsschriftstück, ein Fanzine der besonderen Art, eine Chronik mit exklusiven Interviews.
Leidenschaft, Wut und Euphorie
Gekrönt durch die einfühlsamen Worte von Pop-Autor Jens Balzer. Der hörte sich jedes einzelne Album (11 an der Zahl) noch einmal an, verfasste zu jeder Platte einen Essay und versuchte Musik und Texte in einem neuen gesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen. Eine Werk-Retrospektive, die nach 20 Jahren Bandgeschichte einfach noch mal durchlebt werden muss. Martin Hossbach (Kurator und Journalist) ist der Herausgeber, der das Buch gemeinsam mit viel Liebe (und Tocotronic) zusammengestellt hat.
Es sind besonders wertvolle Popsongs, die Generationen geprägt und neue Jugendbewegungen zusammengebracht haben. Alles begann mit schmetternden Indie-Krachern und ging über in einen bis heute anhaltenden musikalischen Toco-Rausch voller Leidenschaft, Wut und Euphorie. Bei Tocotronic geht es um "Liebe, Erinnerung und noch mehr Liebe".
"Es ist einfach Rockmusik"
Bekanntermaßen enthalten viele Songs der Lieblingsband zeitlose Parolen. "Ich bin neu in der Hamburger Schule" (Album: "Nach Der Verlorenen Zeit"), "Alles was ich will, ist, nichts mit euch zu tun haben" (Album: "Es Ist Egal, aber"), "Aber hier leben, nein danke!" (Album: "Pure Vernunft Darf Niemals Siegen"), "Mein Ruin" ("Kapitulation"), "Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk" ... Nein, genau, wir sind hier in Hamburg! In der Hansestadt gehörten sie einst zur berühmt-berüchtigten Hamburger Schule. Ob sie wollten oder nicht.
Die Zugezogenen wollten nie Teil einer Jugendbewegung sein. Sie stehen für die schönsten Selbstzweifellieder und sie selber singen: "Es ist einfach Rockmusik" (Album: "Nach Der Verlorenen Zeit"). Oft fühlten sich die traurigen Helden missverstanden. Oft waren es einfach nur akustische Probleme, etwa wenn aus "Let There Be Rock" (Album: "K.O.O.K.") plötzlich "Rettet die Robben" wird. Doch als echter Toco-Fan besteht man so oder so auf die Freundschaft seit Stunde Null.
Gegen die Wüste der Langweile
Wir haben mitgesungen, mitgefühlt, mitgelacht, mitgeweint, mitgeliebt und mitgehasst. Sogar die "schlimm-asymmetrischen" Frisuren der "Hamburger Schule" liegen heute wieder voll im Trend. Als Fan möchte man auch 2015 noch Teil dieser Jugendbewegung sein. Mindestens so lange die Trainingsjacke noch passt und die Cordhose nicht platzt.
"Die Tocotronic Chroniken" ist keine klassische Biografie. Eher ein Katalog voller Erinnerungen. Ideal, um in der "Wüste der Langweile" ("Prolog") nicht einzugehen. Tocotronic waren und sind die Retter deiner Seele.
Noch keine Kommentare