Nach einem desaströsen letzten Jahrgang steht Rap an einem Scheideweg. Wer führt das Genre heraus aus dem Ödland?
Berlin (ynk) - Auch für jemanden, der dieses Event Jahr um Jahr mit religiöser Inbrunst verfolgt, gibt es kein Beschönigen: Die XXL-Freshman-Liste 2021 war ein absolutes Debakel. Das Magazin-Cover, das jährlich die zehn vielversprechendsten Newcomerinnen und Newcomer der Rap-Szene auszeichnet, war selten so egal. Leute wie DDG, Toosii, Rubi Rose und Lakeyah sind so tief in der Versenkung verschwunden, dass selbst ich quasi vergessen habe, dass sie existieren. Die Zeit ist also reif: Zeigt das neue Cover eine neue Welle auf?
Alle Freshman-Anwärter im Ranking!
Der Versuch, einfach nur auf die kommerziell am sichersten erscheinenden Pop-Rapper zu setzen, ist gescheitert. Und es gibt Strömungen, die gerade langsam den Untergrund verlassen: Rage-Sound, Hyperpop-Rap, aber auch lokale Szenen wie Detroit, Los Angeles und Memphis fühlen sich so heiß an wie nie. Einmal mehr finden wir nun also zur Vorauswahl hundert qualifizierte Newcomer vor. Einmal mehr stellen wir uns die Frage: Was können die? Auf wen sollte man die Äuglein werfen?
Rap lässt nach?
Fest steht, dass der generelle Hype um Newcomer extrem nachgelassen hat. Ich habe ja letztes Jahr schon die monatlichen Hörerzahl zum Stand der Veröffentlichung der Vorauswahl zusammengetragen. Deshalb konnte ich dieses Mal abgleichen, wer die meistgehörten Freshman-Anwärter der Liste sind. Das sieht folgendermaßen aus.
2022
- JNR Choi 9.9 Millionen monatliche Hörer
- Cochise 6.3 Millionen monatliche Hörer
- Aitch 6.1 Millionen monatliche Hörer
- Nardo Wick 5.7 Millionen monatliche Hörer
- Mike Dimes 3.6 Millionen monatliche Hörer
- Kaash Paige 3.2 Millionen monatliche Hörer
- Saucy Santana 2.7 Millionen monatliche Hörer
- SoFaygo 2.6 Millionen monatliche Hörer
- Smiley 2.4 Millionen monatliche Hörer
- Lil Eazzyy 2.4 Millionen monatliche Hörer
2021
- Iann Diorr 31 Millionen monatliche Hörer
- The Kid Laroi 29 Millionen monatliche Hörer
- CJ 15.5 Millionen monatliche Hörer
- Pooh Shiesty 7.5 Millionen monatliche Hörer
- DDG 6.6 Millionen monatliche Hörer
- Yung Gravy 6.4 Millionen monatliche Hörer
- Tyla Jaweh 6.2 Millionen monatliche Hörer
- Erica Banks 6 Millionen monatliche Hörer
- 42 Dugg 5.9 Millionen monatliche Hörer
- StaySolidRocky 5.7 Millionen monatliche Hörer
Natürlich sind Spotify-Zahlen nicht der alleinige Maßstab für die Popularität von Rapperinnen und Rappern, aber sie sprechen doch eine ziemlich deutliche Sprache: Der Hype um neue Rap-Musik ist abgeflaut. Während es 2021 noch 22 der 100 vorgestellten MCs auf über drei Millionen monatliche Hörer brachten, schaffen es dieses Jahr gerade einmal sechs. Klar ist diese Metrik ein bisschen verzerrt davon, dass in beiden Jahren TikTok-One-Hits wie JNR Choi oder CJ unfair hoch mitspielen dürfen. Aber auch, wenn man die Rapperinnen und Rapper mit ihren konkreten Zahlen nebeneinander legt, zeigt sich doch deutlich: Nur wenige sind gewachsen, viele sind geschrumpft.
Die großen Rap-Städte: Detroit, Memphis, New York & Soundcloud
Aber das bedeutet noch nicht aller Tage Abend: Auch, wenn die Höhen klar gedämpft sind, steht die Breite immer noch solide da. Über eine Million monatliche Hörer schafften 2021 40 der 100, dieses Jahr immer noch stattliche 30. Der Grund dafür könnte sein, dass Rap wieder mehr in klare Camps aufbricht. Wir finden viele Rapper aus Memphis, die sehr linearen Straßenrap der Schule von Moneybagg Yo, Yo Gotti und Young Dolph machen. Von Leuten wie Big Scarr und Big30 hat man schon in den letzten Jahren gehört. Detroit befindet sich weiterhin in seiner Offbeat-Renaissance, die auch auf die Bay Area übergreift, Rapper wie Babytron oder Babyface Ray könnten das erste Mal reif für die große Liga sein.
New York brodelt weiter als kreativer Hotspot und muss nach dem Tod von Pop Smoke nun auch die Leerstelle füllen, die Kay Flock hinterlassen hat. Viele kleinere Rapperinnen und Rapper wie B-Lovee oder Dougie B scheinen der Aufgabe noch nicht ganz gewachsen, aber halten Drill oben. Die DMV-Gegend bringt Newcomer wie Yungmannie an den Start, die den surrealen Stil von Goonew fortführen. Aber die große Geschichte kommt von Soundcloud, wo Rage die neue Trap-Welle definiert und Leute wie SoFaygo, Ken Car$on, Cochise, BabySantana, SSGKobe oder Midwxst Hyperpop-Ideen in den Trap schmelzen.
Die Zeiten bleiben aufregend
Selten war die XXL-Liste so sehr ein Untergrund-Ding wie dieses Jahr, und selten war so schwer einzsuchätzen, wie die Entscheidung ausfallen könnte. Mangelt es an spannenden Rappern? Auf gar keinen Fall. Ich hatte die letzten zwei Wochen einen Heidenspaß, mich kreuz und quer durch die Mixtape-Abgründe zu hören, und habe ein paar tolle Hörempfehlungen für euch. Aber es erscheint schwer wie selten, auf ein kommerzielles Pferd zu setzen. Es brodeln fünf oder sechs dominante Nischen, die alle unter sich bleiben oder in den Mainstream explodieren könnten. Dazwischen sitzen ein paar Pop-Rapper und ein paar Alt-Rap-Weirdos, die alle Aufmerksamkeit verdient haben.
Interessant ist dabei auch, dass alte Gatekeeper gar nicht mehr so viel wert sind. TikTok-Hits haben oft genug bewiesen, dass sie nicht unbedingt langfristigen Erfolg bedeuten. Lyrical Lemonade tut sich schwerer und schwerer, große Hits zu landen, und ist schon lange nicht mehr der Garant, der es früher einmal war. Wir finden Signees von YoungBoy Never Broke Again, DaBaby, Polo G, Cosigns von Drake, Kanye, Travis und Tyler The Creator, und sie müssen alle nichts bedeuten.
4 Kommentare mit 2 Antworten, davon einer auf Unterseiten
Verbraucherhinweis: Wenn YNK über neue heisse Genres spricht, ist es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit generischer Trapmüll.
Da muss man leider zustimmen.
Dieser sogenannte Rage-Sound klingt exakt so...da hätte ich gerne mal ne genaue Definition von Yannik, was daran neu und fresh sein soll
Meine Definition davon ist, dass es noch schlimmer klingt, als die Sachen der letzten Jahre davor.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.