laut.de-Kritik
Von der Selbstzerstörung zum Healing Journey.
Review von Yannik GölzBekäme man für jedes moderne Rap- oder R'n'B-Album, das die Segnungen einer Therapie beschwört, einen Dollar, hätte man langsam wahrscheinlich genug Geld beieinander, um sich sogar in den Staaten therapieren zu lassen. Quasi jeder ist dieser Tage auf einem "Healing Journey", alle haben reflektiert und kennen sich nun besser denn je – die musikalischen Ergebnisse sind jedoch eher durchwachsen, weil jeder Zwischenstopp ins Selbst als Endplateau einer Reise verkauft wird, nur um mit dem nächsten Album dann wieder überschrieben zu werden. Nein, jetzt bin ich geheilt. Nein, jetzt bin ich geheilt. 6lack ist einer von diesen Dudes, die genau diese Reflektion endlos auftischen. Dabei sind seine besten Songs eigentlich immer die, in denen klar wird, dass er selbst die Ursache des Problems ist.
6lack gehört ja eigentlich eh zu dieser partikulären Form von R'n'B, nach The Weeknd und etwa zeitgleich mit Bryson Tiller und Brent Faiyaz. Fuckboy-Ablass durch ungefilterte Toxizität. Verführung durch Ekel. Sex-Appeal durch Selbstzerstörung. Der Atlanta-Crooner hat auf seinen zahlreichen Features, seinem letzten Album "East Atlanta Love Letter" und der EP "6Pc Hot" gezeigt, wie gut er darin ist, Schnappschüsse aus dem überbordenden Leben in nokturnale, betäubte Stimmung zu übersetzen. Und auch auf "Since I Have A Lover" liegt seine Stärke im Universalen.
Immerhin liegt sie auf jeden Fall nicht im Partikulären, denn auch wenn man ihm gönnt, dass Therapie und Selbstreflektion sein Leben besser machen und obwohl es cool ist, dass Therapie und Arbeit am Selbst in dieser Form normaler und selbstverständlicher werden – 6lack kommt selten über Erkenntnisse hinaus wie diese, dass es manchmal ganz cool sein kann, eine Frau vor dem Sex kennenzulernen. In Songs wie "Chasing Feeling", "Talk" und "Testify" benutzt er diese selbstgerechte und irgendwie weinerlich dargebotene Therapeutensprache. Das ist schon erwachsener als sein Debüt "Free 6lack", aber es macht auch deutlich weniger Spaß.
Das Ding ist: Sowohl seine smoothe Loverboy-Persona als auch der toxische ATL-Fuckboy sind offensichtlich überzeichnete Charaktere, trotzdem findet er wunderbar in diese Rollen hinein. Der beste Song kommt gleich am Anfang: "Inwood Hill Park" liefert nicht nur mit einem fast an klassischen Boom-Bap erinnernden Sound den besten Beat, sondern auch die lockerste Attitüde. Universelle Moodiness im Refrain ("Dazed and I'm under pressure / Embracin' the highs and lows"), aber dazwischen Shit-Talk und Lines über "the pussy is, uh, elite". Die Stimmungswechsel, die Energie - es wirkt authentischer, natürlicher.
Und dann kommen diese Late-Night-Driving-Momente, aufgrund derer man 6lack eigentlich hört. Der Titeltrack, das gemeine "Playing House", sogar "Talkback", das irgendwie zum zwanzigsten Mal dieses eine Sting-Sample flippt, ihr wisst schon, dass, das Juice WRLD auch auf "Lucid Dreams" hatte. Dieser Song wurde ungöttlich oft geflippt, aber er klingt irgendwie trotzdem jedes Mal ziemlich geil.
Abgesehen davon kommen Don Toliver und Ehefrau Quin für ein bisschen Abwechslung vorbei. Und wie fast alle seine Projekte endet "Since I Have A Lover" damit, dass es einen ziemlich starken Sound hat, ein paar fantastische Songs, in der Summe aber ein bisschen zu gleichförmig klingt. Der Fokus auf das gezwungene Erwachsensein, erst im letzten Drittel merkt man, wie dröge es wird. Man hätte dann doch lieber ein paar Songs weniger oder ein paar schnellere dazwischen, denn gegen Ende klingt das Album, als würde er den Stift am selben Textblatt wieder an- und absetzen, den selben Beat wieder und wieder bestellen, um die selben Dinge wieder und wieder zu sagen.
Noch keine Kommentare