laut.de-Kritik

Makellose, verzweifelte Brillanz.

Review von

"Impersonator" war ein Wahnsinnsalbum und stieß 2013 insbesondere in den USA auf entsprechende Resonanz. Die beiden vorigen Releases von Majical Cloudz waren schon interessant, aber erst in der Besetzung mit Matthew Otto an Synthesizer und Keyboard entfaltete Sänger Devon Welsh sein volles Potenzial. Er faltete sich wie ein Schmetterling schmerzhauchend aus dem Kokon, wie man das mindestens seit den 80ern nicht mehr sah – und selbst dort nicht mit der Tiefe und ohne jeden Ansatz von Pop-Appeal.

Strikt nur tanzbare Musik, für die die meisten The Cure- und Morrissey-Fans töten dürften, so sehr atmet sie den Geist von Emo, Weltschmerz und so wenig schert sich hier irgendwer um Peinlichkeit. Mich erinnerte das Duo damals an den frühen Thees Uhlmann oder den ganz frühen Bosse, so wenig kümmerten sie sich in ihrer trotzdem künstlerischen Art um die Außenwirkung ihres Seelenstriptease. Wie zuletzt beim sehr guten, aber schwer bekömmlichen "Come With Me If You Want To Live" angesprochen, gibt es Majical Cloudz leider schon seit 2016 nicht mehr, und Otto scheint vor lauter Verschwörungstheorien (und gegen ihn erhobenen Missbrauchsvorwürfen) den Verstand verloren zu haben.

Um so wichtiger ist es, mit "Are You Alone?" den absoluten Schaffenshöhepunkt der beiden Kanadier zu würdigen. Denn die ganz wenigen Ansätze von Pose, die "Impersonator" noch aufwies – Welshs durchgehender Bariton und die selten gewollt skelettiert, edgy wirkenden Beats von Otto – wurden auf "Are You Alone?" ausgemerzt und ersetzt durch ein Wort, das so schlimm ist, weil Theologen und Bundespräsidenten es totprügelten: Wahrhaftigkeit.

War "Impersonator" noch in schwarz gemalt, ist diese Scheibe bunter, ohne dadurch fröhlich zu sein. Der Unterschied zum Vorgänger ist vorhanden, aber die Grundformel mit Welsh als Sänger und Otto als weniger sanft als vielmehr nuanciert auftretenden Klangteppich bleibt unverändert. In der Geschichte der Musik gab es diese Kombi tausendfach, und doch hört sich nichts so an wie Majical Cloudz. Mit Ausnahme von Devon Welshs Solowerk, was natürlich an seiner recht einzigartigen Stimme liegt, aber auch an der Art und Weise, wie er scheinbar Musik wahrnimmt und welcher Takt seinem Lebensgefühl zupasskommt. Die perfekte Symbiose wie mit Otto an den Tasten gelang ihm seitdem aber nicht mehr.

Das Gespür Ottos für den richtigen Sound zum rechten Augenblick ist bemerkenswert und führt dazu, dass scheinbar simple Songs wie "Game Show" immer neue Facetten aufweisen; nicht in einer Easter Egg-Art und Weise, nicht, weil man immer wieder neue Details entdeckte; sondern weil man immer wieder neue Stimmungen wertschätzen lernt, den deterministischen Willen, mit dem Matt die Musik in genau die Richtung schwappen lässt, in die Welsh gerade seine Füße hält. Zu keinem Zeitpunkt hat man den Eindruck, es gäbe eine Möglichkeit, einen der Songs zu covern, remixen oder durch mehr Instrumente anzureichern. Das bedingt sich alles so; und natürlich wäre Welsh als Sänger solo mit "Call On Me" eine phonetisch-ästhetisch beeindruckende Gestalt, aber mehr eben auch nicht. Kunst wird es dank Otto und seiner ständigen Bereitschaft, zuzuarbeiten und auf eine unvergleichliche Art im Hintergrund zu bleiben, aber ständig zu tragen, stützen, manisch Leerstellen suchend, um diese mit Glitzerstaub zu fugen, notfalls mit hymnischer Gewalt ("Silver Car Crash"). Owen Palletts Streicher wurden entgegen erster Pläne doch weggelassen (bei "Heavy" bleibt es zumindest unklar, was man da im Hintergrund genau hört), nur auf "Disappeared" durfte er sanft und kurz Bläser zusteuern und gut so; hier braucht es nichts.

Die attestierte Wahrhaftigkeit liegt neben dem perfekten Sound an Welshs Stimme und an den Lyrics. Wieder an Mozzer erinnernd, neigt Welsh vor allem auf dieser Scheibe zum Plakativen: "So if you’re lonely / You don’t have to be all alone / No one has to be that way / No one has to be afraid of being loved." ("If You're Lonely") und evoziert damit eine beeindruckende Unmittelbarkeit. Einfache Lyrics sind ein ganz zweischneidiges Schwert, noch dazu mit dieser getragenen, emotionalen Musik, die sich durchaus manchmal in etwas Schunkeliges hineinträumt ("Easier Said Than Done"). Hier gelingt dieser Spagat spielend. Welsh fleht darum, verstanden zu werden, während er die gesamte Bandbreite gedämpfter, melancholisch angehauchter Emotionen bestaunt und ganz bewusst eine manchmal kokettierende Beobachter- und Erzählerposition einnimmt ("Is this going too slow?" auf "Control"). Wir mussten uns selbst beibringen, einfache Botschaften bekömmlich verpackt skeptisch zu begegnen, um Musikindustrie und Gesellschaft weitestgehend zu erschweren, uns noch mehr zu verdummen; dieses Album zeigt, wie eine Welt ohne diese Skepsis aussehen könnte.

Das ist aber alles auch nur der Boden, bereitet für gleich mehrere meiner Lieblingssongs überhaupt: "Control" und "So Blue" sind zeitlose, vollendete Meisterwerke, der Titeltrack und "Downtown" folgen nur knapp dahinter, und in dritter Reihe stehen alle anderen, exzellenten Songs ohne Ausfälle. Das liegt am Songwriting, dem natürlichen Schwung und der Gravitas, den diese spärlichen Songs haben, die sich nie schwer und nie leicht anfühlen, aber auch, und endlich kommen wir dazu, an der Stimme von Welsh. Der Friedhofston des Vorgängers, wir sprachen es schon an, ist passé, und Welsh ist einfach eine Stimme, wie es sie nur selten gibt auf Gottes weiter Erde. Außerhalb von "Control", und selbst hier nur in Ansätzen, verzichtet er auf Nachweise seiner Lungenkapazität, wie überhaupt weite Teile des Albums fast schon langsam sprechgesungen sind. Es ist die an die Schlange Ka gerierende halluzinative Kraft dieser Stimme, die einen förmlich hineinzieht in das anklagende "Change", einen empört mitreißt, es ist die kompromisslose Dominanz des näselnden "I neeeeed you", mit der "So Blue" einem den blauen Mond direkt in die Augen träufelt, die "Are You Alone?" zum Meisterwerk macht.

"I remember how it ends, we survive/
And the audience sighs/
Yeah
"
("Call On Me")

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Disappeared
  2. 2. Control
  3. 3. Are You Alone?
  4. 4. So Blue
  5. 5. Heavy
  6. 6. Silver Car Crash
  7. 7. Change
  8. 8. If You're Lonely
  9. 9. Downtown
  10. 10. Easier Said Than Done
  11. 11. Game Show
  12. 12. Call On Me

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