laut.de-Kritik

Der Sound wirkt wie komplett aus dieser seltsamen Zeit gefallen.

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Manchmal dauert es Jahrzehnte, bis endlich zusammenwächst, was zusammengehört. Bereits auf seinem Meilensteinalbum "Labor Days" kooperierte Aesop Rock mit Blockhead, damals schon nicht zum ersten und lange nicht zum letzten Mal. Die beiden scheinen füreinander geschaffen, und dennoch haben sie nie ein gemeinsames Album veröffentlicht. Bis jetzt.

Die Verwirrung darüber, dass "Garbology" tatsächlich die erste Kollaboration dieses Tag-Teams sein soll, das sich doch wie eins dieser ikonischen Ein-Producer-ein-MC-Gespanne anfühlt, bekommt nicht viel Gelegenheit, um sich zu legen. Gleich mit der ersten Single "Jazz Hands" riss Aesop Rock nämlich einen weiteren Eingang zu seinem lyrischen Kaninchenbau auf, und wieder blieb einem nicht viel anderes übrig, als sich kopfüber hineinzustürzen.

Wer das nicht zum ersten Mal tut, weiß es längst: In den verworrenen, verwinkelten Gedankengängen des Ian Bavitz können einem leicht Wilhelm Tell, Robin Hood, Pac Man, der Superschurke Black Mask und der Demolition Man begegnen - innerhalb eines Tracks. Nur Bruchteile der Anspielungen und Querverweise mitzubekommen, und von den mitbekommenen Bruchteilen nur Bruchteile zu verstehen, ist hier normal.

Eingehüllt in ein großes, flauschiges HÄ? kommt man sich stellenweise zwar recht dämlich vor. Das Faszinierende an Aesop Rock ist aber, dass er einem mit diesem Gefühl der Unzulänglichkeit nicht alleine lässt. Er scheint diesen Zustand viel mehr sehr genau zu kennen, genau wie Nicht-Teilhaben-Können oder -Wollen. Zudem hatte der Rapper einen Verlust im Freundeskreis zu verkraften. "Couple new scars in the archive", in der Tat.

Das titelgebende Bild von den Müllarchäologen passt perfekt: Aesop Rock und Blockhead nehmen, was ihnen das Leben vor die Füße wirft, drehen und wenden die Scherben und setzen daraus neue Bilder zusammen. Sie erschaffen wahrlich "rage in the form of renaissance art". Noch stärker als frühere Arbeiten durchzieht "Garbology" dabei eine gewisse Welt-Abgewandtheit. Kein Wunder, entstand es doch (wie im Grunde alles in den letzten Monaten) unter Pandemiebedingungen, will meinen: in noch erheblich größerer Isolation, als sie selbst misanthropische Sozialmuffel sonst an den Tag zu legen pflegen.

Das Ergebnis wirkt wie komplett aus dieser seltsamen Zeit gefallen. Völlig unmöglich, Blockheads staubigen, und dabei ungeheuer wuchtigen Beats mittels bloßem Hören ein Entstehungsjahr (oder auch nur ein Entstehungsjahrzehnt) zuzuordnen. Die Instrumentals könnten genauso gut brandneu wie von obskuren alten Schellackplatten gekratzt und lediglich ein wenig aufpoliert sein.

Alles klingt zugleich alt und neu, vertraut und innovativ, irgendwie anheimelnd, zugleich beängstigend und über die ganze Spielzeit hinweg irre druckvoll. Als habe Blockhead ein Richtmikrofon in ein vollgestopftes Antiquariat gehalten, das durch die unendlichen Weiten des Alls treibt. Verzerrte Stimmen irrlichtern durch die Szenerie, organische Bässe rollen darunter hinweg.

Hook? Wer braucht eine Hook? Aesop Rocks Vortrag wirkt oft wie ein einziges Anlaufnehmen, man wartet zunehmend gespannt auf einen Startschuss. Wenn der Beat nach gut zwei Minuten lospumpt, hat der Rapper allerdings längst gesagt, was er zu sagen hat: Allein schon "Jazz Hands" ist schon dermaßen gegenläufig zu jeder Erwartungshaltung konstruiert, es ist wundervoll.

Im Closer dagegen liefert Blockhead genau, was ein Tracktitel wie "Abandoned Malls" verspricht: echten Lost-Places-Vibe. Ein bisschen traurig, ein bisschen tröstlich, durchziehen den Sound Wehmut und ein Hauch untergegangener Grandezza wie Echos aus einer fernen Vergangenheit. Durch "Flamingo Pink" klimpert ein Klavier, so effektiv wie seinerzeit das in Carpenters "Halloween"-Theme.

Die Produktionen gelingen sämtlich ungeheuer gut, gerade weil sie die Hauptrolle klaglos dem Mann überlassen, dem sie eine Bühne bieten. Einen Rapper wie Aesop Rock gibt es außerdem derzeit schlicht nur einmal. Sein Vokabular wie sein Vortrag: vom ersten bis zum letzten Moment absolut unique. Dieser Kerl könnte wahrhaftig auch das viel strapazierte Telefonbuch herunterbeten. "In a dead language. Backwards." Es wäre noch immer eine Offenbarung.

Einzig Homeboy Sandman schaut in "All Day Breakfast" für ein Feature vorbei, abgesehen davon (und von seiner "cat named Kirby", die auch hier wieder durch einen Text purzelt) bleibt Aesop Rock für sich, "hanging with my demons". Das versetzt nicht nur die Verwandtschaft in Sorge: "Niece on the phone saying: Ian, you should visit more." Die Frage erscheint durchaus berechtigt: "You're okay, dude? You're okay?" Ich hoffe es. Wirklich.

Trackliste

  1. 1. The Only Picture
  2. 2. Jazz Hands
  3. 3. Wolf Piss
  4. 4. Legerdemain
  5. 5. Difficult
  6. 6. All The Smartest People
  7. 7. Oh Fudge
  8. 8. More Cycles
  9. 9. Flamingo Pink
  10. 10. All Day Breakfast feat. Homeboy Sandman
  11. 11. Fizz
  12. 12. That Is Not A Wizard
  13. 13. The Sea
  14. 14. Abandoned Malls

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