laut.de-Kritik
Und was hast du so mit 19 gemacht?
Review von Magnus FranzSieben EPs, ein Mini-Album und nun das große Langspieler-Debüt. Was im erstem Moment nach der Diskografie eines halbwegs etablierten Acts in den Mid-20ern klingt, ist in Wirklichkeit Alfie Templemans Musikhistorie, bevor dieser überhaupt sein zwanzigstes Lebensjahr erreicht hat. Unermüdlich arbeitet der Brite also schon jetzt an seinem musikalischen Vermächtnis. Wie bereits seine Projekte zuvor, fungiert nun auch "Mellow Moon" einmal mehr als ein farbenfroher, eskapistischer Zufluchtsort für den jungen Songwriter und Produzenten, dessen Potential schier endlos erscheint.
Dass Alfie inzwischen allerdings nicht mehr nur Potential verkörpert, sondern dieses auch gekonnt umsetzt, zeigt sich sofort bei einem Blick auf die musikalische Ausrichtung des Albums. "Mellow Moon" strebt nach Indie-Pop-Perfektion und lebt in weiten Teilen von seinem Groove, seinen sphärisch transzendenten Klangwelten und seinem mitreißenden Songwriting. So schmücken druckvolle Drums, dezente Funk- und Soul-Gitarren, eine umtriebige Bassline und großangelegte Piano-Akkorde bereits den Opener "A Western". Auf "You're A Liar" gesellen sich dann noch üppige Synths sowie ein erstes Gitarrensolo dazu, was gleichzeitig auch die grundlegende Zutatenliste von "Mellow Moon" komplettiert.
Denn anhand dieser Bestandteile bastelt Alfie in der Folge eine Vielzahl an mitreißenden Tunes, die mit Leichtigkeit jeden Kopf zum Mitwippen animieren. Besonders die Sommer- und Roadtripatmosphäre auf "Colour Me Blue", das gerade bei der smoothen Gitarrenarbeit Parallelen zu Alfies Kindheitsheld Mac DeMarco, aber auch weiteren Indie-Kultacts wie Benny Sings, Rex Orange County oder Peach Pit aufweist, vereinnahmt von der ersten Sekunde an. Auch "Folding Mountains" verfolgt mit seinen dissonanten, aber dennoch clean klingenden Gitarren einen ähnlichen Ansatz. "Candyfloss" erzeugt seinen vereinnahmenden Effekt wiederum durch enorme Synth Pop-Anleihen, die gerade Fans von M83, MGMT oder früheren The 1975-Projekten durchaus ansprechen sollten.
Mit "Broken" liefert Alfie zudem auch den einen Song, der das Potential besitzt, sich zu einem absoluten Überhit zu entwickeln. Von Coldplay inspiriert, bohrt sich das wiederkehrende, euphorische und prägnante Riff zu Beginn des Songs direkt ins Ohr, ehe es wenig später erneut im gigantischen Chorus auftaucht und ein unwiderstehliches Gesamtpaket kreiert.
Anders als noch auf vorherigen Projekten widmet sich der Brite erstmals auch düsteren, existentielleren Themen, die zuvor in seiner Musik noch keinen Platz fanden. Das geht vor allem auf seine Zeit während der Pandemie zurück. Aufgrund einer chronischen Lungenerkrankung aus seiner Kindheit, die ihn zwar in seinem alltäglichen Leben nicht einschränkt, aber während einer Pandemie durchaus zur Gefahr werden kann, musste er sich noch länger und strenger als die meisten anderen Jugendlichen von der Außenwelt isolieren. Dass dieser Umstand an einem nagt und den mentalen Zustand an manchen Punkten in eine Abwärtsspirale befördern kann, ist kaum verwunderlich.
Diese Gefühlswelt thematisiert Alfie auch auf dem Closer "Just Below The Above", dem ersten und gleichzeitig auch letzten Moment, in dem er "Mellow Moon" so richtig entschleunigt. Bereits im Alter von 14 Jahren geschrieben, half ihm der Track laut eigener Aussage durch die schwerste Zeit seines Lebens, als er ihn nach einem wochenlangen psychischen Tief im letzten Jahr erstmals wieder in seinen Voicenotes entdeckte. Mit Nirvana-Ähnlichkeiten im Vers und einem dezenten Hauch von George Harrison im Chorus, vermischt der auf Akustikgitarre, Drums, Bass und Piano reduzierte Song gekonnt die musikalische Vergangenheit mit Alfies eigenem zeitgemäßen Stil und liefert nach der zunehmend zäher werdenden Schlussphase des Albums noch einmal einen großartigen Schlussakt.
Zuvor zeigt sich nämlich, dass dem jungen Talent wahrscheinlich doch noch etwas an Erfahrung fehlt, um bei einer ambitionierten Songanzahl von 14 Tracks jetzt schon ein durchgehend unterhaltsam strukturiertes Album zu kreieren, das die Aufmerksamkeit zu jedem Zeitpunkt aufrechterhält. So bieten "Take Some Time Away", der Titeltrack "Mellow Moon" oder "Galaxy" gerade am Ende kaum noch neue, erfrischende Merkmale, die die Platte um etwas noch nicht Dagewesenes bereichern. Ausschlaggebend dafür ist auch, dass Alfie kaum für Verschnaufpausen sorgt, sodass die durchgehend hohe Energie gerade die letzten Songs zunehmend verschwimmen lässt und sie ihrer Einzigartigkeit und Daseinsberechtigung beraubt.
Es ist auch der lyrische Content, der sich streckenweise als Alfies Schwachstelle herausstellt. Gerade indem er zeigt, dass er emotionale und mitreißende Worte wie auf "Just Below The Above" in sich trägt, sorgen selbstironisch intendierte Lines wie "(Do it) Buy my album, (Do it) Show some love" auf der 80er-Nachtclubhymne "Do It" oder schlichtweg uninspirierte Texte auf dem insgesamt eher ernüchternden "Best Feeling" ("Hey there, baby, like your style / And I really like your smile / If that's too much, I'm stuck / Ah, sucks") an manchen Stellen für etwas Ernüchterung.
Abseits einiger lyrischer Inkonsistenzen und den fillerartigen Tracks, die das Album nicht zwingend gebraucht hätte, ist es dennoch beachtlich, welch musikalisches Gespür Alfie schon jetzt besitzt. Dass es sich für ihn gelohnt hat, seine gesamte Jugend damit zu verbringen, möglichst viele Instrumente zu erlernen und seine Songwriting-Fähigkeiten immer weiter zu schärfen, zeigt sich auf "Mellow Moon" also allemal. Denn sind wir mal ehrlich, das, was der Junge hier, aber auch insgesamt schon mit 19 auf die Beine gestellt hat, muss ihm erstmal jemand nachmachen. Und obwohl letztendlich noch nicht jeder Song ein Volltreffer ist, ist die Bezeichnung "musikalisches Wunderkind", die inzwischen auch schon aus Großbritannien in andere Teile der Welt übergeschwappt ist, keinesfalls unbegründet.
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