Porträt

laut.de-Biographie

Alice Coltrane

Mit ihrer Musik setzte sie sich über kontinentale, ethnische und religiöse Grenzen hinweg, wandte sich von den "kontrapunktischen" Akkorden und der "zur Schau gestellten Virtuosität" im Jazz ab. Als Nachlassverwalterin von John Coltrane verschrie man sie als Kitschistin, womit man ihren sphärischen und tiefgründigen Klängen allerdings Unrecht tut, die – wie es die Ironie des Schicksals so will – im Fahrwasser von New Age ihre Renaissance erfuhren. An Alice Coltrane scheiden sich die Geister. Unbestritten ist jedoch ihr Einfluss auf Ethno und die moderne Pop-Kultur im Allgemeinen.

Alice Coltrane - Universal Consciousness Aktuelles Album
Alice Coltrane Universal Consciousness
Jazz als Ausdruck spirituellen Verständnisses.

Alice Coltrane kommt am 27. August 1937 als Alice McLeod in Detroit auf die Welt und erlernt als Tochter einer Musikerfamilie, die einer baptistischen Kirche angehört, mit sieben Jahren das klassische Klavierspiel. Mit Jazz macht sie ihr Halbbruder Ernie Farrow vertraut. Der gilt als begnadeter Kontrabassist, der unter anderem mit Stan Getz oder Yusef Lateef zusammenarbeitet. Mit dem letztgenannten Multiinstrumentalisten, der Einfluss aus der Musik und den Religionen des Ostens bezieht, sowie weiteren bekannten Beboppern wie Kenny Burrell oder Lucky Thompson spielt Alice als Teenager in ihrer Heimatstadt zusammen.

1959 begibt sie sich nach Paris. Dort studiert sie klassische Musik und bei Bud Powell Jazz. Kurz darauf nimmt sie im Ausland Jazzsänger Kenny Hagood, der unter anderem auf Miles Davis' "Birth Of The Cool" (1957) mitwirkt, zum Mann. Die Ehe hält jedoch nicht lange. Aus der Verbindung geht eine gemeinsame Tochter hervor: Michelle Coltrane, die später als Sängerin Bekanntheit erlangt.

In den 60er-Jahren trifft Alice auf den Vibrafonisten Terry Gibbs, der sie für "Terry Gibbs Plays Jewish Melodies In Jazztime" (1963), das aus jüdischen Stücken in Moll besteht, als Gastmusikerin gewinnt. Zugleich hört man sie erstmalig auf einer Plattenaufnahme. Bei einem gemeinsamen Auftritt im New Yorker Birdland begegnet sie John Coltrane. Die beiden heiraten 1965 in Juárez in Mexiko, nachdem sie bei der Formation von Terry Gibbs aussteigt.

Noch im gleichen Jahr tritt sie im Quartett ihres Gatten die Nachfolge von Pianist McCoy Tyner an, das im Dezember 1964 mit "A Love Supreme" das vielleicht wichtigste und einflussreichste Werk des Jazz' neben "Kind Of Blue" (1959) von Miles Davis aufnimmt. Dies kommt bei den Anhängern Coltranes alles andere als gut an, zumal sie nicht an die Virtuosität McCoy Tyners heranreicht. Andererseits entwickelt sie sich dank John als Musikerin weiter, der ihr beibringt, "nicht auf einer Stelle zu bleiben und bei einem Akkordmuster zu verharren."

Er bringt ihr ebenso die östliche Religion, Philosophie und Meditation nahe. Die spirituellen Erfahrungen, die sie gemeinsam sammeln, lassen sie in ihre Musik einfließen. Bis zu Johns Tod 1967 erweist sich Alice als gleichberechtigte musikalische Partnerin an seiner Seite, wie beispielsweise das posthum veröffentlichte "Stellar Regions" unter Beweis stellt. Die Lücke, die McCoy Tyner hinterließ, füllt sie also sehr gut.

1968 erscheint auf ihrer Plattenfirma Coltrane Records die Scheibe "Cosmic Music". Auf der hört man den Saxofonisten nur in zwei von vier Tracks. Coltranes eigenes Label besteht nicht lange. Dafür unterzeichnet sie bei Impulse!, das auch ihn zu Beginn der 60er-Jahre unter Vertrag genommen hat.

Im Anschluss führt sie das Vermächtnis 'Tranes', so sein Rufname, auf geniale Weise fort. "Ich möchte Musik spielen gemäß den Idealen, die John deutlich gemacht hat. Ein kosmisches Prinzip, ein spiritueller Gesichtspunkt soll – genau wie bei ihm – die Realität sein, die hinter der Musik steht."

John Coltrane zeugt mit Alice nicht nur drei Kinder, John Jr. (1964), Ravi (1965), mittlerweile selber ein hervorragender Jazz-Saxofonist, und Oranyan (1967), sondern schenkt ihr zur Hochzeit eine Harfe, die sie vermehrt auf ihren Alben einsetzt. Darüber hinaus hat ihr arpeggioreiches Spiel am Klavier ebenfalls etwas Harfenähnliches. Bald weicht sie die Komplexität von 'Tranes' Musik zugunsten fernöstlicher Klänge und exotischem Instrumentarium wie einer Oud und Tamboura auf. Sie findet "nicht in einem intellektuellen Sektor deines Gehirns" statt, sondern "in deinem Herzen, deiner Seele, deinem Geist", sagt sie. Deswegen taucht sie ganz tief in ihr ein.

Für ihre Werke holt sie sich weiterhin einige Musiker in ihre Band, die zuvor auf Johns Platten musizieren oder in seinem weiteren Umfeld als Free Jazzer hohe Anerkennung genießen. Dazu zählen beispielsweise Pharoah Sanders und Jack DeJohnette.

Der erstgenannte Tenorsaxofonist und Altflötenspieler trifft sich zusammen mit Joe Henderson, der ebenfalls auf diese Instrumente zurückgreift, auf "Ptah, The El Daoud" (1970), das mit seinem swingenden und geschmeidigen Grundton noch ganz in der Tradition 'Tranes' steht, zu einem unnachahmlichen Wechselspiel. Ohne Joe legt Alice auf "Journey In Satchidananda" (1971), das zunehmend traditionelle indische Einflüsse aufweist und sich überwiegend um ihr lebhaftes Harfen- und Piano-Spiel kreist, mehr Eigenständigkeit an den Tag. Sie übt zudem mit dem Werk nachhaltigen Einfluss auf die Weltmusik aus.

Mit "Universal Consciousness" (1971), auf dem sie zum ersten Mal als Organistin in Erscheinung tritt, findet sie ohne Pharoah, aber mit Jimmy Garrison am Bass und drei Drummern, darunter Jack DeJohnette, eine völlig eigene Klangsprache, indem sie ihre Musik noch offener und avantgardistischer gestaltet als auf den Vorgängern, jedoch ihre Stärken kompakter bündelt. Eine Besonderheit bilden die entrückten Geigenarrangements, die aus Ornette Colemans Feder stammen. Die hat es davor und danach auf keinem weiteren Jazz-Album in dieser Form mehr gegeben. Schon John wollte ein Werk mit Streichern verwirklichen, ist aber tragischerweise nicht mehr dazu gekommen. Mit der Platte hat also die Musikerin seinen letzten großen Wunsch erfüllen können.

"Dieser Titel bedeutet tatsächlich kosmisches Bewusstsein, Selbstverwirklichung und Transzendenz. Diese Musik erzählt von den unterschiedlichen Wegen und Kanälen, durch die man hindurch schreiten muss, bevor sie den erhabenen Zustand absoluten Bewusstseins erreicht", erklärt Alice Coltrane das Werk. Von nun an richtet sie ihr Leben ganz auf dieses universale Bewusstsein aus, das sie mit ihren Klängen auf dieser Scheibe zum Ausdruck bringt.

Schon 1970 sucht sie in Indien den Gründer des Integrale Yoga Institute - Swami Satchidananda - auf, um sich mit seinen Lehren zu beschäftigen. 1972 konvertiert sie zum Hinduismus und verlagert ihren Lebensmittelpunkt nach Kalifornien. Noch im selben Jahr veröffentlicht sie John Coltranes unveröffentlichtes Album "Infinity", das sie um eigene Streicherarrangements ergänzt. Seitdem hat seine Fangemeinde nur noch Hohn und Spott für sie übrig. Bis 1978 bringt sie einige gelungene Platten auf Impulse! und Warner Bros. heraus. Außerdem tut sie sich für "Illuminations" (1974), das auf Columbia erscheint, mit dem Gitarristen Carlos Santana zusammen.

1975 hebt sie das Vedanta Centre aus der Taufe und ab 1983 lebt sie mit ihren Kindern in den Santa Monica Mountains in Los Angeles zurückgezogen in einem Ashram, der sich als spirituelle Kommune zum Studium östlicher Glaubensansätze betrachtet, wo man größtenteils meditiert und betet. Als Guru des Vedanta, dem bekanntesten philosophischen Systems Indiens, kennt man sie als Swamini Turiyasangitananda. Darüber hinaus schreibt sie zwei Bücher, die sich um ihre spirituellen Erfahrungen und Mitteilungen göttlichen Ursprungs drehen.

Sechsundzwanzig Jahre lang spielt sie keine Scheiben im herkömmlichen Sinne ein, sondern komponiert religiöse Gesänge, Hymnen und Meditationsmusik, die sich zunächst in ihrem Ashram - der 2018 den verheerenden Waldbränden in Kalifornien zum Opfer fällt - als Kassetten verbreiten, die man jedoch 2017 unter dem Namen "The Ecstatic Music Of Alice Coltrane Turiyasangitananda"- wie sie zwischenzeitlich heißt – zusammenfasst. Da New Age mit einer Reihe an großartigen bis verzichtbaren Wiederveröffentlichungen ohnehin in den 2010ern einen Aufschwung erlebt, bekommt sie zahlreiche neue Anhänger dazu.

Dass sie einst mit ihrem ausdrucksstarken Spiel und ihren fantasievollen Improvisationen avantgardistischen Jazz auf ein neues Level gehievt hat, ruft 2004 noch einmal "Translinear Light" in Erinnerung, das sie nicht als Comeback sieht, sondern als Erinnerung für ihre Kinder. An dem beteiligen sich Oran Coltrane, Altsaxofonist und Gitarrist, und Ravi, der das Album produziert. John Jr. versucht sich als Schlagzeuger, bevor er 1982 einen Autounfall mit seinem Leben bezahlt. Dennoch besteht die Platte zu einem Viertel aus New Age-Kitsch für die Ramschabteilung im Drogeriemarkt, den Alice auf ihren früheren Werken elegant umschifft hatte, weswegen sie sich als zweischneidige Angelegenheit erweist.

Des Weiteren scheint es so aussichtslos wie ein Sechser im Lotto, noch ein Exemplar von "Sacred Language Of Ascension" (2007), ihrem letzten musikalischen Lebenszeichen, zu ergattern. Abseits der Musik widmet sie sich vor ihrem Tode nach einem Lungenleiden am 12. Januar 2007 in Los Angeles ihrer 2001 gegründeten John Coltrane Foundation, die jungen Jazz-Talenten Stipendien verleiht. Ihre eigenen Klänge hallen bis zum jetzigen Zeitpunkt nach.

Nicht ganz unschuldig daran dürfte ihr Großneffe Steven Ellison alias Flying Lotus sein, der immer wieder spirituelle Jazz-Versatzstücke in seinen Soundkosmos integriert und mit abstrakten elektronischen Rhythmen verbindet. Weiterhin greift er auf Samples von ihr zurück - ebenso wie unter anderem Cypress Hill, The Cinematic Orchestra, Skepta oder Dean Blunt.

Zusätzlich erfährt sie Bewunderung aus ganz anderen Lagern. Der "Godfather Of Mod", Paul Weller, setzt ihr 2008 mit "Song For Alice (Dedicated to the Beautiful Legacy of Mrs. Coltrane)" ein Denkmal im modernen Gewand. Die Doom- und Drone-Metal-Band Sunn O))) widmet ihr auf "Monoliths & Dimensions" 2009 den Song "Alice". Die Singer/Songwriterin Laura Veirs singt in "That Alice" 2013 über sie. Ihre Musik besitzt also über die Genregrenzen hinweg nach wie vor etwas Universelles und Verbindendes.

Alben

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