laut.de-Kritik
Das Pendel schwingt zwischen Rock und Elektronik.
Review von Olaf SchmidtEs gibt leichtere Aufgaben als eine Platte wie diese von Anberlin zu besprechen. Zum einen war mir der Name der Band bisher vollkommen unbekannt, zum zweiten befinden sich die Floridaner gerade in Auflösung: "Lowborn", ihr bereits siebtes Album, kündigen sie zugleich als ihr letztes an. Die Musiker werden noch eine Abschiedstournee absolvieren und sich dann in Richtung der ewigen Jagdgründe aufmachen.
Denkbar schwierig also, auf der anderen Seite aber auch eine schöne Herausforderung: kein Zwang, das Album mit seinen Vorgängern zu vergleichen, keine notwendige Einordnung in den Gesamtkatalog. Lediglich die reine Musik auf "Lowborn" kann und soll in dieser Kritik verhandelt werden. Zunächst aber ein Wort zum Cover: Liefert man so etwas ab, weil man weiß, dass man das letzte Album aufgenommen hat und es nun eh wurscht ist? Oder gibt es Menschen, die solche Motive tatsächlich schön finden? Und was möchte es mir sagen?
Egal, Schwamm drüber und auf zur Musik. Siehe da, die kann sich durchaus hören lassen. Anberlin spielen eine Mischung aus modernem Rock und New Wave der 80er Jahre. Gitarre trifft Keyboard lautet somit die grobe Stoßrichtung. Zwischen diesen beiden Polen schwingen die Songs ständig hin und her. Mal schlägt das Pendel stärker in Richtung Rock aus, mal mehr in Richtung Elektronik. Beide Teile stehen recht gleichberechtigt nebeneinander.
Radiokompatibilität wird trotzdem groß geschrieben, was per se keine schlechte Sache sein muss. Es soll ja in anderen Ländern Sender geben, die andere Musik als Rihanna und Avicii spielen.
Ein paar moderne Einsprengsel dürfen es trotzdem sein: Am Anfang von "Armageddon" wobbelt kurz eine unangenehme Dubstep-Anleihe durch den Raum. Zum Glück bleibt das aber die einzige auf der Platte. Die, und das ist eine ihrer besten Qualitäten, mit Abwechslungsreichtum glänzt.
Die Keyboardteppich-Verbliebtheit von "Atonement" erinnert an den Soundtrack zu "Drive". Stimmungstechnisch passt der Song mit seiner balladesken Atmosphäre hier sehr gut hin. Dazu lässt sich bestimmt gut im schnieken Sportwagen nachts durch menschenleere Großstädte fahren und seinen Gedanken nachhängen.
"Birds Of Prey" schlägt mit dicken Beats zunächst in eine ähnliche Kerbe. Später bekommt der Song aber eine Wendung und klingt wie etwas, das Dredg irgendwo zwischen ihrem vorletzten und ihrem letzten Studioalbum hätten aufnehmen können. Vielleicht kurz nach "Mourning This Mourning", morgens um vier.
"Dissenter" markiert den starken Mann, Sänger Stephen Christian verzerrt seine Vocals, die Nummer zieht etwas flotter nach vorne. Leichte Industrial-Anleihen erinnern an Filter oder Gravity Kills, allerdings an deren kleinere, harmlose Brüder. Man kann nicht behaupten, dass der Song sonderlich gut funktioniert, das beherrschen andere doch wesentlich besser.
"Harbinger", eine sphärische Ballade, gerät nach hinten raus etwas zu säuselig. Das würde ich mir nicht nachts in der leeren Großstadt in meinem schicken Sportwagen anhören. Zu groß wäre die Gefahr, einzuschlafen und vor eine Mauer zu rasen.
Unterm Strich gefällt mir "Lowborn", von von zwei schwächeren Nummern abgesehen, gut. Diese Art von elektronisch durchsetzter Rockmusik mit melancholischer Grundstimmung passt perfekt in die lauen Sommernächte, die uns das Wetter zurzeit reichlich schenkt. In jedem Falle rechtfertigt das Album eine weitere Beschäftigung mit dem Backkatalog der Band.
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