laut.de-Kritik
Mehr Daniela Alfinito wagen!
Review von Dominik LippeStets träumt sie sich hinfort in die innige Zweisamkeit. Obwohl betuliche Schlager seit über 30 Jahren Andrea Bergs Profession sind und ihr 14 Nummer-eins-Alben einbrachten, ist es verblüffend, wie schlecht sie in dieser Disziplin eigentlich ist. Um sich gar nicht erst in Verlegenheit zu bringen, ihre stimmlichen Schwächen zu offenbaren, beschränkt sie sich darauf, ihre Liebeslyrik hauchend oder säuselnd vorzutragen. Den Rest erledigen die Zirkusdirektoren auf der anderen Scheibenseite der Gesangskabine, deren Geklimper das Stimmchen schützend umkreist wie FBI-Beamte den US-Präsidenten.
Bergs Texte klingen noch immer wie die ersten Versuche eines Newcomers, der sich wie ein Ertrinkender an Schablonen festhält. Zumeist lässt sich die Geschichte vollständig aus den Substantiven herleiten. "Herz", "Nacht", "Lust", "Leben", "Gefühl" und "Ewigkeit" bilden den stereotypen Reigen von "Sag Niemals Nie". "Herz", "Nacht", "Glück", "Sinne", "Schicksal", "Flammen" und "Zärtlichkeit" jenen von "Ich Hab Heut Nacht Mein Herz Verloren". "Herz", "Liebe", "Leben", "Träume" und "Ewigkeit" jenen von "Du Bist Der Kompass". Es genügt ein zwölfseitiger Würfel, um sich die Texte zusammenzuknobeln.
Eine besondere Vorliebe zeigt Berg für ein Körperteil, das sie in nahezu allen Liedern anhimmelt: "Gib mir deine Hand und dann Geheimkommando Neuanfang", singt sie im Liebesrausch von "Ein Herz Braucht Rückenwind". Andrea Berg ergreift Hände ("Sag Niemals Nie", "Gib Mir Deine Hand", "Flieg Mit Mir"), weist sie von sich ("Das Ist Nicht Fair") und gibt ihr Herz in die Finger ihres Angebeteten ("Du Bist Der Kompass"). Diesen behält sie in "Irgendwann Ist Irgendwann Zu Spät" bis zur weltlichen Abberufung im Klammergriff: "Die Hand, die meine hält, bis irgendwann der letzte Vorhang fällt."
Doch die aberwitzigsten Schlager-Songs sind bekanntlich jene, die problematische Inhalte mit einer Schwamm-drüber-Attitüde darbieten. Andrea Berg verkauft etwa ein Frauenbild, das in der Gottschalk-Leserschaft durchaus anschlussfähig sein dürfte. "Deine Träume sind auch meine", erklärt sie sich in "Du Bist Der Kompass" kurzerhand zu einem Anhängsel ohne eigene Persönlichkeit. "Mit dir weiß ich genau, die Richtung stimmt." "Das Ist Nicht Fair" schildert die Begegnung mit einem Unbekannten und reproduziert dabei das Bild der Frau, die 'nein' sagt, aber im Grunde 'ja' meint.
"Ich bleib' noch auf 'nen Drink, doch dann sagt mir mein Instinkt, es wär' viel besser jetzt sofort zu gehen", trällert sie bedrohlich und zugleich unbekümmert mit Blick auf den Fremden, den sie von besagtem Getränk hoffentlich fernhalten kann. "Ich muss hier raus", spitzt sie weiter zu, beanstandet seine übergriffige Verhaltensweise und erkennt im Refrain: "Du bist genau der Mann, der mir gefährlich werden kann." Doch dann lässt sie sich übermannen und fügt sich nach alter Mütter Sitte: "Alles kann geschehen, denn so 'nem Mann wie dir kann ich nicht widerstehen."
Die Gegenrichtung schlägt sie mit "Belüg Mich Bitte Nicht" ein. Völlig singfrei dröhnen die Stadion-Fanfaren zur Observierung ihres fremdgehenden Manns. Doch wie wird Berg auf diesen Verrat reagieren? "Wenn das Gras dort grüner ist", durchkreuzt sie achselzuckend ihre sich ewiger Liebe verpflichtende Markenidentität. Nach der zuvor galaktisch überhöhten Partnerschaft ruft sie dem Schuft ein ungeschminktes 'Fuck off' hinterher: "Ich hab' mir geschworen, dass ich dir nicht noch einmal verzeih'." Damit dockt sie an ihre Ellenbogen ausfahrende Kollegin Daniela Alfinito an.
"Ich wein' dir ganz bestimmt nicht hinterher", heißt es erfrischend nüchtern in "Belüg Mich Bitte Nicht". Doch warum zum Teufel singt sie diesen Anflug von Selbstermächtigung so brav, als sei ihr gerade die Jungfrau Maria erschienen? "Flieg Mit Mir" überkompensiert zum Schluss das freche Empowerment mit einer gehörigen Portion Kitsch. Dimensionsüberschreitend wie Bernhard Brink bewegt sie sich im Seelentaumel "grenzenlos durch Raum und Zeit", "weiter noch als die Unendlichkeit". Es mag grotesk klingen, aber Andrea Berg sollte tatsächlich mehr Daniela Alfinito wagen.
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