laut.de-Kritik
Radikal abgespeckt: alte Tracks neu abgeschmeckt.
Review von Alex KlugManchmal wundere ich mich schon, wenn sich der Archive-Tourbus nach Deutschland verirrt. Denn dann fluten mehrere Tausend Fans der Briten die deutschen Großstadt-Locations. Wo kommen die eigentlich alle her? Gefühlt rangiert das Alternative-Rock/Electronica-Kollektiv hierzulande immer noch unter ferner liefen. Gut, beim Blick auf die letzten regulären Outputs wundert das nicht.
In Sachen Songwriting trafen Archive mit "The False Foundation" nicht alle Nägel auf den Kopf. Doch dafür sind sie eben eine starke Best-of-Band. Das merkt man etwa – ach ja – am jüngsten Best-of-Zyklus: "25", die "25"-Tour und nicht zuletzt das äußerst formidable Download-Album "25 Live" waren 2019 das Ergebnis eines dringend notwendigen Akts des diskografischen Aussiebens. Der erneute Nachwurf von "Versions" verstärkt den Eindruck, die Bandköpfe Keeler und Griffiths könnten nun endgültig die retrospektive Phase der musikalischen Erbverwaltung einleiten. Aber: Warum auch nicht?
"Versions" ist eine Sammlung radikal abgespeckter Neu-Arrangements von Archive-Smash-Hits und -Geheimtipps. Bis auf wenige Ausnahmen lassen sich die zehn Tracks von glasklaren Piano-Motiven und seltener auch kaskadierenden Wobble-Synths tragen. Darüber: Stimmen – davon hat die derzeit mindestens vier Sänger umfassende Gruppe schließlich mehr als genug.
Das für gewöhnlich überlange "Lights" entfaltet auch in der beschnittenen Piano-Version einen äußerst repetitiven Sog, während Vokalistin Holly Martin "Nothing Else" (vom leider lange vergessenen Trip Hop-Meilenstein "Londinium") ein fragiles Update beschert. Erfreulicherweise umgibt sich das Album hier und da tatsächlich mit der subtilen 90er-Atmosphäre des Debütalbums. Hier und da ein kleiner Beat, hier und da ein kleiner Touch Kammermusik.
Alles nicht unkalkuliert, aber im Grunde das beste Archive-Release seit ziemlich vielen Jahren – wenn man einmal großzügig über die ziemlich geschredderte, weil überakzentuierte "Fuck U"-Inszenierung hinwegsieht. Hier entpuppt sich die Integration von Lisa Mottram ins andernorts äußerst stimmige Mikrofon-Roulette als leider viel zu tiefer Griff ins Atmo-Klo.
Doch abgesehen hiervon stimmt auf "Versions" so einiges. Archive behandeln ihre zehn Kompositionen wie rohe Eier. Selbst dem eigentlich unantastbaren Herzschmerz-Meilenstein "Again" kommt das zugute: Das stark gekürzte Re-Recording ergießt sich in schwerelos schönen Harmonie-Bächen und geht gerade wegen seines ungewohnten Choral-Approachs schnell unter die Haut. Und so treffen Archive mit ihren etwas prätentiös anmutenden Weltraum-Promo-Clips doch irgendwie einen Nerv: "With the new version of Again we wanted to float in the sky" heißt es da. Passt.
Denn tatsächlich könnte "Versions" am Ende nicht nur ein Gimmick für die besagten hallenflutenden Langzeitfans sein, sondern auch fremde Erdenbewohner in seinen Bann ziehen – etwa Freunde von Low und Nils Frahm.
Außerdem wären da ja noch die beiden Neuen: "Erase" und insbesondere "Remains Of Nothing" machten schon live zwischen all den alten Bekannten eine verdammt gute Figur. Und auf "Versions"? Gehören sie wieder zu den stärkeren Tracks.
Steht also vielleicht doch noch eine rosige kompositorische Zukunft fürs Kollektiv im Raum? Bitte ja. Denn auserzählt ist dieses Mammutprojekt eigentlich noch nicht.
1 Kommentar
Braucht kein Mensch mehr. Die Originale sind schon formvollendet.