laut.de-Kritik
Ein Adele-Song schreit förmlich nach der Queen Of Soul.
Review von Sven KabelitzMan sollte nicht in Versuchung geraten, "Aretha Franklin Sings The Great Diva Classics" an manch einem heute hergestellten Plastikmüll zu messen. Die Taten von Königin Elisabeth II. vergleicht man schließlich auch nicht mit denen des gemeinen englischen Pöbels. Nein, das geziemt sich einfach nicht. Für das mittlerweile 38. Studio-Album der "Queen Of Soul" gelten die Standards, die sie selbst mit ihren Meisterwerken "I Never Loved A Man The Way I Love You", "Lady Soul", "Spirit In The Dark" oder "Young, Gifted And Black" gesetzt hat.
Erstmals seit "So Damn Happy" veröffentlicht Aretha Franklin einen Longplayer bei einem Major-Label. Ihre letzte Platte "Aretha: A Woman Falling Out Of Love" gab es 2011 nur bei Walmart zu erstehen. Da sich die Großhandelskette aber bereits 2006 mit eingekniffenem Schwanz aus Deutschland zurück zog, bekam man hierzulande nichts davon mit.
Für "Aretha Franklin Sings The Great Diva Classics" covert sich die Grande Dame nun durch das Repertoire ihrer Kolleginnen. Neben Arista Records-Gründer Clive Davis, der die Sängerin 1980 zu seinem Label holte und maßgeblich an ihrer Entwicklung in den 1980ern beteiligt war, finden sich unter anderem der lange verschollene Kenny "Babyface" Edmonds und André "3000" Benjamin an den Reglern wieder. Bereits ein Blick auf die Songauswahl sorgt für Ernüchterung. "I Will Survive", "I'm Every Woman" und "You Keep Me Hangin' On"? Ernsthaft? Ausgelutschter könnte die Auslese kaum ausfallen.
Aber Aretha Franklin traut sich auch an Adeles "Rolling In The Deep". Da dieser Track förmlich nach einer "Queen Of Soul" schreit, konnten Linkin Park, Nicole Scherzinger und Lil Wayne, die sich bereits an dieser überdimensionalen Pop-Soul-Nummer versuchten, nur allesamt kläglich scheitern. Die nun von Edmonds produzierte Neuaufnahme hält sich im Arrangement ebenso artig wie ideenlos an das Original. Für einen kurzen Überraschungsmoment sorgt lediglich das Einbinden des Motown-Klassikers "Ain't No Mountain High Enough", der beim zweiten Hördurchlauf bereits unpassend wirkt. Letztendlich degradiert diese Neuversion Aretha Franklin zur "Queen Of Karaoke".
Die Soul-Koryphäe selbst kümmert sich einen feuchten Kehricht um den Song und nutzt dessen Bühne viel mehr zur Selbstdarstellung. Ihr Können scheint durch jede gesungene Note, aber ihr Organ hat in den letzten Jahren einiges an Federn lassen müssen. Anstatt diesen Makel jedoch geschickt einzusetzen, überstrapaziert sie ihre Stimmbänder. Klang sie früher so, als wäre Singen die einfachste und natürlichste Sache der Welt, presst sie heute jeden Ton krampfhaft hervor.
Gelingt ihr dies in den tiefen Lagen noch souverän, schlägt sie die hohen Frequenzen dünnatmig, flirrig und schräg an, sodass der einstmals kernige, erdige Sound verloren geht. Im Gegensatz zu Dusty Springfield, die sich im Nachhinein Arethas Phrasierung in "Son Of A Preacher Man" abschaute, dürfte Adele hier nichts für ihren eigenen Vortrag entdecken.
Alicia Keys' "No One" verpassen The Underdogs ein neues Pop-Reggae-Gewand. Deutlich heimeliger fühlt sich Mrs. Franklin im naturbelassenen "Teach Me Tonight" (Dinah Washington), das auf jegliche Anbiederung an die Moderne verzichtet. Eine Ausrichtung, die auch Gladys Knights "Midnight Train To Georgia" besser zu Gesicht gestanden hätte. Stattdessen überzieht Babyface die Nummer mit all zu viel Zuckerguss, während sich der Background-Chor, bestehend aus Fonzi Thornton, Tawatha Agee, Brenda White-King, Latrelle Simmons und Whitneys Mama Cissy Houston, unangenehm in den Vordergrund singt.
"At first I was afraid, I was petrified." Meine Furcht vor "I Will Survive" sollte sich schnell als gerechtfertigt erweisen. Spätestens seit der Hermes House Band braucht niemand - ich betone niemand! - mehr eine weitere Version dieses bereits in den Seilen hängenden Songs. Dies hindert Arteha Franklin und den House-DJ Terry Hunter jedoch nicht, die Nummer mit einem twerkenden "Survivor" (Destiny's Child) zu paaren und ein schauerliches Discofox-Monster zu erschaffen. Eine schmerzhafte Pailletten-Nummer, dessen miefiger Kitsch selbst Barry Manilow zu peinlich wäre. Chaka Khans "I'm Every Woman", das sich mit "Respect" zusammenschließt, ergeht es kaum besser.
Ein einziges Mal macht Aretha mit der Hilfe von André 3000 alles richtig und wirkt nicht wie ein Fremdkörper auf dem eigenen Longplayer. Zwar schrieb Prince "Nothing Compares 2 U" einst für The Family, aber an Sinéad O'Connors Interpretation kam bisher niemand heran. Keiner kann dieses Stück so verletzt, spöttisch und böse singen wie die Irin. Sich dessen bewusst, stellt Benjamin das Lied komplett auf den Kopf. Aus der traurigen Ballade ersteht ein mitreißender Up-Tempo-Swing. Gegen die trübe Essenz des Textes kämpft Aretha mit viel Lebensfreude, Hoffnung und munterem Scat-Gesang an. Man sollte eben doch des öfteren auf seinen Arzt hören. "He said, Aretha, girl, you've got to have fun!"
Mit "Aretha Franklin Sings The Great Diva Classics" steigt die "Queen Of Soul" noch einmal von ihrem Thron herab und mischt sich unter das vermeintliche Fußvolk. Als müsse sich die 72-jährige Legende überhaupt noch beweisen, versucht sie sich überambinioniert zwischen Adele, Beyoncé und Alicia Keys zu profilieren. Sie packt jeden Trick und jeden Kniff aus, den sie in ihrem Leben gelernt hat, und sagt den zehn Tracks regelrecht den Kampf an. Dabei vergisst sie einen klitzekleinen Aspekt. Um es, leicht abgewandelt, mit Tywin Lannister zu sagen: "Jede Frau, die erwähnen muss, dass sie eine Königin ist, ist keine richtige Königin."
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