laut.de-Kritik

Intensiv wie eh und je.

Review von

Die Sensation war perfekt, als die Post-Hardcore-Götter von At The Drive-In sich letztes Jahr nach 15 Jahre Pause wiedervereinigt haben. Jedoch hat man Gründungsmitglied und Gitarrist Jim Ward durch Keeley Davis vonSparta ersetzt, der neben Omar Rodríguez-López den Platz als zweiten Saitenhexer einnimmt. Viele Fans fragen sich, wie die Band aus El Paso diese kreative Lücke kompensiert und ob das alte Feuer auf "in•ter a•li•a" nach so einer langen Auszeit wieder kraftvoll lodert.

"No Wolf Like The Present" fegt zu Beginn sämtliche Zweifel hinweg. Die folgenden Songs halten das hohe Energielevel konstant aufrecht und klingen nach purer Ekstase und tropfendem Schweiß. Keeley Davis glänzt sicherlich kaum mit einer besonderen Variationsfähigkeit in seinen Riffs, füllt die Lücke von Jim Ward jedoch solide aus.

Andererseits findet man die waghalsigen Taktwechsel ("Continuum", "Holtzclaw") und jazzigen Nuancen ("Hostage Stamps") von Omar-Rodríguez López eher in geringer Dosierung auf diesem Album verteilt. Außerdem dringen die Melodien nicht so offensichtlich ins Ohr, wie man es von At The Drive-In bisher kennt. Bis sämtliche Stricke reißen und der Knoten endgültig platzt, wartet man bis zum sechsten Track "Incurably Innocent".

Der Song soll Opfer sexuellen Missbrauchs ermutigen, über ihr Schicksal zu sprechen. Mit knackigen, melodischen Riffs und einer einprägsamen Melodieführung knüpft die Nummer nahtlos an Hits wie "Arcarsenal" und "One Armed Scissor" vom Vorgänger "Relationship Of Command" (2000) an. Danach hat "in•ter a•li•a" einen hervorragenden Lauf, der bis zum Schluss anhält.

"Call Broken Arrow" lädt anschließend mit effektiven Breaks und von Cedric Bixler-Zavala halb gesprochenen, halb gesungenen Lyrics zum Moshen ein, ohne dass die Eingängigkeit in diesem Track nur eine Sekunde zu kurz kommt. Wie dieser Ausnahmesänger zwischen wütendem Ausbruch und authentischem Leid nahezu spielerisch wechselt, sucht in dieser Intensität im alternativen Bereich seinesgleichen.

Die größte Überraschung dieses Comebacks stellt aber "Ghost-Tape No. 9" dar. Die Polyrhythmen am Schlagzeug von Tony Hajjar erzeugen einem schleppenden Groove und das funkige Bassspiel von Paul Hinojos sorgt dabei für viel Dynamik. Die vernebelte Post-PunkPunk-Gitarre von Omar Rodríguez-López schwelgt in den düsteren Sphären seiner Nebenbaustelle Bosnian Rainbows. Cedric Bixler-Zavala legt darauf noch eine Schippe Soul auf sein Organ, so dass man sich beinahe an eine Nummer von Afghan Whigs erinnert fühlt.

Veränderungen bleiben also bis auf diese wenigen Momente vollständig aus, doch letztendlich vereint "in•ter a•li•a" die verschiedenen Qualitäten des Fünfers kompakt auf rund 40 Minuten. Die Platte beherbergt immer noch genug ungebändigte Power und viele ausgeklügelte Details, um die Gitarrenkonkurrenz in die Schranken zu weisen. Die Rock-Welt verändern die Texaner damit nicht mehr. Dennoch dürfte der Live-Siegeszug rund um den Globus, der At The Drive-In auch nach Deutschland führt, nicht mehr aufzuhalten sein.

Trackliste

  1. 1. No Wolf Like The Present
  2. 2. Continuum
  3. 3. Tilting At The Univendor
  4. 4. Governed By Contagions
  5. 5. Pendulum In A Peasant Dress
  6. 6. Incurably Innocent
  7. 7. Call Broken Arrow
  8. 8. Holtzclaw
  9. 9. Torrentially Cutshaw
  10. 10. Ghost-Tape No. 9
  11. 11. Hostage Stamps

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12 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Schade, dass Ward nicht dabei ist.

  • Vor 7 Jahren

    Stimmt Jim Ward fehlt aber er ist gerade wohl nicht in der Lage auf eine Welttour weil alte Demonen leider wieder bekämpft werden müssen. Er war nie der Mittelpunkt der Band und nur an wenigen Song maßgeblich beteiligt. Bixler-Zavala und López standen schon immer im Mittelpunk mit Ihrer außergewöhnlichen Art der Performance. Ward hat mit Sparta gezeigt das er den Beiden im Songwriting durchaus Konkurenz machen kann und somit wäre es spannend gewesen die neue Platte mit seiner Erfahrung zu verbinden.

    • Vor 7 Jahren

      So, so; Herr Ward bekämpft also wieder alte Demonen (aka Dämonen)!? Abgesehen davon, dass das wohl viele mehr oder weniger machen, würde ich gerne mal wissen, wer dir das zugeflüstert hat? Vielleicht hat der gute Mann derzeit einfach was Besseres zu tun, oder keinen Bock mit den beiden Afro-Hähnen Zeit zu verbringen!?

  • Vor 7 Jahren

    Nach mehrmaligen hören muss ich sagen Comeback voll geglückt. Zum Glück keine Experimente a la Mars Volta sondern geht sehr dynamisch wütent zu Sache. Omar zeigt natürlich seine gewohnt komplexe Gitarrenskillz aber immer mit einer Songdienlichen Zugänglichkeit. Cedric war schon immer wie ein Flummi der den Spagat zwischen Anarchie und angepasster Dynamik Stimmlich wie auch auf der Bühne ohne Abstriche meisterlich beherrscht...zum Glück weiterhin voll da. Die Platte ist progressiv aber spart etwas mit den ruhigen Tönen und ist wirklich arg kurz. Im Kontex zu der Band Diskografie fügt sich der neue Sprößling aber perfekt ohne merklich abzufallen. 4/5

  • Vor 7 Jahren

    Starkes Album, aber zu geradlinig. Cedric enttäuscht nicht, was meine größte Sorge war. Dass er keine 20 mehr ist, ist auch klar. Hostage Stamps als stärkster Song ganz am Ende.

    Kann sich auch im Vergleich zur letzten Refused sehen lassen.

    4/5 definitiv.

  • Vor 7 Jahren

    Da es aufgrund des ständig-nach-vorne-gehen-müssens und des zugegebenermaßen nicht sehr abwechslungsreichen Songwritings schwierig ist, das Album ohne Ermüdungserscheinungen voll durchzuhören, habe ich versucht, die Tracklist etwas aufzulockern, allerdings mit mäßigem Erfolg (2 EPs mit je 4/5 Tracks hätten eigentlich auch gereicht, s.u.):

    1 No Wolf like the Present
    2 Governed by Contagions
    3 Hostage Stamps
    4 Ghost Tape
    5 Pendulum in a Peasant Dress
    6 Holtzclaw
    7 Continuum
    8 Tilting at the Univendor
    9 Incurably Innocent
    10 Torrentially Cutshaw
    11 Call Broken Arrow

    Es Bedarf dann immernoch einer gehobenen Grundstimmung, um den Ritt durchzuhalten.

    EP1 (blau):

    1 No Wolf like the Present
    2 Pendulum in a Peasant Dress
    3 Call Broken Arrow
    4 Ghost Tape
    5 Hostage Stamps

    EP2 (gelb):

    1 Continuum
    2 Torrentially Cutshaw
    3 Tilting at the Univendor
    4 Governed by Contagions
    5 Incurably Innocent

  • Vor 7 Jahren

    Insgesamt doch stärker als die Teile, die vroab veröffentlicht wurden, wobei Governed by Contagions und Hostage Stamps neben Call Broken Arrow, zu den besten Songs gehören, die das Album vorzuweisen hat.

    Keine wilden Spielereien mehr, was es halt weniger abwechslungsreich erscheinen lässt, dafür aber ein Cedric, der stellenweise an Energie kaum eingebüßt zu haben scheint. Gitarrenarbeit überzeugt auch auf ganzer Länge.