laut.de-Kritik

Eine Ode an Wien, geflochten aus Wein, Koks und Moder.

Review von

"Guten Morgen, herzlich willkommen an diesem wunderschönen Tag!" Wie der Marktschreier auf dem Rummel, der das vorbeiflanierende Volk in sein Zelt hinein zu komplimentieren versucht, wirkt die Begrüßung, mit der Bibiza sein Publikum empfängt. Das erinnert in der Machart ein bisschen an Alligatoahs Rollenspiel auf "Triebwerke", stimmt aber auch höchst angemessen auf das Kommende ein: "Ich hab' ein Album gemacht, und es heißt 'Wiener Schickeria'. Es hat in mir ein Feuer entfacht wie der Ofen in einer Pizzeria."

Im Grunde steckt bereits in den ersten Minuten alles drin, was diesen angeschickerten Trip durch die österreichische Kapitale ausmacht: ein bisschen Suff und ein bisschen mehr Koks, entsprechend ein bisschen wehleidiger Weltschmerz und ein bisschen mehr Großmäuligkeit, zusammengequirlt zu dieser durchsichtigen, nichtsdestotrotz höchst wirkungsvollen Version von Charme, für die das Hochdeutsche keinen Begriff kennt, der es besser träfe als "Schmäh".

Bibiza stolpert, natürlich, des Nachts und, noch natürlicher, mit einer Weinflasche in der Hand, durch seine Heimatstadt. Er hat den "Opernring Blues", laboriert an "Stadtpark Insomnia", verliert sein Zeitgefühl auf der "Höhenstraße", "Am Weg In Die Villa", um dort zu "Ballern Am Balkon", und natürlich geht am Ende dramatischer "Regen" hernieder: Dieses Album ist wahrhaftig "Eine Ode An Wien", geflochten aus Hassliebe und Morbidität.

"Wer Leidet Mit Mir?" "Außer meine Lunge und meine Leber?" Auf der Suche nach company in seiner misery, feiert Bibiza so frenetisch wie verzweifelt gegen den Untergang an. Er versucht, die "Schöne Dame" zu bezirzen, schmachtet aus größerer Distanz in Richtung der "Femme Fatale", kommt am Ende aber, ganz "Mr. Pessimist" zu dem Schluss: "Du musst alleine durch die Scheiße."

Eher früher als später bricht unausweichlich der allgegenwärtig wuchernde Moder durch die glänzenden Oberflächen. Jedem Zauber wohnt sein unausweichliches Ende bereits inne, am Schluss bleibt immer nur die Eine, Allumfassende, "und wenn ich sterbe, lieg' ich unter deiner Erde, Baby." Ein schauriger, wenn auch merkwürdig tröstlicher Gedanke.

Vor das Sterben haben sie in Wien aber das Feiern gesetzt, und auch dazu taugt "Wiener Schickeria" mit seinen groovy, elend tanzbaren Basslines, funky Gitarren, den opulenten Konservenstreichern, flackernden Synthies und treibenden, zuweilen sogar bis zur Atemlosigkeit getriebenen Discobeats ganz ausgezeichnet.

Dass die besten Songs immer alle - zumindest ein bisschen - geklaut sind, daraus macht Bibiza überhaupt keinen Hehl. Er packt den Geist der 1920er und '30er Jahre aus ("Marie"), knickst vor Mozarts "Kleiner Nachtmusik" ("Femme Fatale"), stimmt Töne wie aus "Spiel Mir Das Lied Vom Tod" an ("Regen"), beschwört "Amore, Amore" wie weiland Wanda ("Guten Morgen") und trägt überhaupt insgesamt den blasierten, selbstzerstörerischen Chic des einen auf, dessen Geist so omnipräsent über diesem Album hängt, dass man ihn (fast wäre es mir gelungen) eigentlich gar nicht erwähnen mag.

Erstaunlicherweise wirkt all das aber nie wie ein frecher Griff nach fremden Federn. Es gleicht viel mehr einer Serie ehrerbietiger Verbeugungen vor denen, die vor Bibiza bereits auf Opernring und Höhenstraße wandelten, "Schick Mit Scheck", oder, je später die Nacht, desto wahrscheinlicher ohne, egal, Hauptsache gut angezogen, mit Style und großer Geste:

"Man bringe mir den Spritzwein, bitte, weil nur so find' ich wieder z'rück zu meiner Mitte. In dieser flachen Welt brauch' ich ein bisschen einen Nervenkitzel, da ist so viel Dreck auf meiner Lippe, Babe, bitte, komm' mich küssen." Mach' das, Babe, die Nacht ist kurz, das Leben nicht viel länger, und schönere Leichen als in Wien findest du auf diesem Planeten wahrscheinlich nirgendwo.

Trackliste

  1. 1. Guten Morgen
  2. 2. Opernring Blues
  3. 3. Schick Mit Scheck
  4. 4. Eine Ode An Wien
  5. 5. Ballern Am Balkon
  6. 6. Eine Ode An Bibiza
  7. 7. Alkoholiker
  8. 8. Stadtpark Insomnia
  9. 9. KiK (Skit)
  10. 10. Blau
  11. 11. Hautevolee
  12. 12. Schöne Dame
  13. 13. Akademie Der Bildenden Künste
  14. 14. Marie
  15. 15. Femme Fatale
  16. 16. Höhenstraße
  17. 17. Mr. Pessimist
  18. 18. Wer Leidet Mit Mir?
  19. 19. Am Weg In Die Villa
  20. 20. Babylon Freestyle
  21. 21. Regen

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