laut.de-Kritik
Ecstasy-Sound für die eigenen vier Wände.
Review von Maximilian FritzEs ist 2017, Pandemien werden popkulturell höchstens als fiktiv-moralisierende Zäsuren in der Menschheitsgeschichte verhandelt und der Festival-Zirkus bläht sich scheinbar nicht enden wollend auf. Auf diesen äußerst fruchtbaren Nährboden lassen Bicep ihr selbstbetiteltes Debütalbum fallen und begeistern damit vor allem Raver*innen, die unter freiem Himmel ihre erste Tablette geschluckt haben. Oder jene, die den Konsum seit Jahrzehnten betreiben und sich plötzlich in die goldenen Neunziger zurückversetzt fühlen dürfen.
"Bicep" erscheint genau zur richtigen Zeit. Mit dem Überhit "Glue" an vorderster Front landen Matt McBriar und Andy Ferguson einen, man darf das getrost so formulieren, Welterfolg. Die Zutaten dafür sind rückwärtsgewandt, erstrahlen aber in gleißendem neuen Gewand. Hastige Breakbeats, weite Flächen, Chöre, Vocals – dieses Bouquet garantiert ein Höchstmaß an Emotionalität, insbesondere in trauter Einheit mit der aufwendigen Lichtshow, die Bicep an den Start bringen.
Wozu aber zwei Absätze zum Debütalbum, wenn mit "Isles" eigentlich sein Nachfolger besprochen werden sollte? Nun, weil der nicht nennenswert viel anders macht, nur eben unter stark veränderten Vorzeichen. Jeder, wirklich jeder der zehn Tracks, obwohl vielleicht etwas subtiler produziert, hätte so auch auf dem letzten Album seinen Platz gefunden.
Besonders gilt das für die Vorab-Single "Apricots", die die Bicep-Formel bis ins Mark verkörpert. Das Gute dabei: Auch die zehn aktuellen Stücke sind keineswegs verkehrt, obwohl etwas flach produziert. Das nordirische Duo hat die Suche nach Samples einmal mehr mit Kreativität und liebenswürdiger Einfältigkeit betrieben. Wo auf "Bicep" in "Rain" noch der Gesang der Inderin Lata Mangeshkar erklang, stehen dem auf "Isles" bulgarische Frauenchöre gegenüber.
Dann gibt's mit "Lido" noch das obligatorische Ambient-Interlude, das mit seiner Tierdoku-Atmosphäre gut gelungen ist. "X" mit Clara La San versucht sich am Home-Rave-Bombast, muss damit aber naturgemäß scheitern. Auf "Saku" hingegen macht die Sängerin einen hervorragenden Job und hilft mit, erhabenen Dance-Pop zu spinnen.
"Rever" mit Julia Kent plätschert bzw. breakt im Burial-Modus etwas ziellos vor sich hin, funktioniert auf kosmische Art und Weise aber doch. Das lässt sich von "Sundial", das mit dramatischen Melodiebögen aufwartet, ebenfalls behaupten.
Besonders imponiert mit "Hawk" ausgerechnet der letzte Track dieses WG-Küchen-Trips, der die richtige Balance zwischen ergreifenden Melodien und feiner Produktion findet und mit seinen plötzlichen einsetzenden Breaks den Kitsch ein weiteres Mal salonfähig macht.
Generell machen die Nordiren wenig verkehrt, treiben die Konservierung – oder Weiterentwicklung, so klar wird das nicht – ihres Stils aber in einer gänzlich anderen Realität voran. Opulenz und Exzess stehen derzeit eben nicht hoch im Kurs. Was aber nicht bedeuten muss, dass Fans "Isles" nicht als poppiges Hoffnungszeichen interpretieren könnten. Andere bleiben beim Debüt. Oder erfreuen sich an den simplen, aber genialen House-Bangern, die das Duo einst überhaupt erst prominent machten.
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