laut.de-Kritik

Justin Vernon und Aaron Dessner bleiben in Hochform.

Review von

"How Long Do You Think It's Gonna Last?" wollen Aaron Dessner und Justin Vernon von uns wissen. Bei anderen Zeitgenossen hätte ich ja gesagt: "Vielleicht noch der Winter, ne Auffrischimpfung und ne Runde Unterhosenzieher für Querdenker*innen", aber irgendwie scheint dieses Album etwas anderes zu erfragen. Die beiden Köpfe hinter Big Red Machine sind wieder mal auf der Suche nach emotionaler Klarheit und musikalischer Expression in ihrer direktesten Form und begeben sich dafür tief hinein in die Verästelungen der populären Musik.

Auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum klang das vor ziemlich genau drei Jahren noch nach Hipster-Homestudio-Recordings - als würden sich die Köpfe hinter zwei der größten Namen der Musikindustrie als Nachwuchstalente neu erfinden. Alles floss leichtgängig ineinander, Dessners kontrollierte Arbeit für The National war nur noch stellenweise zu erkennen, Skizzen erwuchsen zu Songs. "How Long Do You Think It's Gonna Last?" scheint davon Lichtjahre entfernt.

Justin Vernon war ja spätestens seit seinen Beiträgen zu "Yeezus" und "The Life Of Pablo" everybody's favourite white indieboy, aber das hatten alle nach "22, A Million" wieder vergessen. Aaron Dessner hingegen ist letztes Jahr in neue Sphären emporgestoßen. Weg vom Image des Rock-Verweigerers, hin zum Produzenten von Taylor Swift ("Evermore", "Folklore"). Big Red Machine sind endgültig im Inneren der Maschine und senden von dort Statusupdates.

Die auf dem Debüt dauerpräsente Vocoderstimme Vernons teilt sich geduldig den Raum mit wechselnden Gastsänger*innen, beinahe wie Matt Berninger auf "I Am Easy To Find". Nur, dass die Gäste hier die Songs maßgeblich mitbestimmen. Allen voran natürlich Taylor Swift auf "Renegade (feat. Taylor Swift)". Der Song klingt stark nach "Evermore", Swifts Storytelling erinnert an "Exile" (sogar so sehr, dass Vernon einmal mehr den Duett-Partner mimt). Einzig die Addition nervöser, zirkulierender Drums und unruhiger Gitarren verankern den Track im Big Red Machine-Kosmos.

Auch Robin Peckard, Kopf hinter den Fleet Foxes, bekommt viel Raum. "Phoenix (feat. Fleet Foxes and Anais Mitchell)" strahlt dieselbe, leicht schlurfige, Morgenmantel-Behaglichkeit von "Shore" aus. Leichtfüßig kombinieren die Kollaborateur*innen ein sanftes Piano, 2/4-Drums und Bläser. Nur Vernons altbekannte Vocoder-Stimme erinnert an den Namen über dem Albumtitel.

Generell kommt seine so markante Stimme nur spärlich zum Tragen. "How Long Do You Think It's Gonna Last?" ist das Album des Aaron Dessner. Am berührendsten wird es, wenn er ans Mikro tritt. "The Ghost Of Cincinnati" ist eine zurückgenommene Gitarrenmeditation, eine Reminiszenz an seine Heimat Ohio. Dessners Stimme klingt vorsichtig und fragil, er listet die Erinnerungen seiner Kindheit auf, fordert Vergebung für den Baseballsünder Pete Rose, den ehemaligen Superstar der Cincinnati Reds und ein Verweis auf den Projektnamen Big Red Machine", eigentlich der Spitzname des Cincinnati Reds-Teams der 70er.

Zu Höchstform läuft Dessner kurz vor Schluss auf. "Brycie" ist eine große Liebeserklärung an seinen eineiigen Zwillingsbruder Bryce (der zum Album Streicherarrangements beisteuerte) und dessen bedingungslose Zuneigung in früher Jugend. Ruhig plätschert die Gitarre vor sich hin, wie ein sanftes Bett breitet sich der Song aus, dazu Dessner engelsklare Stimme: "You said I couldn't take it / I couldn't ".

Der beste Showcase für Vernon ist hingegen "Easy To Sabotage (feat. Naeem)". Ein fiebrig-zuckendes Stück Musik, niemals stillstehend, wie auch die besten Songs des Debütalbums schon. Vernon überschlägt sich selbst, er scheint durch den Song zu stolpern, rappelt sich auf, fällt wieder. Seine Stimme klingt mechanisch-lallend, wie eine virtuelle Annäherung an menschliche Emotionen.

Ben Howard und Kate Stables sind das analoge Pendant hierzu. Zu einem vorsichtig zirkulierenden Schlagzeug umkreisen sie sich, bedächtig Distanz wahrend, als würden sie einen langsamen Walzer auf Zehenspitzen tanzen. Howards dunkles Timbre harmoniert exzellent mit Stables' dünner, zerbrechlicher Stimme. Dessner ist klug genug, diese Intimität zuzulassen, sein Arrangement ist reduziert und minimalistisch. Es klingt wie das Intro zu einem sehr behäbigen The National-Song, dem der große, überwältigende Refrain genommen wurde.

"How Long Do You Think It's Gonna Last?" Hoffentlich noch sehr, sehr lange.

Trackliste

  1. 1. Latter Days (feat. Anais Mitchell)
  2. 2. Reese
  3. 3. Phoenix (feat. Fleet Foxes and Anais Mitchell)
  4. 4. Birch (feat. Taylor Swift)
  5. 5. Renegade (feat. Taylor Swift)
  6. 6. The Ghost Of Cincinnati
  7. 7. Hoping Then
  8. 8. Mimi (feat. Ilsey)
  9. 9. Easy To Sabotage (feat. Naeem)
  10. 10. Hutch (feat. Sharon Van Etten, Lisa Hannigan and Shara Nova)
  11. 11. 8:22AM (feat. La Force)
  12. 12. Magnolia
  13. 13. June's A River (feat. Ben Howard and This Is The Kit)
  14. 14. Brycie
  15. 15. New Auburn (feat. Anais Mitchell)

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