laut.de-Kritik

Der ZZ Top-Frontmann zieht das Tempo an.

Review von

Die beiden Solo-Alben des ZZ Top-Frontmanns 2015 und '18 hatten für Billy F(rederick) Gibbons' Stimme allzu beschauliche Stücke. Dass "Hardware" mehr rockt, Tempo und Intensität hebt, waren gute Entscheidungen des 71-Jährigen. Denn er überzeugt am meisten, wenn er sich austobt.

Auch dass Gibbons auf "Hardware" Hardrock (in "More-More-More"), lässigen Southern Swamp (in "Shuffle, Step And Slide"), dynamischen Tex-Mex-Rock'n'Roll ("West Coast Junkie") und einen sägenden Mitgröl-Stampfer ("I Was A Highway") integriert, kommt wie gerufen. Die LP profitiert von einem Klangfarben-Mix, den man sonst selten zu hören bekommt. Mit dem Spoken Word-Konstrukt "Desert High" wartet was Innovatives am Ende, das uns mitten in die Atmosphäre des Joshua Tree-Nationalparks reinsaugt.

Wie schon mit Bezügen zu Kuba und zum Blues des Mississippi, gibt es auch 2021 wieder eine Überschrift, die Wüste. Der sonnenbebrillte Altmeister braucht die dunklen Gläser diesmal wirklich, denn das Werk entstand in der Nähe des kalifornischen Coachella-Tals, wo er sich mit vier Kollegen wochenlang aufhielt und trotz einer gefährlichen Wildschweinrotte draußen herumtrieb, auch wenn ihm Einheimische davon dringend abrieten. Dieses Setting taugte ihm, wie man hört.

Auch ZZ Top haben diesen Desert-Flair. Dem klassischen ZZ-Sound entnimmt Billy derweil das, was er braucht, um deren kürzlich verstorbenen Toningenieur zu würdigen, der die Klangarchitektur lange, seit ihren elektronisch veredelten Platten der Achtziger prägte. Ein musikalischer Nachruf; er gilt (Hardware-)Techniker Joe Hardy, daher der CD-Titel "Hardware". Entsprechend legt sich ein feiner Hauch Industrial-Elektronik gelegentlich unaufdringlich auf den Sound. Dominanter ist die '59er-Les Paul aus dem Hause Gibson. Gibbons meets Gibson-Gitarre - dieses alte Erfolgsrezept macht sich bezahlt.

"My Lucky Card" steigt abgekämpft, rotzig und mit einem hypnotischen Guitar Riff ein, das sofort schwindlig macht. Motorway-Musik, erdiger Amplifier-Shit, den man im Auto laut aufdreht, mit folgendem vielsagenden Inhalt: "Man könnte meinen, dass sie eine Autobahn war, so wie sie sich aufn Weg machte. Ich dachte, sie macht's auf meine Art, aber dann rauchten die Reifen." Dem gut 'behuteten' Senior-Rocker mit seiner Stimme, die sich manchmal anhört, als habe er Lauge gegurgelt, frisst man solche Szenarien aus der Hand.

"S-G-L-M-B-B-R" (Message: "einige Mädchen lieben mein fettes Geld und mein rotes Auto") drängt die vor Lebenserfahrung triefenden, dann etwas matten Vocals so weit hinter Gitarrengeknatter, dass man sie kaum versteht. Soll wohl so sein wegen der Ode an den Toningenieur, wirkt witzig. Beim auffälligsten Stück der Scheibe muss man Credits an die Texas Tornados geben. Das aus ihrem Liedgut gecoverte "Hey Baby, Que Paso" lässt die Orgel raus und scharfen Tex-Mex-Style aufbranden, quasi Psychedelic-Blues ohne LSD, dafür mit Fata Morgana-Halluzination.

"Spanish Fly" kitzelt als Noise-Kunstwerk die Ohren. Die Stilmittel sind so simpel wie im Patterns-Übungsbuch für den Schlagzeug-Anfänger, doch perfekt zusammengesetzte Minimalismen, mit Mega-Profi Matt Sorum an den Drums. Versetzt mit einem Griff in die Trickkiste mit dem Gitarren-Kapodaster, der die Saiten quetscht und bügelt, bis alles hier akkurat gefaltet klingt.

Das temperamentvolle "West Coast Junkie" bleibt als fröhlichstes Stück in Erinnerung. Diesen tanzbaren Knaller des Albums sähe man gerne sofort live. Eine zahme radiotaugliche Ballade allererster Güte mit Modern Rock-Flavour und Blues-Refrain ist "Vagabond Man". Beim Keyboard-unterlegten Gitarrensolo sieht man schon pathetisch inszenierten Bühnennebel vorm geistigen Auge emporsteigen.

Das Raue und Staubige der Location arbeitet der ebenfalls herausstechende Tune "Desert High" äußerst stimmungsvoll und leidenschaftlich heraus. Der Einstieg: Vier trockene Taktschläge, dann ein siebensekündiger Klirrton, ein bisschen Raunen von Billys kratzigen Stimmbändern. Er zögert, überlegt kurz, fortan erzählt er von Kojote-Wölfen, Adlern und dem Tal des Todes voller Skelette. Unter seiner Erzählung vagabundiert seine 'Les Paul' streunend, auf den richtigen Moment wartend, um zuzupacken, was nach Thrill-reichen 126 Sekunden endlich der Fall ist. Dann kracht es richtig im Gebälk der Yucca-Palmen, und eine gute Minute fetzendes und gleichermaßen episch zelebriertes Solo beenden die LP aufs Würdevollste.

Ob man die Sound-Sorte prinzipiell mag oder nicht, die das Album gefühlt in die flirrend-verschwimmende, unwirkliche Luft des Wüstenhimmels hüllt, gerät beim Urteil zunehmend unwichtig, je länger der Longplayer rotiert. Wenn man sich drauf einlässt, wird man das Ganze lieb gewinnen. Weil die Platte eine Vision verfolgt und dadurch so spannend wie stimmig gerät.

Trackliste

  1. 1. My Lucky Card
  2. 2. She's On Fire
  3. 3. More-More-More
  4. 4. Shuffle, Step And Slide
  5. 5. Vagabond Man
  6. 6. Spanish Fly
  7. 7. West Coast Junkie
  8. 8. Stackin' Bones (feat. Larkin Poe)
  9. 9. I Was A Highway
  10. 10. S-G-L-M-B-B-R
  11. 11. Hey Baby, Que Paso
  12. 12. Desert High

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