laut.de-Kritik
Da ist er wieder, der La-Di-Da-Shit.
Review von Max BrandlEins vorweg: Ich mag Blumentopf. Das erscheint mir – ohne dass es auf meine Neutralität Einfluss nähme – wichtig zu sagen. Denn ich kenne keine andere Hip Hop-Kapelle, die das deutschlandweite Lager so spaltet, wie diese fünf Münchener, die sich Anfang der Neunziger zusammenfanden. Wenn man so will, bin ich mit ihnen ein Stück weit groß geworden: Der Erstkontakt und Suchtauslöser war "Kein Zufall", den gefühlten Höhepunkt erreichten sie 2003: "Gern Geschehen".
Vor kurzem legten sie ihr sechstes Studioalbum vor. Wollte man nun Rap-übliche Systemkritik üben, könnte man ihnen ihr Release-Timing, passend zu den Fußball-WM-Raportagen im Öffentlich-Rechtlichen mit dem Vorwurf "Sell Out!" um die Ohren hauen.
Ähnlich wie bei den Fantastischen Vier entlocken mir solche Hardliner-Ressentiments nach über 15 Jahren stabiler Bandgeschichte aber nur noch ein müdes Gähnen. Der Topf ist längst erwachsen, macht aber, anders als die Fantas, immer noch erfrischend sportlichen Sound – ein nicht allzu kleinkariertes Rap-Raster beim Hörer vorausgesetzt.
Vielerorts hieß es, "Wir" schlüge nach dem doch recht instrumental ausgefallenem Vorgänger "Musikmaschine" wieder in eine rohere Kerbe, von Anleihen an die frühen Beastie Boys war gar die Rede. Das stimmt bedingt: Über weite Strecken des Albums dominieren klar Schlagzeug und Gitarren. Dies jedoch nicht in Dendemann'schen Vintage-Ausmaßen, sondern einmal mehr in gewohnt-gefälligen Blumentopf-Beat-Schemata.
Soll heißen: Es geht mal schnell, mal g'schmeidig, aber nirgends radikal subversiv zur Sache. Sucht man dennoch eine Parallele zu den Beasties, findet man sie am ehesten in den "Taschen Voller Sonnenschein". Viele der Songs auf dieser Platte werden hingegen wie schon so oft erst bei den legendären Topf-Liveshows ihre volles Potential entfalten – allen voran die Mitgröl-Single "Wir".
Überhaupt weicht "Wir" wenig vom Erfolgskonzept der vier MCs und ihrem DJ ab: Wo es anno 1999 samt Samples und Scratches "Fuck The System" hieß, macht einem heute der Opener "Systemfuck" auf einem launig-angerockten Uptempo-Beat klar: "Wir" nehmen uns auch heute noch sympathisch und wortgewandt selbst auf den Arm. Auf Rap-Features wird einmal mehr komplett verzichtet – vier Mann am Mic bieten wahrlich Abwechslung genug.
Ein weiteres inhaltliches Charakteristikum der Band ist der Gegensatz. Das Konzept von "Mein Dein" oder "SoLaLa", letzteres mit einem bei Queen geliehenem Staubfresser-Basslauf, ist seit "Großes Kino"-Zeiten das Gleiche – wenn es allerdings nach wie vor so viel Spaß macht, ist das alles andere als ein Problem. Je oller die Leier, je doller die Feier.
Den obligatorischen Sound-Ausreißer bildet diesmal das Holunder-Solo "Fenster Zum Berg": Diese Liebeserklärung sowohl an den eigenen Papa als auch die Stieber Twins in Form der Verarbeitung einer Jugend, die im Urlaub nie ins Meer mündete, sondern immer auf den Berg gipfelte, ist ein grandioses Mashup aus dem bayerischen Defiliermarsch und hart in den Neunzigern verorteten Hip-Hop-Samples – habe die Ehre.
Wo Jay-Z seinerseits die "Girls" hofierte, erklären Blumentopf heute die Kehrseite von sexy Ausstrahlung in der fröhlich-fundierten Hommage "Nerds". Einen klaren Sommer-Hit, der ebenfalls ohne überbordend analoge Drums aus-, dafür mit catchy Mädchen-Chor daherkommt, stellt dagegen "Nicht Genug".
In Zeiten, in denen die holde Weiblichkeit vom männlichen Unhold im Rap permanent auf eine devote Samenbank reduziert wird, geht einem diese Verneigung vor der Zweisamkeit richtig nahe – und mir am Ende der letzten Strophe obendrein jedes Mal das Herz auf. Derlei Volltreffer oberhalb der Gürtellinie bilden im Deutschrap bis dato die Ausnahme.
Nach leider nur 50 Minuten begleitet einen dann letztlich das deutlich weniger heitere Schu-und-Janna-Solo "Sie Tanzt Die Nächte Durch" aus der Platte hinaus. Die Beschreibung zweier Menschen, die sich des Ersäufens einer diffusen Traurigkeit wegen in hohle Partywochenenden stürzen, dürfte – wenn man ehrlich ist – dem Einen und der Anderen nicht fremd sein. "Manfred Mustermann" lässt grüßen.
"Wir" stiehlt dem eigenen Nordstern "Gern Geschehen" in Summe zwar nicht ganz die Show, zeugt nach der eher kraftlosen "Musikmaschine" aber von einem Quintett, dessen kreative Akkus wieder aufgeladen sind – und von einer reifen Hip-Hop-Kombo, auf die hoffentlich noch viele Jahre Verlass ist.
Denn diese Fünf sind einfallsreiche Storyteller, die den grauen Alltag in bunte Musik verpacken, Rapper mit einem Image, das keines ist und Idealisten, deren Ideallinie das Leben zeichnet. Anders ausgedrückt: Wenn die Maxime "Keep it real" im Hip Hop noch Gültigkeit besitzt, dann ist diese Scheibe ein Standardwerk seiner Gattung.
18 Kommentare
Warum gab es für Mehrzad sofort nach Erscheinen des Albums ne Rezension und die fürs neue Topf Album lässt auf sich warten??
Ist richtige Musik plötzlich unwichtiger als irgendein Retorten-Casting-One-Hit-Wonder?
@Dave: Für Musik mit Anspruch braucht man halt etwas länger, um sich ne Meinung dazu zu bilden.
auf irgendwas muss man sich ja freuen ;P
Sie geben weiter Gas, vor dem Album noch schnell ne Compilation: Blumentopf-Fans stehen ereignisreiche Wochen ins Haus! Zum 20-jährigen Jubiläum der Münchener Band erscheint am 17. August 2012, also rund einen Monat vor dem neuen Album ?Nieder mit der GbR?, eine digitale Sammlung aus Samplerbeiträgen, B-Seiten und vielem mehr aus den Jahren 1997 bis 2010.
Zur Vorbestellung auf amazon.de.
Tracklist:
01 Zahlen, bitte! (Unreleased)
02 Egotrip
03 Gestatten, Heinemann
04 Von Disco zu Disco (Total Chaos Remix)
05 Carsten Hubert (Bonustrack)
06 Was? der Handel? (feat. M.I.K.E.) (Texta Remix)
07 2 : 2
08 Popcorn
09 Wollt ihr?
10 Alte Bekannte
11 Hey (feat. David Pe)
12 Lass laufen (Original)
13 Viel Spass (feat. Immo Esther)
14 Notruf 44
15 Wir waren schon da
16 Ich würd? ja gern
17 Ja klar!
18 So leicht
19 Amerika
20 Jetzt und hier
21 Laut
Wenn Deutsche Gas geben, ist das immer mit vorsicht zu geniessen.
üfftata, der General hat einen Witz gemacht!