laut.de-Kritik

Manege frei für gut erzählten Folk.

Review von

Die Ansammlung von zeitgenössischen Folkbands strebt spätestens seit dem großen Erfolg von Mumford & Sons immer weiter in Richtung Übersättigung. Da tut es ab und an ganz gut, ein Kleinod dieses Musikgenres auszugraben, das sich nicht nur stampfenden Gitarrenchören verschrieben hat.

Ein wunderbares Beispiel dafür liefern Boy & Bear: vier Australier, die mit ihrem zweiten Album "Harlequin Dream" endlich aus einem viel zu langem Dörnröschenschlaf erwachen. Bisher kannten eigentlich nur felsenfeste Plattenschnüffler die Band. Dabei haben Boy & Bear bereits mit Songs von ihrem Debütalbum nationale Preise gewonnen.

Rein optisch eröffnen Boy & Bear mit dem Cover zu "Harlequin Dream" eine zirkusinspirierte Traumwelt. Massenhaft wilde Tiere, darunter auch der eine oder andere Dinosaurier, teils gekleidet in Cowboy-Kluft und schwer bewaffnet, stürmen auf dem Rummelplatz aufeinander zu, um sich in wütende Kämpfe zu stürzen. Am Himmel ziehen weiße Wölkchen an Riesenrad und Luftballons vorbei und geben der Szenerie eine skurrile Note.

Gleich diesem Bild besitzt der erste Track namens "Southern Sun" ein in die Ferne schweifendes, leicht in klangliche Tiefen abdriftendes Interlude. An sich wirkt die Melodie sehr einfach, lediglich zwei Akkorde begleiten eine kleine Geschichte von Kindheitsträumen: "As a child I was wonder-eyed at the thought that I might know a life in the ecstasy of rock'n'roll / Now taking it slow / I'm an arrow in a roll."

Textlich mehr als hörenswert, legen Boy & Bear direkt in "Old Town Blues" nach. Diesmal mit groovigem Basslauf und düsteren Zeilen: "There's a raven hovering [...] / I've known him all my life / He's a spirit of a young man mourning / But like the shadow of a carving knife he's not the danger but the warning sign."

Immer wieder machen die Jungs deutlich, dass auch einige Countryplatten ihr Regal schmücken. Zusammen mit sphärischen Gitarrenausreißern und Keyboardeinsätzen entwickelt sich beim Hören eine interessante Spannung, wie sie Folk eher selten bietet.

Den Titeltrack "Harlequin Dream" trägt eine schleppendere Rhythmik, als noch beim Vorgänger. Lässige Streicher untermalen die gewisse Tragik des Stücks. Der Harlekin erscheint eingeschüchtert, fast schon verzweifelt: "So we run through the jungle / And I can feel the rhythm of war / You see I'm fighting / But I just can't fight anymore / I'm in awe." Besonders zuspitzend wirkt dabei das leiernde Saxophon-Solo am Ende des Songs.

Ebenfalls durch düstere Träume wagt sich "Three Headed Woman", ein schlichtes Trennungslied, jedoch mit schönen Worten erzählt: "Now I walk, I walk alone / And your face follows me where I go / But I won't walk that way you know / A hurt that only makes you grow."

Wenn man den Titel des Albums zum ersten Mal liest, sind zwei erste Assoziationen möglich, die unterschiedlicher gar nicht sein können. Zum einen das unwirkliche karnevalistische Harlekin-Element, das sich vielleicht selbst am wenigsten ernst nimmt. Zum anderen das träumerische, in sich gekehrte. Ein Clown, der über sich selbst nachdenkt? Da nimmt "komisch" direkt einen anderen Geschmack an. Bei Boy & Bear bewegt sich die Thematik stets auf einem schmalen Grat dazwischen.

"Bridges" beispielsweise: "Get up and dance girl / I'm in a rock'n'roll band / That makes me more of a man / Didn't you know?" befindet sich mitten im ernstzunehmenden Musikzirkus, der sich mit seinem Sex, Drugs & Rock'n'Roll-Klischee viel zu schnell auf die Schippe nehmen lässt.

"Harlequin Dream" wird so schnell nicht langweilig. Viel zu spannend gerät der Wechsel der verschiedenen Stilrichtungen, die sich mal mehr, mal weniger in klassische Folkspielarten einweben. Ruhige Songs springen zu rockigerem Sound wie "A Moment's Grace" zu "End Of Line". Auf das synthieverspielte "Back Down The Black" folgt der Up-Tempo-Track "Real Estate".

Dabei vergessen Boy & Bear niemals ihr lobenswert gutes Händchen für Songwriting:
"There's a light sound that comes around like a raven in flight / A shivering child as the car windows left open over night" ("Back Down The Black") oder "I'm a feather made of stone in a hag you have forgotten" ("Real Estate") überlassen uns unseren eigenen Assoziationen und entlassen uns zärtlich in die Nacht. Lediglich "Stranger" wirkt, passend zu seinem Titel, etwas verworren, was das Songwriting anbelangt. Das fällt aber angesichts des guten Sounds des Albums nicht weiter ins Gewicht.

Was Boy & Bear im Endeffekt am meisten inspirierte, bleibt bis zuletzt offen. Waren es ihre ausgedehnten Touren durch Europa und Australien, die ihnen zwischendurch genug freie Zeit ließen, um ihren Gedanken nachzuhängen? Zumindest ist seit "Moonfire" ein enormer Reifeprozess zu erkennen. Die Band verfolgt auf "Harlequin Dream" eine angenehm erkennbare, jedoch nicht zu offensichtliche Linie, die sie um keinen Preis in die Mumford-Schublade passen lässt. Kurzum: Der Zeitpunkt, um an diese Band ein Stückchen Herz zu hängen, könnte kaum günstiger sein.

Trackliste

  1. 1. Southern Sun
  2. 2. Old Town Blues
  3. 3. Harlequin Dream
  4. 4. Three Headed Woman
  5. 5. Bridges
  6. 6. A Moment's Grace
  7. 7. End Of The Line
  8. 8. Back Down The Black
  9. 9. Real Estate
  10. 10. Stranger
  11. 11. Arrow Flight

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