Charles Bradley - " No Time For Dreaming"

"My brother said to me: Charles, you gotta stand tall because life is full of sorrow, heartache and pain." Doch nichts bleibt ohne Kehrseite: Auf Sorgen und Herzeleid keimte der Blues, und der gebar den Soul. Unter Schmerzen, versteht sich.

Doch welchen Genuss bereitet der Soul, wenn man ihn in seiner ursprünglichen, schwitzenden, erdigen Reinform serviert bekommt? Charles Bradley und die Mannen von der Menahan Street Band wissen um sein Potenzial, sie haben verstanden.

Insbesondere Bradley selbst hatte auch lange genug Zeit dafür: Geboren 1948 hat er genug gelebtes Leben im Rücken, um mit seinen Erfahrungen mehr als ein Album mit Herzblut zu tränken und ihm anschließend Seele einzuhauchen, bis es schier platzt. "No Time For Dreaming" wird hoffentlich nicht sein letzter Longplayer bleiben.

Von der ersten Note an fesselt Charles Bradleys Gesang mit der bedingungslosen Hingabe an seine Songs. Ob Freude oder Verzweiflung, Ärger ob herrschender Zustände oder überfließende Gefühle: Dieser Mann weiß genau, wovon er berichtet, und er gibt nie weniger als einhundert Prozent.

Wie es sich für eine amtliche Soulplatte gehört, beschränkt sich "No Time For Dreaming" keineswegs auf persönliche Befindlichkeiten in Sachen Liebesglück und Liebesleid. Den so brisanten wie nötigen Gegenpol bildet unverblümte Sozialkritik, ärgerliches Rütteln an bestehenden Zuständen.

"Why is it so hard to make it in America?" In einem Land, in dem Milch und Honig fließen könnten, müsste dem doch eigentlich nicht so sein. "Heartache And Pain" müssten nicht zwingend die Oberhand behalten. "How long must you keep suffering like this?"

Einen großartigen Soulsänger flankieren auf seinem steinigen Weg keinen Deut weniger großartige Musiker. Produzent und Multiinstrumentalist Thomas Brenneck - neben Gitarre und Bass spielt er je nach Bedarf Orgel, Vibraphon, Tambourin oder Schlagzeug - trägt die Hauptverantwortung für den lebendigen, wie organisch gewachsenen Sound.

Kein Wunder, rekrutiert sich die Menahan Street Band doch vorwiegend aus ehemaligen und amtierenden Mitgliedern der nicht gerade grundlos legendären Dap Kings. Präsente Basslinien sind da garantiert, dazu gesellen sich stimmungsvolle Bläsersätze, Orgelklänge und allerlei Beiwerk. In Verbund weben die Menahans auf diese Weise zeitlose, unwiderstehliche Grooves.

Ob gedrosseltes Tempo bei gedämpfter Stimmung oder beschwingter Dreivierteltakt: Die Arrangements behalten auch in der Konserve durchgehend ihren Live-Charakter. Herzerfrischend unkoordinierter Backgroundgesang oder Ansagen Bradleys, der seinen Musikerkollegen auch mal eben kurz Einhalt gebietet, unterstreichen den natürlich-unaufgeregten Eindruck noch.

Zuweilen tritt Bradley hinter die Band zurück, lässt ihren Mitgliedern Raum für instrumentale Spielereien: eine gelungene Demonstration gleichberechtigten Mit- und Nebeneinanders. So tönt es hier nach den dunklen, dicht verwobenen Klanglandschaften der Budos Band ("How Long"), da nach Klassikern wie William Bells oft - und erstaunlicherweise immer noch nicht oft genug - gesampleten "I Forgot To Be Your Lover" - wie in "I Believe In Your Love".

"No Time For Dreaming" bietet zudem mehr als genug Raum für ein Trompeten-Solo, Gitarren, die auch einmal einen leichten Surf-Einschlag haben dürfen, Anflüge schunkeliger Jahrmarkts-Beschallung und mehr als eine Gelegenheit, sich selbstvergessen mit dem Lieblingsmenschen im Walzertakt zu drehen - und doch handelt es sich bei all dem um puren Soul. Wundervoll.