laut.de-Kritik

Endlich nur er selbst.

Review von

Im Vorlauf der Veröffentlichung von "Charlie" berichtete Charlie Puth von seiner Neuerfindung. Nach dem Erfolg von "Voicenotes" 2018 habe Puth demnach einen falschen Weg eingeschlagen, sich in seiner Musik zu unironisch als Fuckboy inszeniert und sei durch zu viele Stimmen, die auf ihn einredeten, von seinem Weg abgekommen. Von seinen zwei bisherigen Alben sagte Puth gegenüber Bustle, er sei mit ihnen nur zu 20, beziehungsweise 60 Prozent zufrieden. Fans hätten ihm nach einer Reihe von Singles, die er 2019 und 2020 veröffentlichte, gespiegelt, er habe sich verändert. Einer dieser Fans: Elton John, der ihm angeblich in einer Bar mitteilte, er merke, dass zu viele Leute an Puths Songs werkelten.

Diese Erzählungen lassen hoffen, Puth habe nun alle Mainstream-Zwänge abgeschüttelt und lasse auf seinem dritten Album seiner Kreativität freien Lauf. Wenn man aber glauben soll, dass die zwölf neuen Stücke der pure "Charlie" sind, lässt das etwas ernüchtert mit der Frage zurück: Echt? Das ist die Musik, die du machen willst?

Denn allem Anschein nach unterscheidet sich Puths neuer Weg nicht maßgeblich von dem, auf den ihn auch seine ehemaligen Mitstreiter*innen führten. Die Songs sind immer noch aalglatt produzierter Pop, wie vieles heutzutage mit 80s-Vibe, mit viel schmalzigen Oohs und Aahs und Herzschmerz-Texten, deren Kern kürzlich ein GQ-Profil über Puth auf den Punkt brachte: "Es wirkt ein bisschen, als würde man seinem kleinen Bruder zuhören, der damit umgehen muss, dass sein Highschool-Crush ihn nicht zurück mag." Nur ist Puth eben nicht mehr in der Highschool, sondern 30 Jahre alt.

Besonders schade daran ist, dass er nicht nur erschreckend selbstironisch und sympathisch wirkt, sondern in seinen unterhaltsamen TikTok-Videos immer wieder zur Schau stellt, was für ein talentierter Songwriter und Producer er ist. "Was, wenn es einen Song gäbe, der ...", so lautet die Prämisse einer Reihe von Clips, in denen er dann aus mal mehr, mal weniger absurden Einfällen mit vermeintlicher Leichtigkeit einen eingängigen Track bastelt. So hat er seine Fans auch immer wieder am Schreib- und Produktionsprozess des Albums teilhaben lassen.

Das gebrochene Herz des Sängers steht auf "Charlie" komplett im Vordergrund. In "That's Hilarious" schüttet er es direkt in einen erstaunlich galligen Text aus. Thinkin' I would still want you / After the things you put me through / Yeah, you're delirious / That's hilarious" und You're just another lesson I learned" heißt es da. Das Blame Game für das Aus der Beziehung wird dann im abschließenden "No More Drama" fortgesetzt: "Some nights you were baby / Some nights it was crazy". Einen doppelten Boden sucht man vergebens, Puth möchte offensichtlich von allen verstanden werden und niemanden im Unklaren darüber lassen, dass er der langfristige Gewinner der Trennung ist. Ha!

Nun sind die Stücke selten ganz ohne Charme, vernachlässigen diesen allerdings leider häufig zu Gunsten der Massentauglichkeit. Das Feature mit Jung Kook "Left And Right" macht etwa mit den reduzierten Strophen durchaus Spaß, die klangliche Umsetzung des Vermissens mit heftigem Panning funktioniert gut. Der Titel wirkt aber insgesamt, wie etwa auch "Smells Like Me" und "Marks On My Neck", zu brav und kalkuliert. "There's A First Time For Everything" ist ein grundsätzlich unterhaltsamer 80s-Pop-Song im Stil von "Blinding Lights", in dessen Strophen Puths Gesang wie aus einem Blink 182-Track entlehnt klingen. Die Hook kommt dann allerdings zu süßlich daher und zieht so das gesamte Stück runter - bleibt leider aber doch kurz im Ohr. Ähnlich ist das bei "Loser" mit seinem schamlosen Refrain: "I'm such a loser / How did I ever lose her".

Immer wieder erinnern die Songs auch an Indie-Bands und -Künstler*innen, wenngleich in Phasen, in denen diese schon stark zum Pop tendierten. Das launige "Light Switch" beispielsweise weckt Erinnerungen an Portugal. The Mans "Feel It Still", nur ist bei Puth der Pop-Regler auf Anschlag gedreht. "I Don't Think That I Like Her" klingt stellenweise wie ein später Fall Out Boy- oder Panic! At The Disco-Song und "There's A First Time For Everything" ist nicht weit entfernt von The 1975. Hier wird besonders deutlich, dass doch eigentlich deutlich mehr in Puth steckt, als der auf Streamingerfolg getrimmte Sound häufig vermuten lässt.

Insgesamt bleibt also der Eindruck: Wenn Puth "Charlie" nun als sein persönlichstes und ehrlichstes Werk bezeichnet, dann präsentiert er sich damit schlicht als gefangen im Radiopop, dessen Songs zwar beispielhaft für aktuelle Trends stehen, aufgrund mangelnder Individualität aber wohl keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen werden.

Trackliste

  1. 1. That's Hilarious
  2. 2. Charlie Be Quiet!
  3. 3. Light Switch
  4. 4. There's A First Time For Everything
  5. 5. Smells Like Me
  6. 6. Left And Right (feat. Jung Kook of BTS)
  7. 7. Loser
  8. 8. When You're Sad I'm Sad
  9. 9. Marks On My Neck
  10. 10. Tears On My Piano
  11. 11. I Don't Think That I Like Her
  12. 12. No More Drama

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