laut.de-Kritik
Persönliches Lockdown-Album des Punch Brothers-Frontmanns.
Review von Giuliano BenassiChris Thile macht es einem nicht leicht, auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Ob als Mitglied von Nickel Creek und Punch Brothers, ob mit Yo-Yo Ma, Edgar Meyer oder Brad Mehldau - ständig scheint er an einem neuen Album zu arbeiten oder auf Tour zu sein. Wenn er nicht gerade Bach-Sonaten für seine Mandoline umschreibt oder die Radioshow "Live Here Now" moderiert.
Wie bei so vielen war im März 2020 mit allen Aktivitäten plötzlich Schluss. Thile (ausgesprochen: "Tilly") fand sich mit seiner Frau, der Schauspielerin Claire Coffee, und den Kindern außerhalb von New York in der Ortschaft Hudson wieder, wo sie den Lockdown-Sommer verbrachten. Ganz untätig blieb er natürlich nicht und nahm er ein Projekt in Angriff, das ihm schon länger durch den Kopf schwirrte.
Bob Hurwitz, der Gründer von Nonesuch, auf dem Thile seine Platten veröffentlicht, machte ihn darauf aufmerksam, dass das Konzept von Spiritualität überall in seinem Werk verstreut sei. Er solle sich doch mal etwas näher damit befassen. Thile selbst bezeichnet sich als Agnostiker, ist aber in einer streng religiösen Familie aufgewachsen und macht sich in der Tat Gedanken, was es bedeutet, ein solches Weltbild zu haben. Oder auch nicht.
Dass er das Album "Laysongs", also "Laienlieder" (im Gegensatz zu "Kirchenlieder") betitelt hat, macht deutlich, wie er sich positioniert. Die Aufnahmen fanden jedoch in einer Kirche statt, was symbolisch für Dialog steht. Letztlich geht es darum, dass man sich auf Augenhöhe begegnet, mit der Einstellung, die Position des anderen verstehen zu wollen, ohne voreingenommen zu sein, so Thile. Das sei heutzutage schwierig, da man dazu neige, sich auch virtuell mit Menschen zu umgeben, die dieselbe Meinung teilen.
Ein sehr persönliches Album also, das Thile mit einem Tontechniker Jody Elff alleine aufgenommen hat, mit Stimme und Mandoline. Und dem Gebäude selbst, wie er betont. Das Herzstück ist das dreiteilige "Salt (in the Wounds) of the Earth", das Thile in Anlehnung an C.S. Lewis' "The Screwtape Letters" schrieb. Darin (der deutsche Titel lautet "Dienstanweisung für einen Unterteufel") behandelte der Schriftsteller 1942 theologische Konzepte anhand von Briefen, die der Dämon Screwtape und sein Neffe Wormwood austauschten. Aus Thiles Feder stammen auch das Instrumental "Dionysos" und "God Is Alive, Magic Is Afoot", dessen Text aber Sängerin Buffy Sainte-Marie schrieb, die wiederum ein Gedicht Leonard Cohens als Grundlage nahm.
Wie gewohnt wechseln sich Klassik, Bluegrass, Jazz und sogar ein bisschen Funk ab. Los geht es mit dem Titeltrack, der eher anstrengend daherkommt, mit Thile, der seine Stimme in dünne Höhen schraubt und seiner Mandoline mal einzelne Töne, mal schwindelerregende Leitern entlockt. Doch schon das zweite Stück "Ecclesiastes 2:24", von Bachs Präludium für Solo-Violine in E-Dur inspiriert, lässt das Herz des Thile-Zuneigers höher schlagen, wie auch später seine Adaption einer Violinsonate Béla Bartóks. Den Abschluss macht eine Coverversion von "Won't You Come and Sing for Me" der Bluegrass-Sängerin Hazel Dickens.
Der Titel steht für das, was Thile in seiner Jugend erfahren hat. "Ich sehnte mich mehr denn je danach, mit Menschen zu singen, mit Menschen Musik zu machen, aber vor allem diese sehr selbstlose Art des Musikmachens, die in der Kirche stattfindet. Im besten Fall denkst du nicht an dich selbst oder gar an die Leute, mit denen du Musik machst. Man macht es einfach zusammen und es geht um etwas anderes. Das ist wirklich schön. Und es ist vielleicht das Einzige an der organisierten Religion, was ich vermisse", erklärt er auf der Webseite seines Labels.
Seine Sehnsucht wird zum Glück bald erfüllt. Bereits im Sommer und Herbst 2021 ist er wieder auf Tour, vorerst aber nur in den USA.
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