laut.de-Kritik

Magische Werkschau von Irlands obersten musikalischen Botschaftern.

Review von

Mit ihrer magischen, oftmals sehr ätherisch und außerweltlich klingenden Musik zählen Clannad zu den wichtigsten und einflussreichsten Musikern der grünen Insel. Mit ihren gälischen Folksongs haben sie der irischen Sprache und Musik weltweit zu einem enormen Popularitätsschub verholfen. Nach 50 überaus erfolgreichen Jahren beenden Clannad 2020 ihre Karriere. Im Rahmen ihrer Abschiedstour veröffentlichen sie nun die selbst zusammengestellte, werkumspannende Retrospektive "In A Lifetime". Darauf enthalten: 35 Songs aus allen Schaffensperioden sowie zwei komplett neue Tracks.

Den Grundstein ihrer langen Laufbahn legen die Geschwister Moya, Ciarán und Pól Brennan mit ihren beiden Onkeln Noel and Pádraig Duggan 1970 im Dorf Gweedore, das als Teil der Grafschaft Donegal zu den wenigen irischsprachigen Gaeltacht-Regionen der Insel gehört. Das Alleinstellungsmerkmal der Familienbande: Sie wollen dem voranschreitenden Verlust gälischer Songs mit Interpretationen traditionellen Liedgutes im elterlichen Musikpub Leo's Tavern gegenlenken. Bereits im gleichen Jahr gewinnen Clannad (abgeleitet von Clann As Dobhair für 'Familie aus Gweedore') beim Talentwettbewerb des Letterkenny Folkfestivals einen Plattenvertrag.

Mit ihrem 1973 veröffentlichten, selbstbetitelten Debütalbum präsentieren sie sich erstmals einem größeren Publikum. Die vom luftigen Sopran Moya Brennans lebenden "Thíos Cois Na Trá Domh" und "An Mhaighdean Mhara" (engl. "The Sea Maiden") stehen exemplarisch für den frühen, stark regional geprägten Sound der Iren. Dieses Klangbild aus lieblichen Harfenklängen, lautmalerischen Flöten, atmosphärischem Harmoniegesang und zum Teil leicht jazzig angehauchten Arrangements führt das aufstrebende Quintett auch auf dem ein Jahr später von Planxty-Gründer Dónny Lunny produzierten Nachfolger "Clannad 2" fort.

Der Höhepunkt ihres frühen Schaffens erscheint 1976 in Form des dritten Albums "Dúlamán". Neben dem tradierten, von rein männlichem Harmoniegesang getragenen Titeltrack über das Sammeln von essbarem Seetang sticht vor allem das in altem A-Capella-Stil gehaltene "dTigeas A Damhsa" heraus. Anhand der northumbrischen Mörderballade "Two Sisters" nehmen Clannad äußerst beschwingt Bezug auf die von Francis James Child Mitte des 19. Jahrhunderts zusammengetragene Sammlung englischer und schottischer Volksweisen, die als Child-Ballads für viele Bands des Folk-Revivals der 1960er und 1970er textliche Grundlagen liefern. Zwar treffen Clannad für "In A Lifetime" eine gute Auswahl ihres dritten Albums. Dass aber ausgerechnet das famose "Siúl A Rún" fehlt, erscheint mindestens fragwürdig.

Zu Beginn der 1980er läuten Clannad mit eigenen Songs ihre kommerziell erfolgreichste Phase ein. War das Klangbild vorher vollständig von akustischen Instrumenten geprägt, kommen nun auch verstärkt Synthies zum Einsatz. Die Band orientiert sich klanglich immer mehr in eine Mischung aus Rock, Pop und New Age. In jene Zeit fällt auch die Genese der sogenannten Celtic Folk-Bewegung, deren Boom Clannad mit schwebenden, elektronischen Klangflächen, gälischen Elementen sowie stark hallgetränktem Gesang entscheidend prägen. Dass es in dieser Musik allerdings lediglich einen konstruierten und real nicht nachweisbaren Zusammenhang mit der Kultur der Kelten gibt, spielt dabei keine Rolle.

Zwischen 1980 und 1982 gehört auch Schwester Eithne an Keyboards und Gesang zum Line-Up, bevor diese unter dem Namen Enya reüssiert und eine Weltkarriere startet. 1982 steuern Clannad für das um den Nordirlandkonflikt (engl. The Troubles) angesiedelte, dreiteilige TV-Drama "Harry’s Game" den magischen, ambientartigen, von Moyas typisch irischem Sean-nós-Gesang geprägten Titelsong "Theme From Harry’s Game" bei und landen damit ihren größten Hit.

Der Erfolg der 1983 im Album "Magical Ring" enthaltenen Single schlägt sich auch in den Charts nieder. In Irland schaffen sie es auf Platz 2, in England auf Platz 5. Clannad schreiben damit die bis heute einzige Hitsingle, die es mit vollständig irischem Text bis in die englischen Charts schafft. Zusätzlich gewinnen sie damit auch den britischen Ivor Novello Award für Songwriting und Komposition. Sogar die Landsmänner von U2 benutzen den Song jahrelang als vom Band laufendes Outro nach ihren Konzerten.

Neben "Theme From Harry’s Game", das 1992 zudem in einer Pub-Szene des Films "Die Stunde Der Patrioten" Verwendung findet, reflektiert die ebenfalls auf "Magical Ring" befindliche weitere Single "Newgrange" den neu definierten Sound von Clannad. Auch das 1984er Album "Legend", der Soundtrack zur TV-Serie "Robin Hood", wurzelt besonders in "Robin (The Hooded Man)" und "Strange Land" in weitläufigen Synthie-Klangflächen. Für den Soundtrack gewinnen Clannad 1984 als erste irische Band den BAFTA-Award der britischen Filmakademie in der Kategorie "Best Original Television Music".

Auf "Macalla" (1985) schlagen Clannad verstärkt sehr poppige Wege ein. Folgerichtig geht "Closer To Your Heart" als lupenreiner Popsong durch und wirkt, im Vergleich zum bisherigen Ouvre der Iren, zwar durchaus zuckrig, aber auch genauso, aufgrund des Mangels an individuellen Merkmalen, beliebig. "In A Lifetime", der für die aktuelle Retrospektive titelgebende Song, mausert sich allerdings nicht zuletzt aufgrund des Features von Bono zu einem sehr erfolgreichen Hit. Trotz der poppigen Anklänge scheinen hier immer wieder die typisch gälischen Elemente von Clannad durch. Bonos Adelung von Moya Brennans Wirken als "eine der größten Stimmen, die das menschliche Ohr jemals gehört hat" wirkt zwar etwas übertrieben, würdigt sie aber berechtigt als strahlende Botschafterin irischer Musik.

Obwohl Hauptsongwriter Pól Brennan 1989 aussteigt, tragen Clannad für die Alben "Banba" und "Lore" 1993 und 1996 jeweils eine Grammy-Nominierung in der Kategorie "Best New Age Album" nach Hause. Mit der 1997 folgenden Platte "Landmarks" gewinnen sie ein Jahr später schlussendlich den Grammy in genau dieser Kategorie. Vor allem der Titelsong zu "Der letzte Mohikaner" "I Will Find You" und das dramatische "The Bridge Of Tears" verdeutlichen dabei einmal mehr Clannads Händchen für das lautmalerische Abbilden entrückter Klangwelten. In erster Linie beweist das Album aber, dass die Iren den Grammy absolut verdient gewinnen. Nach der Veröffentlichung ihres letzten vollwertigen Studioalbums "Nádúr" 2013 komplettieren die Honorierungen mit dem Meteor Ireland Music Award (2007) und dem BBC Radio 2 Folk Award (2014) dieses Bild zusätzlich.

Den krönenden Abschluss von "In A Lifetime" und Clannads Karriere bilden zwei gänzlich neue, vom ehemaligen Buggles-Sänger Trevor Horn produzierte Songs. Für Clannad die ersten musikalischen Lebenszeichen nach sieben Jahren Stille. Der erste der beiden Tracks, das sehr starke "A Celtic Dream", bezieht sich selbstironisch auf tausende Jahre zurückreichende Mythen und überzeugt mit sphärischen Klängen sowie absolut ohrwurmhaften Melodien. Archetypische Klänge einer magischen Flöte und einer mystischen Harfe fehlen hier natürlich auch nicht. Moyas mit blendender Stimme gesungene Worte "It was just a Celtic dream" stehen letzten Endes auch stellvertretend für die lange, bezaubernde Reise der Familie aus Gweedore.

Mit dem Titel des finalen "Who Knows (Where The Time Goes)" beziehen sich die Iren zum Ende auf den gleichnamigen Song von Sandy Denny, den diese 1969 als Sängerin von Fairport Convention für deren Electric Folk-Wegbereiter "Unhalfbricking" aufnahm. Mit diesem Track ziehen Clannad, unter dem textlichen Bezug universaler alltäglicher Herausforderungen und der 'Vaterzeit', ein letztes Mal alle Register ihres zeitlosen Klangs. May their sound last forever!

Trackliste

CD1

  1. 1. Thíos Cois Na Trá Domh
  2. 2. An Mhaighdean Mhara
  3. 3. Eleanor Plunkett
  4. 4. Coinleach Ghlas An Fhómhair
  5. 5. Dúlamán
  6. 6. Two Sisters
  7. 7. DTigeas A Damhsa
  8. 8. The Last Rose Of Summer
  9. 9. Ar A Ghabháil 'N A 'Chuain Damh
  10. 10. Crann Ull
  11. 11. Mheall Sí Lena Glórthaí Mé
  12. 12. Mhórag's Na Horo Gheallaidh
  13. 13. Theme From Harry's Game
  14. 14. Newgrange
  15. 15. Robin (The Hooded Man)
  16. 16. Strange Land
  17. 17. Closer To Your Heart
  18. 18. In A Lifetime (with Bono)
  19. 19. Almost Seems (Too Late To Turn)
  20. 20. White Fool
  21. 21. Something To Believe In

CD2

  1. 1. Atlantic Realm
  2. 2. Voyager
  3. 3. A Dream In The Night (The Angel & The Soldier Boy)
  4. 4. Hourglass
  5. 5. Rí Na Cruinne
  6. 6. Poison Glen
  7. 7. Na Laethe Bhí
  8. 8. I Will Find You (Theme From "The Last Of The Mohicans")
  9. 9. Croí Cróga
  10. 10. A Bridge (That Carries Us Over)
  11. 11. A Mhuirnín Ó
  12. 12. The Bridge Of Tears
  13. 13. Vellum
  14. 14. Brave Enough
  15. 15. A Celtic Dream
  16. 16. Who Knows (Where The Time Goes)

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