laut.de-Kritik
Adrenalin, Kokain-Ekstase und harte Beats.
Review von Matthias MantheDrei Jahre hat Chris Clark am "Totems Flare"-Nachfolger gearbeitet. Auf Reisen nach Norwegen, Belgien, durch Großbritannien und Australien hat er Material gesammelt, um letztlich in Berlin alle Stücke zu seinem sechsten Album zusammen zu puzzlen.
Wobei von Puzzlen im eigentlichen Sinn natürlich nicht die Rede sein kann. Seit den frühen Tagen von "Clarence Park" unterliegen Clarks Arbeiten immer stärker immer ausgefeilteren, fast klassisch-orchestralen Arrangements. Schon weil die polyrhythmischen und polymelodischen Abfolgen der vielen Songfragmente, die einen Clark-Track bilden, sonst in Chaos münden würden.
Mit "Iradelphic" setzt der IDM-Produzent nun auf das Leitmotiv Dramaturgie, und zwar derart konsequent, dass als Alternativgebrauch des Albums sowohl Filmscore als auch Theaterbühne denkbar scheinen. Intro/Outro, dreigliedrige Suiten ("The Pining" 1-3), Ambient-Drones und opereske Vocaltracks - in Sachen kompositorischer Finesse und Abwechslung lässt es hier nichts missen. "Com Touch" ist dabei das vielleicht noch Clark-typischste Stück: Die Synth-Arpeggios erinnern etwas an Boards Of Canada, die Atmosphäre wirkt überschwänglich bis elysisch, Melodien erblühen und vergehen, bis schließlich die Bassdrum durchs Dickicht schlägt.
Schon hier zeichnet sich aber ab, dass Clark diesmal auf bekannte Techno-Ingredienzien weitgehend verzichtet hat. Das brachiale Moment, für das das 2008er-Werk "Turning Dragon" steht, findet in organischen, warmen Flächen, einem spürbar analogeren Sound sowie zum ersten Mal nennenswertem Gesang Ersatz. TripHop-Stimme Martina Topley-Bird ist neben Clark selbst auf zwei Stücken zu hören. Leider erreichen ausgerechnet die beiden Topley-Bird-Songs "Open" und "Secret" nicht ganz das sonst sehr hohe Songwriting-Niveau.
In "Henderson Wrench" schreibt eine Akustikgitarre wunderschöne fließende Arabesken, in "Tooth Moves" gibt's Live-Drums, das sentimentale "Black Stone" setzt ganz ungewohnt ausschließlich aufs Piano, und zwischendurch sind Holz- und Blechblasinstrumente wahrzunehmen. Soundstudien, Synthgitarrensoli und eine mal majestätisch anmutende, mal hautnahe Gefühligkeit substituieren Adrenalin, Kokain-Ekstase und harte Beats.
Clark erweitert also sein ohnehin anscheinend unerschöpfliches Repertoire um einige entschleunigende Noten. Sein Klangspektrum dehnt sich horizontal (durch neue Instrumente) wie vertikal (durch viele leise/langsame Zwischentöne) weiter aus. Zugleich unterstreichen diese Innovationen letztlich nur wieder die Exzentrik des Briten: Haben wir uns in einem Sound eingerichtet, ist er in der Sequenzer-Partitur schon fünfzehn Takte und geschätzte drei Songs weiter. Ein halbes Dutzend Stücke in vier Minuten unterzubringen, hat Clark ja bekanntlich schon lange perfektioniert. "Iradelphic" demonstriert derweil mit Nachdruck, dass in dem Ausnahme-Produzenten auch ein überragender Songwriter steckt.
2 Kommentare
com touch hört sich wirklich mehr nach warp an als nach clark, aber ich bin trotzdem auf das album gespannt. turning dragon ist eines meiner liebsten noise techno alben und totems flare war ebenfalls nicht von schlechten eltern.
Habe Clark jetzt durch das Album entdeckt und bin begeistert. Wenn sein vorangegangenes Werk ebenso hamemr ist wie das Album, ist er definitiv einer meiner neuen WARP-Favs!