laut.de-Kritik

Reduzierter Lockdown-Kammerpop des Ex-Ira-Sängers.

Review von

Die Songtitel allein lassen schon auf den Gemütszustand des Sängers Toby Hoffmann schließen. Ein Virus befällt das Land und legt mal eben ganze Berufszweige in Ketten, darunter insbesondere den Alltag freischaffender Künstler. Drama Galore! Fun Stops! OK Let's Sleep! Doch Corona versetzte den früheren Ira-Sänger nur kurzfristig in eine Schockstarre. Draußen auf dem Feld, im Hopfengarten, wohin ihn der Lauf der Dinge spülte, fasste er neue Pläne. Nicht nur das "Bier für die Räusche der Zukunft" wollte Hoffmann gesichert sehen, auch musikalisch verlangte diese besondere Zeit ein künstlerisches Statement.

Dass er dies gleich in Form einer neuen Band umsetzt, überrascht. Seit der Auflösung seiner in Szene-Kreisen gefeierten Postrock-Band vor sechs Jahren arbeitet der Lyriker vorwiegend an Gedichtbänden, gibt Lesungen und veranstaltet Poetry-Slams. Musikalisch trat er 2017 mit Das Neue Nichts in Erscheinung, deren klaustrophobisches Debütalbum "Die Hölle ist unter uns" zwischen frühen Neubauten, dem Minimalismus von DAF und Spoken-Word-Duktus changierte.

Seine Wandelbarkeit unterstreicht Hoffmann nun mit Clean, die die von ihm geliebte Reduktion wieder anders ausformulieren: In intensivem Indie-Pop. Mit dem alten Bekannten Jan Harder (u.a. Das Neue Nichts) und Bassist Gabriel Nowotny komponierte er vier sehr feingliedrige Melancholie-Großtaten, die nur noch in den träumerisch-transzendenten Arrangement-Details an Ira zurück denken lassen. Hoffmanns Vorliebe für akustischen Pop war bislang nur Kennern seines Projekts The Mount St. Helen Duet bewusst, aber seien wir ehrlich, das sind die Wenigsten.

"Where will you be at the moment / when it all ends and the fun stops", singt er in "Fun Stops" über zartes Snare-Stakkato, das entfernt an einen alten Edwyn Collins-Song erinnert. Der einnehmende Harmoniegesang, der diese EP prägt, kommt hier ebenso zur Geltung wie Hoffmanns unerwartet tiefe Intonation.

In "Archetypster" erlaubt er sich einen Blick zurück in die als normal erachtete, heile Welt mit abendlichen Live-Auftritten. Zeilen wie "Yesterday was like the day before and the day before yesterday" legen sich zusammen mit den atmosphärischen Akkorden wie eine warme Decke über die darbende Seele jedes Konzert-Fans. Ein Anästhetikum der besonderen Art - Vorlieben für The Go-Betweens, Elliott Smith oder diese anderen Smiths sind dem Genuss absolut zuträglich.

"Drama Galore" lebt von Harders akzentuiertem Spiel, bevor Hoffmann dem Song ein mantrahaftes Ende beschert. "OK Let's Sleep" legt zum Abschluss hin entgegen seines Titels noch mal einen Gang zu und beendet ebenso routiniert diese viel zu kurze Lockdown-Kammerpop-Vorstellung. Für Freunde althergebrachter Mediennutzung planen Clean eine Vinylveröffentlichung, wie man hört. Beileibe nicht selbstverständlich, schon gar nicht im Krisenjahr 2020. Das letzte Ira-Album "Ghost Tones" wollte 2014 sträflicherweise kein Label mehr pressen.

Trackliste

  1. 1. Archetypster
  2. 2. Fun Stops
  3. 3. Drama Galore
  4. 4. OK Let's Sleep

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