laut.de-Kritik
Wirrungen, Süße, Herzschmerz.
Review von Markus Brandstetter"I still remember our first phone number / They circle me with genders and colors flickering / Like demons of diamonds of nothing, flickering/ I'm wondering if I'll close my eyes and fall back in time / Could I remember, could I"
Glockenhelle Töne einer Spieluhr, Knistern und Zirren. Eine ganze Stadt auf gebrochenen Herzen gebaut: "The fallen mirror bounces back / Some of / moon's gentle laugh / Sudden echo, soft attack / Mushrooms glittering on this path" heißt es im Opener "Forget Me Not", dem ersten Grundfundament von "Heartache City". Es ist der sechste Longplayer von Bianca "Coco" und Sierra "Rosie" Casady, die vor gut elf Jahren mit dem Debütalbum "La Maison De Mon Rêve" den Begriff des "Freak Folk" gehörig mitgeprägten.
In punkto Produktion sind Cocorosie nach den letzten Alben "Grey Ocean" (2010) und "Tales of a Grass Widow" (2013) auf "Heartache City" wieder einen ganzen Schritt zurück gegangen und haben den Fokus auf Reduktion gelegt, wie Bianca Casady unlängst in einem Interview erklärte. Keine Loops, kein Sampling, keine Synths: "Wir hatten eine Menge Spaß und haben uns als Produzentinnen deutlich entwickeln können, aber irgendwie fühlten wir uns auch sehr abhängig [von der Technik, Anm.] und ich denke, das hat uns dazu gebracht, uns gewisse Limitierungen aufzuerlegen und einfach zu sehen, was passieren wird", so Casady.
Cocorosie beherrschen das Wechselspiel zwischen Abstraktion und Eingängigkeit perfekt. Zu gemütlich kann es sich der Hörer auf "Heartache City" bei aller Eingängigkeit dennoch nie machen. "If only I could remember you" heißt es im Opener ein wenig desillusioniert - stets ist da etwas Sinistres, Verworrenes im Strom der Dinge. Hip Hop-Beats, auf den ersten Blick oft süßliche, kindlichen Arrangements - stets mit Dissonanzen, Abzweigungen, Wirrungen und Schwere.
Bei "Un Beso" geht es lyrisch durchaus eigenwillig zu: "I'm out shopping in my canoe / Finger frolicking the fireflies / Finger fucking firewood / Spying on the masturbating snails / Hollyhocks and cat tails / Boneless jelly fish and whales / Perhaps I'll meet you then / On the decadent horizon / Where young lovers lock lips".
"Lost Girls" lebt von Spoken-Word-Poetry in den Strophen - aber ehe dieser grandiose Refrain alles umreißt: "Stick out your thumb and lift up your skirt / Someone's gonna stop here soon". Spieluhren, jede Menge Geräusche, filigrane Klangfärbungen in allen Ecken und Enden, Leerstellen, Pausen, gesprochene Poesie, Stream of consciousness.
Es ist der allerletzte September überhaupt, es wird kalt - alles ein verschwommener Traum. Schmetterlinge fliegen wirr durch die Luft, sie haben mit Verliebtsein wenig zu tun. "You mistook magic for love / And love for obsession / He liked butterflies", so "Tim And Tina", und weiter: "Broken mirror, cheap tutu / Kissing in the photo-booth / Freeze and smile now, don't move / She's watching whales / 2000 miles away / And can't remember much / Ooh, they were so cool".
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