laut.de-Kritik

Ungerecht, dass diese Band so wenig durchdringt.

Review von

Wenn Soul Asylum im Februar 2025 durch Deutschland touren, sollten sie die Bahn wohl eher meiden, um nicht das Gleiche zu erleben wie die internationalen Fußball-Fans und Teams während der EM 2024. "Runaway Trains" im Sinne von fluchttauglichen Fahrt-Optionen hat die DB trotz Sprinter-Strecken noch nicht zu bieten. Soul Asylum schon: "Runaway Train" ist sogar ihr ewiger Signature Song, obgleich untypisch für den Alternative Rock, den sie sonst machen, auch anders als das neue Album "Slowly But Shirley". Der Song läuft bis heute als einziger von ihnen im Radio, hat sich fest in ihre Live-Sets eingeschrieben.

Und er ist ein wichtiger Klassiker, der sogar etwas bewirkte - um so ungerechter, dass die Band davon nicht nachhaltig profitiert. Das Wort "Runaway Train" schillert in vielerlei Farben, denn es bedeutet zugleich 'außer Kontrolle geratener Zug', 'Zug der Ausreißer, die durchbrennen wollen' und im persönlichen Fall des Sängers seinen Rückzug aufgrund einer Depression. Die Ballade aus den frühen Neunzigern klingt wie eine perfekte Symbiose aus Counting Crows und R.E.M. und behandelt auf einer zweiten Ebene das ernste Thema, dass in den 90ern in den USA jährlich fast eine Millionen Kinder als vermisst gemeldet wurden.

Ein Teil der aufgeklärten Fälle lässt sich heute noch nachts im Fernsehen in der Reihe "Criminal Detectives" verfolgen. Und 26 einzelne Fälle ließen sich - angestoßen durch die Rotation des umstrittenen Musikvideos auf VH-1 - seinerzeit überhaupt erst ermitteln und letztlich lösen. Eine solche berührende und praktische Bedeutung können nicht viele Rock-Bands für sich verbuchen. Ihr CD-Titel "Candy From A Stranger" knüpfte dann an das Thema an. Zugleich bereitete "Candy From A Stranger" (1998) der Gruppe ihren letzten kommerziellen Erfolg, nachdem sie erst mit ihrem sechsten, siebten und achten Werk ein nennenswertes Publikum fand. Nun legt das Quartett aus dem US-Nordwesten seinen 13. Longplayer vor, nachdem die Abstände zwischen den Scheiben teils groß waren.

Während bei uns gerade wieder die Asyl-Debatte hoch kocht, bieten Soul Asylum bis heute der Seele und auch verletzlichen Seelen 'Asyl'. Musikalisch gilt das mittlerweile auch. Denn Soul- und Funk-Schlagzeuger Michael Bland, von 1989 bis '96 Mitglied in Princes New Power Generation, schloss sich der ebenso in Minneapolis beheimateten Combo an. Ein ausgewiesener Soul-Experte! Von der "Runaway Train"-Besetzung ist nur noch Dave Pirner beteiligt, Sänger, Songschreiber und Multiinstrumentalist.

Wie alle vorigen Asylum-Alben ist es ein halb-gutes geworden. Zu den guten Stücken kann man den routinierten Alternative-Breaker "If You Want It Back" rechnen, das 90er-Souvenir "High Road" und dumpfen Hardrock in "Freeloader". Zudem bieten Pirner und seine versatile Gruppe ein paar ziemlich gute Kompositionen auf, denen vielleicht noch der letzte Schliff fehlt, die aber klare Kante und eine eigene Handschrift zeigen: den sägenden Midtempo-Stomper "High And Dry" und das Garage-Glam-Konglomerat "The Only Thing I'm Missing".

Zu den sehr guten Stücken zählt das ruhige Storytelling eines sich selbst analysierenden Tagträumers in Ich-Perspektive, "Freak Accident", wie auch schweres Gitarren-Zittern in "You Don't Know Me" mit zart-sensiblem Gesang. Richtig schön vorgetragen! Als Highlight sticht das Garage-Soul- und Funkrock-Crossover "Sucker Maker" heraus, das mit vielem Schritt hält, was die Red Hot Chili Peppers in jüngerer Zeit veröffentlichten. Für eine weitere positive Überraschung sorgt der am Bluesrock geschulte Kracher "Waiting On The Lord" mit funky Riffs.

Die verbleibenden Nummern gehören zwar in meinen Ohren zur Kategorie Füllstücke. Allerdings bleibt "Slowly But Shirley" insgesamt nach dem Hören als angenehme Scheibe haften. Für die hochwertige und knackige Produktion sorgte Steve Jordan, der aktuelle Stones-Drummer. So wie die Goo Goo Dolls, Stereophonics, Collective Soul und andere mit jenen Ursprüngen im CD-Zeitalter und auf dem Peak des Alternative Rock haben es auch Soul Asylum schwer, heute im Hot Rotation-Radio oder in Streaming-Diensten durchzudringen. Live sollte man sich die Gruppe aber gönnen, wenn man auf gut durchgespielte basstriefende Verstärker-Mucke steht.

Trackliste

  1. 1. The Only Thing I'm Missing
  2. 2. High Road
  3. 3. You Don't Know Me
  4. 4. Freeloader
  5. 5. Tryin' Man
  6. 6. Freak Accident
  7. 7. If You Want It Back
  8. 8. Waiting On The Lord
  9. 9. Trial By Fire
  10. 10. Makin' Plans
  11. 11. Sucker Maker
  12. 12. High And Dry

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3 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 3 Tagen

    Wtf? ❤️ Wird gleich gecheckt.

    • Vor 2 Tagen

      Als ich das: "Als Highlight sticht das Garage-Soul- und Funkrock-Crossover "Sucker Maker" heraus" gelesen habe, war mir intuitiv irgendwie gleich klar, dass dies der schlechteste Song der Platte sein muss und dem war dann auch so. Allein die Buzzword-Combo "Garage-Soul-Funk" und dann noch "Crossover" als Gipfel-Tautologie drangehängt war schon ein leichtes Zehennagelausdehnen. Denke aber, dass meine Meinung zu dem Song völlig unabhängig von der in Frage kommenden kognitiven Verzerrung, dass ich das halt las und dann die Meinung aufgrund der Beschreibung bildete, für sich steht.

    • Vor 2 Tagen

      ... ach, folgende Buzzwörter hab ich noch vergessen aufzuzählen, dann wird die Tautologie noch deutlicher: "Red", "Hot", "Chili" und "Peppers". So, das waren alle dann.

    • Vor 2 Tagen

      ... eins noch vergessen: "Red Hot Chili Peppers"...

  • Vor 2 Tagen

    So originell wie das Album Cover.

  • Vor 2 Tagen

    Wenn wir alle mal auf dem Boden der Tatsachen bleiben wollen:

    Der Grund, warum Soul Asylum den ewig dankbaren One Hit-Wonder Fanmolkerei-Status im deutschsprachigen Raumüberhaupt je erreicht haben liegt eben maßgeblich an "Runaway Jenny" - der begleitenden Bravo Foto-Lovestory-Adaption des davor eher zögerlich zum solchen werdenden Hit...