laut.de-Kritik

Zurück zu den Wurzeln, nach Omaha.

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Im Winter 2015/16 zog der umtriebige Musiker nach zehn Jahren von New York zurück in seine Heimatstadt Omaha. Mit 400.000 Einwohnern ist das zwar die größte Ortschaft Nebraskas, im Vergleich zur Metropole an der Ostküste aber natürlich ein Kaff. Es kam, wie es kommen musste: Conor Oberst fiel in ein Stimmungsloch.

Wie dramatisch die Lage gewesen sein muss, schreibt Simone Felice in seinen Liner Notes: "Er befand sich an einem Ort, an dem er nicht mehr wusste, ob er jemals wieder einen Song schreiben kann. Vielleicht war der Brunnen vergiftet. Oder die Muse hatte sich in Asche aufgelöst", erinnert sich der Singer/Songwriter an ein gemeinsames Telefonat.

Dabei hatte sich Oberst mit einer Lastwagenladung Holz in sein Haus eingeschlossen und Nächte hindurch an seinem neuen Piano gesessen. Schließlich ging er ins ARC, das Studio, das er mit Bright Eyes-Kumpel Mike Mogis eröffnet hatte, und drückte auf REC.

Am 11. und 12. Februar 2016 entstand so das vorliegende Album, auf dem sich Oberst mit Klavier, Akustikgitarre und Mundharmonika begleitet. Ein klassisches Singer/Songwriter-Album in der Tradition von Bruce Springsteens "Nebraska", Bob Dylans ersten Platten oder dem einen oder anderen Solowerk Neil Youngs.

Typisch für Oberst ist die Ich-Perspektive. "It's a bad dream I have it seven times a week / No, it was not me but I'm the one who has to die", singt er im Opener "Tachycardia". Fest steht: Die Stimmung ist bedrückt.

Wut gehört zum Tief nicht dazu, Obersts Stimme klingt gar weniger brüchig als sonst. "I don't want to feel stuck baby / I just want to get drunk before noon", erklärt er in "Barbary Coast (Later)". Mit einem Drink in der Hand beginnt seine Hand zu zittern, erzählt er in "Gossamer Thin", wenige Zeilen später kommt er nicht aus dem Bett und versucht sich daran zu erinnern, was er in der Therapie gelernt hat: "You are who you are and you are somebody else."

Ohne große Hoffnung geht es weiter. "Closing my eyes counting the sheep / Gun in my mouth trying to sleep / Everything ends everything has to", singt er gleich zu Beginn des nächsten Stücks, und so weiter. Es ergibt sich das Bild eines Menschen, der keine Sicherheiten mehr hat, keine Freunde, die ihn auffangen, nichts, worauf er sich wirklich freuen kann.

Wörtlich muss man das alles nicht nehmen, schließlich stammen Obersts Texte seit jeher von der Schattenseite des Lebens. Seine Kunst besteht darin, die deprimierenden Bilder mit Überzeugung und Dringlichkeit vorzutragen, genauso wie die Großen seiner Zunft.

"I watched you go from bad to worse / The blues is here to stay / But sometimes it's the simplest things / That make it all okay", singt er im abschließenden "Till St. Dymphna Kicks Us Out". (die heilige Dymphna ist die Patronin der psychisch Kranken). Zu den "einfachsten Sachen" gehört vielleicht, dass "Ruminations" am Tag nach der Ankündigung erschienen ist, dass Bob Dylan mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wird.

Von solch einer Würdigung bleibt Oberst weit entfernt. Dass er Dylans Tradition fortsetzt, verschafft ihm aber hoffentlich einen Augenblick der Genugtuung.

Trackliste

  1. 1. Tachycardia
  2. 2. Barbary Coast (Later)
  3. 3. Gossamer Thin
  4. 4. Counting Sheep
  5. 5. Mamah Borthwick (A Sketch)
  6. 6. The Rain Follows The Plow
  7. 7. A Little Uncanny
  8. 8. Next Of Kin
  9. 9. You All Loved Him Once
  10. 10. Till St. Dymphna Kicks Us Out

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