laut.de-Kritik
Der Trail Of Dead-Frontmann geht auf Reisen.
Review von Markus BrandstetterWie schrieb der Dichter Matthias Claudius (1740-1815) doch so schön in seinem Gedicht "Urians Reise um die Welt": "Wenn jemand eine Reise tut / So kann er was verzählen". Mehr noch: Reisen setzt kreative Energien und Gedankenprozesse frei, die einem in sesshaften Phasen in dieser Form wohl nicht kommen würden. So war es auch der Modus des Unterwegsseins, in dem Conrad Keely – hauptberuflich Frontmann der texanischen Alternative-Rocker And You Will Know Us By The Trail Of Dead – den Großteil der Songs für sein erstes Solo-Album schrieb.
Das schlägt sich bereits in vielen der Liedtitel nieder: "Drive To Kampot", "Hills Of K-Town", "Drive Back To Pnohm Penh", "Out On The Road" oder "Waimalano Drive" heißen einige der Lieder auf "Original Machines". Ganze zwei Dutzend Stücke haben auf Keelys Solo-Debüt (kein Doppelalbum wohlgemerkt!) Platz gefunden, vierundzwanzig Songs und Songfragmente zwischen knapp dreißig Sekunden und maximal dreieinhalb Minuten.
Das wichtigste Kompositions-Tool war für Keely bei diesem Album sein iPad. In erster Linie nutzte er das Apple-Standard-Aufnahmeprogramm "Garage Band", in dem er alle möglichen virtuellen Instrumente programmierte. Später, bei den Studiosessions, spielte er nur jene Spuren neu ein, bei denen es ihm wirklich notwendig erschien (in erster Linie Schlagzeuge und natürlich die Vocal-Spuren, synthetische Gitarren beließ er an einigen Stellen). Vieles, das es auf "Original Machines" zu hören gibt, besteht aus den ursprünglichen Skizzen und iPad-Spuren, an denen Keely unterwegs arbeitete.
Der Prozess an sich, so Keely (derzeit übrigens im von ihm besungenen Kambodscha wohnhaft), ist nicht nur mindestens gleich wichtig wie das endgültige Produkt: In Wirklichkeit sind jener Prozess und das finale Produkt sogar in vielerlei Hinsicht ein und dasselbe. Zusätzlich zum Album veröffentlicht Keely auch ein Buch mit visueller Kunst, das es in einer etwas kostspieligeren Version dazu gibt.
Bis hierhin hört sich das ganze nach einem interessanten Konzept an, könnte aber auch in der (akustischen) Realität all zu sehr nach Demo-Schnippseln und Puzzlestücken statt nach einem vollständigen Album klingen. Tut es aber nicht. "Original Machines" changiert kurzweilig zwischen Synth-Pop, Indie und Folk und schleudert einem ohne Unterbrechung stimmige, eingängige und kohärente Stücke entgegen. Keely Solodebüt ist fragmentarisch, aber nie bruchstückhaft im Sinne, dass etwas fehlen oder vorenthalten werden würde.
Das titelgebende Stück "Original Machines" bringt mit Synthesizer und hektischer Bass/Schlagzeug-Unterlegung den Motor zum Laufen, nach einer eingängigen Gesangshook ist es nach einer Minute und siebzehn Sekunden bereits wieder vorbei und geht in den atmosphärischen Rock von "Warm Resurrection" über. Auch hier pulsieren Bass und Schlagzeug, anstatt Synthesizern legt sich hier eine Gitarre atmosphärisch über das Fundament. Refrain gibt’s keinen, dafür ist hier keine Zeit. Und wieder gibt es keine Pause zum nächsten Stück, dem folkballadesken "In Words Of A Not So Famous Man", gleichzeitig der ersten Single-Auskopplung der Platte. Akustikgitarre, Streicher und mit 2:16 Minuten auch einigermaßen genügend Zeit, um sich als Song zu entfalten.
Immer wieder wirft uns Keely zwischen den Fragmenten wahre Songperlen entgegen, "Engines Of The Dark" – erneut ein reduziertes Akustikgitarrenstück - ist so eine. Und stetig wechseln sich solche Balladen mit Schlagzeug/Bass-getriebenen Stücken ab, die in erster Linie von der getriebenen Atmosphäre getragen werden, "Your Tide Is Going Out" beispielsweise.
"Original Machines" spielt pausenlos mit Stimmungen und Stilen, ist an einer Weggabelung mysteriös und bedrohlich, dann kurz darauf wieder einlullend, anschmeichelnd. Keely scheint vor Ideen beinahe zu explodieren, sich präzise und prägnante Songs und Songminiaturen geradezu aus dem Ärmel zu schütteln. Die Reise geht von verlassenen Kreuzungen quer durch Ballungszentren, Ruhe wechselt sich mit Hektik ab ("The Jungles"), Altvertrautes mit Exotischem. Und ganz am Ende, da schleudert er uns noch ganz unfragmentarisch einen wunderbaren Pop-Song entgegen: "Before The Swim" setzt ein Ende unter eine 24 Songs lange Reise, die bunt und durchwachsen, aber trotz der vielen Eindrücke niemals überladen oder überfordernd war.
4 Kommentare mit einer Antwort
Sehr gut!
Ich durfte ein paar Songs live hören, als er Anathema supportet hat.
Trail of Dead hat mich schon lange nicht mehr überzeugt, aber die solo Sachen kamen echt sehr gut rüber. Erste single gefiel auch, also ich bin sehr gespannt auf das gesamte album!
Das vinyl zur zeit bei amazon für neun euro zu haben
Neues AYWKUBTTOD Album übrigens auch schon für nächstes Jahr angekündigt.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.