laut.de-Kritik

Holt die Großfamilien, ihr Klappspaten!

Review von

Hört endlich auf, Boxen zu kaufen! Die Dinger sind überteuert, schlecht produziert und außerdem machen sie unseren Planeten kaputt. "Wir könnten es nicht mit unserem Gewissen vereinbaren, irgendwelchen Plastikschrott zu produzieren in Zeiten des Klimawandels", lassen DCVDNS und Tamas in einem Videostatement verlauten und veröffentlichen ihr neues Release ausschließlich in digitaler Form. Die Umwelt wird es ihnen danken.

Das ungleiche Duo verzichtet nicht nur darauf, den Fans abgefülltes Eigenblut, Koksröhrchen oder eine Nagelschere anzudrehen, die beiden widersetzen sich auch zwei weiteren goldenen Regeln des Deutschrapzirkus'. Erstens: Bewerbe dein Album mindestens ein Jahr im Voraus und informiere deine Fans genauestens über alle zehn Verschiebungen des Release-Datums. Und zweitens: Erwecke in jedem Fall den Anschein absoluter Authentizität.

DCVDNS und Tamas pfeifen auf schwülstiges Realgekeepe, hauen "Macs 'N' Gees" ohne Ankündigung raus und bringen dann noch die Dreistigkeit mit, dem Gralshüter der Realness und wandelndem Promomove einen Song zu widmen. "Platin-Hits schreiben wie Fler, stapel' die Scheine wie Fler. Frag' nicht nach Preisen wie Fler, trag' nur Designer wie Fler." Die Hymne auf das personifizierte Deutschrap-Meme zeigt gebündelt die großen Stärken des Albums auf. "Macs 'N' Gees" ist catchy, großmäulig und herrlich absurd: "Fensterscheiben unten, weil wir nach Gangster-Scheiße duften." Wie gut, dass der Elektro-Fensterheber auf der Rückbank sitzt, und der gar nicht mal so heimliche Star des Albums hinter den Reglern.

AsadJohn reiht in seiner Funktion als Hauptproduzent des Albums ein Brett an das nächste und sorgt für den hochwertigen und stimmigen Soundteppich, auf dem die beiden Rapper dann glänzen. Schnell, technisch versiert und wendig bringen DCV und Tam ihre Parts, und man hört ihnen mit großer Freude dabei zu - egal ob sie nun großspurig ankündigen, Haftbefehls Manager vor die Füße zu rotzen, oder die Modefixiertheit der Szene auf die Schippe nehmen: "Du kaufst deine Sachen einen Tag zu spät. Ich kauf meine Jacken ein Jahr vor Drake."

Thematisch bewegt sich das Album in weiten Teilen im gewohnten Straßenrapkosmos. Scheine werden gestapelt, Goldketten umgehängt und Feinde im Vorüberfahren erschossen. Klassische Hoodtales werden aufgegriffen und Textversatzstücke zitiert, allerdings bricht das Duo die Räuberpistolen auch immer wieder mit seinem absurden Humor. "Hol' dich Fettsau mit der 44. Magnum aus dem Bett raus, Rat-a-tat ist wie Death Row. Ich bleib' in Hundekacke stehen, bevor ich in deine Fußstapfen tret'."

Der Stripclubausflug "Sie Braucht Das Geld" und Tamas' Machogepose in "Ich Bin Ein Pimp" trüben den großen Spaß zwischenzeitlich ein wenig. Wenn man, zumindest im Falle von DCVDNS, ohnehin nur eine Rolle einnimmt, darf man sich ruhig ein wenig mehr Gedanken über das Geschlechterbild machen, das man vermittelt. Nur im Ansatz ironisch gebrochen, sind Frauen auch auf "Macs 'N' Gees" wieder nur als Stripperinnen und "verkackte Nutten" vorgesehen. Da ist es mir dann auch relativ egal, dass beide Künstler ein derartiges Weltbild privat vermutlich nicht vertreten. Wer nur zitiert, kann sorgfältiger auswählen, was er verkörpern möchte, und muss die Misogynie der Szene nicht noch verstärken.

Die zweifelhaften Aussagen sind doppelt schade, da insbesondere "Ich Bin Ein Pimp" einmal mehr unverschämt catchy ist. So erhalten die Tracks einen unschönen Beigeschmack, wie das im Albumnamen zitierte amerikanische Nationalgericht. Auf eine niedere Weise irgendwie befriedigend, aber in der Grundkonzeption schon eher eklig. Das gesagt, sind die getätigten Aussagen schlicht zu blöd, um sich davon nachhaltig die gute Stimmung vermiesen zu lassen.

Zu der tragen auch die Featuregäste bei. Haiyti zeigt einmal mehr, wie gut sie auf AsadJohns Beats funktioniert, und LGoony stellt auf "Iglus" sein phänomenales Gespür für klebrige Hooks unter Beweis. Mit "Keiner Weint Hier" beendet das Album schließlich ein weiterer Song, der sich direkt in die Hirnrinde brennt und von dort nicht mehr verschwindet. Fünfunddreißig extrem kurzweilige Minuten nehmen ihr Ende.

Das Kollaboalbum des Zwei-Meter-Schrankes und seines quirligen Kompagnons macht einfach verdammt gute Laune. Die beiden Rapper ergänzen sich prächtig und holen sich punktuell hochkarätige Unterstützung. Mit beeindruckender Hitdichte, höchster technischer Präzision und rundem Sound legt "Macs 'N' Gees" die Messlatte für Deutschrap 2019 beeindruckend hoch. Da müssen die "echten" Straßenrapper schon zu unlauteren Mitteln greifen. "DCV und Tam, ihr müsst die Großfamilien schicken, denn musikalisch können sie damit nicht ficken."

Trackliste

  1. 1. The Intro
  2. 2. Struggle
  3. 3. Suge Knight
  4. 4. Fler feat. Hayiti
  5. 5. Rat-a-tat
  6. 6. So High
  7. 7. Iglus feat. LGoony
  8. 8. Sie Braucht Das Geld
  9. 9. Ich Bin Ein Pimp
  10. 10. Faust Voll Schmuck feat. Roberto KKult
  11. 11. On The Run
  12. 12. Keiner Weint Hier

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