laut.de-Kritik
Freeway-Sound vom Gitarrenprofi der Kinks.
Review von Philipp KauseAls Green Day 1994 auf einer Single-B-Seite "Tired Of Waiting For You" coverten, sind die Urheber des Songs, Ray Davies und The Kinks, beinahe vergessen. File under: "Oldies". Dave Davies, Gitarrist und Bruder von Ray, trägt daran die geringste Schuld. Gegen seinen älteren Bruder, den selbst ernannten Leader of the Gang, hatte Dave sich kaum je behauptet. Stilistisch zwar schon ein bisschen: Die Band schlug - fast etwas schüchtern und zögerlich - hier und da die Americana-Töne an, die nun auf Daves nachträglichem Solo-Debüt "Decade" in voller Bandbreite und Konsequenz durchschlagen. Dave war bei The Kinks der Lieferant für die härteren Akzente, wie sich besonders zum Ende hin herauskristallisierte.
Die im Titel genannte Dekade sind die 70er. Das Album vereint unveröffentlichte Songs, mit denen die Band hätte punkten können. Aufgenommen sind sie in den Band-eigenen Konk-Studios, zwischen 1971 und '79. Wer "Death Of A Clown", "This Man He Weeps Tonight", "You Don't Know My Name" oder "Living On A Thin Line" (einige der wenigen Dave-Klassiker auf den Kinks-Alben) kennt und gut findet, wird auf dem "Decade"-Album nicht enttäuscht.
Das Riding-Down-The-Freeway-Feeling der USA prägte schon die wenigen Songs, die Dave zum The Kinks-Repertoire beisteuerte. Mit zittriger Stimme oder besser gesagt, mit Blues-getränktem Vibrato im Gesang, führt Davies durch den eingängigen On The Road-Soundtrack. Seine Musik eignet sich für unterwegs, wenn der Blick in die Ferne schweift. "Cradle To The Grave" (zu Deutsch 'Von der Wiege bis zur Bahre') und "Midnight Sun" sprechen dieses Freiheitsgefühl des Übers-Land-Reisens an. Das dynamische "Islands" mit Schmirgelstimme und dem Blick hinter die 'Fassade' eines Menschen ("I wanna know, what's really inside of you."), Lieblings-Thema vieler Kinks-Songs, überzeugt auch heute.
Auf "This Precious Time (This Lonely Road)" hört der Rock-Kenner schnell Jerry García als Parallele heraus. Der Track trieft vor einem ähnlich schwitzigen Riff und Stolperbeat wie in Grateful Deads "Shakedown Street".
Diese Musik entstand in einer Ära, als Country-Rock sehr beliebt war. Songs wie "If You Are Leaving" und "Web Of Time" spiegeln das. Während "Mystic Woman" und "Same Old Blues" dann die (irische) Rory Gallagher-Schiene bedienen, kommt bei letzterem Tune der gute alte Steh-Blues als Genre wieder aus der Mottenkiste. Sowohl der Jaul-Gesang als auch die brillante Lead Guitar von Davies gewinnen hier schnell die Aufmerksamkeit. Die Bass Drum tut ihr übriges: So klotzend und enthemmt gespielt wie damals üblich.
Als ungewöhnlichstes Stück auf der CD sticht "Mr. Moon" heraus, relativ kantig, mit etwas Skiffle im Rhythmus, twangender Gitarre, vertracktem Harmonieverlauf und bluesigem Gesang - ein sehr guter Song. Wie pfiffig das Gitarrenspiel von Dave klingt, offenbaren die beiden straight gespielten Instrumentals "Shadows" und "The Journey".
"Decade" bewirkt als ins Heute übertragenes Relikt der '70er beim Hören, dass man diese goldene Ära des Classic-, Westcoast- und Country-Rock, Glam und Progressive Rock und all die damit verbundenen Freiheitsgefühle und Wunschbilder gerne im Hier und Jetzt erleben würde. Die rohe Energie, die ungeschliffenen Arrangements und die textliche Naivität der alten Songs sind die Vorzüge von "Decade".
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