laut.de-Kritik
Nun haben die Geier lang genug gekreist.
Review von Franz MauererFünf Jahre haben sich die Geier Zeit gelassen, kreisend über dem musikalischen Nachlass David Bowies. Thinner und whiter kann er jetzt nicht mehr werden, der Dude, und so haben sie zugeschlagen. "Toy" stammt aus dem Jahre 2000 und damit einer nicht leicht zu greifenden Phase in der Karriere des Engländers. Das auf "Toy" aufbauende und folgende "Heathen" und das wiederum nächste Album "Reality" markieren die sanfte Renaissance des zeitgenössisch-konventionellen Popsängers Bowie nach der 1999 mit "Hours" beendeten Art-Pop-Phase. Man muss den Grabschändern der Musikindustrie zugestehen: "Toy" sollte durchaus veröffentlicht werden, nur hatte das Label damals arge Finanzprobleme und so erblickte das Werk nie das Tageslicht.
Viele der Songs von "Toy" fanden sich im ausgesprochen wohlwollend rezipierten (wenngleich kommerziell mäßig erfolgreichen) "Heathen" und B-Seiten wieder. Um das Ganze noch komplizierter zu machen, umfasste "Toy" keineswegs nur neue Songs, sondern größtenteils Neuaufnahmen aus dem Frühwerk Bowies und wurde in einer schlankeren Version als Teil eines Boxsets bereits im Herbst 2021 veröffentlicht. Die Frage stellt sich: Besitzt "Toy" Legitimität und wenn ja, genug für drei (!) CDs, pro CD in je einer anderen Abmischung?
Die vorliegende Version, 2000 aufgenommen mit Bowies Live-Band, wurde vom Original-Produzenten Mark Plati mitgemischt und fand interessanterweise die ausdrückliche Zustimmung von Tony Visconti, der erst ab "Heathen" wieder zu Bowie stieß. Viel historischer Ballast, viel Einordnung, gottlob kann man auch einfach die Lieder hören.
Der Rock-Jingle "I Dig Everything" beginnt den Reigen leider schwach. Der Mid-Tempo-Song klimpert fröhlich rockend vor sich hin, ohne nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Die typischen Stärken Bowies, zuvorderst seine ausdifferenzierte Dynamik, kommen in dem für den alten Meister zu schlichten Pop-Rock-Song nicht zum Tragen.
Die Gesangsleistung Bowies wirkt auf "Toy" allerdings differenziert und kraftvoll, davon können sich losgelöst vom Gesamtkunstwerk aber nur Afficionados etwas kaufen. Denn teils kommt die Stimme wie in "You've Got A Habit Of Leaving" nicht durch den Produktionsmatsch durch, teils taugt das Songmaterial einfach zu wenig, bietet Bowie zu wenig Reflektionsfläche. So wird das operettenhafte "Shadow Man" von Bowies Stimme allein nicht aus dem kitschigen Kaugummibrei gezogen, in dem es über vier Minuten lang verharrt. Einige Songs wie "Karma Man" und das stinkfaule "Baby Loves That Way" kommen über den Status der Spielerei nicht hinaus, wirken skizzenhaft und nicht kohärent zu Ende gespielt.
Lichtblicke brechen sich allerdings regelmäßig Bahn. "The London Boys" gefällt als melodramatische Rückschau auf das junge Ich, "Silly Boy Blue" ist tatsächlich etwas silly mit seiner dämlichen Flöte, Bowie hatte aber offenkundig Spaß an der Aufnahme und eine an beste Zeiten erinnernde Präsenz vorm Mikrofon. "Conversation Piece" hat eine eigene Anziehungskraft als scheinbare B-Seite von einem ungewöhnlich gut gelaunten Cave der 10er-Jahre. Das Outro "Toy (Your Turn To Drive)" gefällt mit einem raunenden Bowie und wabernden Instrumenten und windschiefer Oboe/ Saxofon - jedenfalls leidet es und klingt dabei toll - sogar hervorragend.
Insgesamt reicht das nicht für ein würdiges Bowie-Album, dafür ist "Toy" zu disparat und keinesfalls mehr als die Summe seiner Teile. Einige dieser Teile sind aber nun mal von einem sichtlich gut aufgelegten Bowie aufgenommen, wenn auch nicht von ihm mit dem letzten Schliff versehen. Das reicht bei Herrn Jones aber für ein immer noch gutes Werk. Allerdings gilt: David Bowie hat viele Alben aufgenommen; manche besser als andere, aber in ihrer Gesamtheit genug für ein Leben. Es gibt keine künstlerische Notwendigkeit, musikalische Zombies und Kinder ihrer Zeit wie "Toy" aus dem damaligen Zusammenhang gerissen aufzutauen.
CD 2 kann man im Übrigen vergessen, durch andere Abmischungen ändern sich die vorliegenden Songs zwar in Detailbereichen, gewinnen aber keine nennenswerten Qualitäten hinzu. Wer den zutreffend benannten "Unplugged & Somewhat Slightly Electric Mix" der CD 3 nachweislich am Stück aushält, bekommt vom Autor auf Anfrage ein Twix spendiert. "Hole In The Ground - Unplugged & Somewhat Slightly Electric Mix" sollte aktiv wegen Verstoßes gegen §189 StGB verfolgt werden. Dasselbe gilt natürlich auch für den "Designer" des Covers, wenngleich das angeblich von Bowie selbst stammt. Man mag es nicht glauben.
4 Kommentare mit 15 Antworten
"Thinner und whiter kann er jetzt nicht mehr werden, der Dude [...]"
Handelt es sich hierbei um eine flapsige Verballhornung seines Alter Egos oder weiss es der Rezensent einfach nicht besser? Eigentlich beides gleich schlimm.
Naja, er dürfte mittlerweile skelettiert sein, gern Geschehen!
Er wurde eingeäschert.
Als Geist er auch weiß und mehr als dünn.
*ist
Vielleicht zu oft The Big Lebowski geschaut?
Big Lebowski kann man nicht zu oft schauen.
Wenigstens zwei Herrschaften, die verstehen, worum es überhaupt geht.
Nur weil wir die Hinterbliebenen sind sind wir die Idioten, oder was?!
So geht das Zitat nicht.
Ach jaaa, Big Lebowski, einmal geschaut, war ein cooler Film aber diesen Kult der da mittlerweile drumherum entstanden ist, den kann ich nicht nachvollziehen.
Yeah, well, you know, that's just like, your opinion, man.
Aber ernsthaft, bin da bei dir. Finde den Hype auch etwas übertrieben.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Lass hängen, Schwingo, hab's bewusst an die deutsche Synchro angelehnt um es nicht gaaanz so offensichtlich aufzusetzen. Mit bissl Phantasie geht's dann vielleicht irgendwann als Sobchak-Moment eines bekennenden Bowie-Fans unbemerkt in den laut.de-Almanach ein.
Schnarch. Hatte schon seinen Grund, warum das damals nicht veröffentlich wurde.
Ist eigenzlich ne ziemlich brauchbare Platte. Nur völlig unnötig, hier noch fünfzig andere Versionen und Outtakes mit herauszubringen. Da reicht der damalige Leak aus.
Vom damaligen Comeback war ich relativ unberührt und habe das alles garnicht auf den Schirm bekommen, deswegen eher dankbar heute! Aber es reicht Bowie für Jahre nun, ähnlich wie Hendrix gibt es wohl nix frisches mehr, was aufbereitet werden könnte. Das haben wir auch vorher gewusst! Trotzdem bleibt die Zeit die man mit Bowie hatte!
Was für ein hässliches Cover.
Kein Hatespeech gegen Photoshop-Philipp!