laut.de-Kritik
In Würde altern? Lieber ordentlich liefern!
Review von Michael SchuhWas dieser David Bowie aber auch mit seinen Fans anstellt. Die können sich mittlerweile ja bei gar nichts mehr sicher sein. Grandadin Sane. Andererseits: Warum sollte es uns besser ergehen als Miley Cyrus-Fans? Wer heute auffallen will, überrascht seine Anhängerschaft. Fragt den, der's erfunden hat. Fragt Bowie. Der zuletzt witzigerweise vor allem dadurch auffiel, nicht mehr auffallen zu wollen.
Die lästige Album-Tour-Routine war längst gekappt, Comeback-Rufe verhallten im Nichts, während seine Heiligkeit als museale Pop-Eminenz die Innovator-goes-Promi-Frührentnerschiene fuhr. Ab und an mal ein Boxset vom Thron fallen lassen. Da, kauft's halt. Gruß, David. Abgetreten in Würde. Geil. Selbst das kann er noch.
Fast schon enttäuscht stellte man 2013 fest: Nee, kann er nicht. "The Next Day" flutete das Netz. Mit 66 Jahren, da fing sein Leben wieder an. Über das KaDeWe, den Dschungel, die Nürnberger Straße hat Bowie da gesungen, über sein Berlin der späten 1970er, da wurde es einem schon warm ums Herz (nicht erst bei dem Video mit Tilda Swinton). Doch so sehr man diese Lieder allein aufgrund des wahnwitzigen PR-Coups im Social Media-Alleswisser-Zeitalter abfeiern wollte, es klappte nicht so recht. Man kannte halt doch vieles irgendwie schon von den anderen 20 Alben.
Willkommen auf dem Planeten "Blackstar", im neuen Bowie-Niemandsland. Sieben Songs in rund 40 Minuten. Allein der Opener ist knapp zehn Minuten lang, war ursprünglich sogar noch länger, wurde laut Produzent Tony Visconti aber gekürzt, weil iTunes keine Singles akzeptiert, die diese Zeitmarke überschreiten. In vielerlei Hinsicht ist "Blackstar" das Album geworden, das er 2013 hätte vorlegen sollen.
Selbst die weniger hypnotischen Songs strahlen eine selbstbewusste Haltung aus: Hier versucht einer, der im Prinzip schon alles versucht hat, seinem eigenen Songwriting noch neue Nuancen abzutrotzen. Hierfür benötigt man meist Impulse von außen, und diese fand der 69-Jährige im Quartett des Avantgarde-Jazzers Donny McCaslin, der bei ihm um die Ecke im West Village musiziert.
Eine erste Session mit MacCaslin und dessen Drummer ergab den richtungsweisenden Track "Sue (Or In A Season Of Crime)", der 2014 auf "Nothing Has Changed" veröffentlicht wurde. Er bleibt jedoch hinter den zwei Ausnahmetracks des Albums zurück: "Blackstar" und "Lazarus".
Der Opener beginnt mit einer Harfe, gegen den Takt laufenden Drums (Jazz!) und Bowies gespenstischer Stimme, mittlerweile fast schon ein Wimmern aus dem Jenseits. Später dann: pointierter 80er-Bass, majestätische Streicher, abgründige Breaks, Hi-Hat-Gedengel, epische Breite, Meditation, Sturm und Drang. Prog-Rock für Akademiker. Und ein meisterhafter C-Teil ("Something happened on the day he died / Spirit rose a metre and stepped aside"), aus dem der "Life On Mars"-Komponist hervorlugt.
"Lazarus", Titelstück des Musicals mit Michael C. Hall, das Bowie praktisch nebenbei noch betreut, beginnt, als würde er ein The XX-Stück nachspielen. Eine laszive Gitarrenlinie schwebt auf minimalistischem Drum-Fundament. Es zieht einen förmlich hinein in diesen Sound, noch bevor ein smarter Bass und das zurückgenommene Saxofon den Song weiter ausdifferenzieren.
Hölle, ja, so muss David Bowie 2016 klingen. Unfassbar geerdet fühlt man sich, da schlägt er schon wieder Haken, denn er weilt nicht mehr unter uns: "Look out here I'm in heaven". Gänsehaut-Moment. Im Laufe des Songs deutet sich an, wie viele Freiheiten Bowie McCaslin zugesteht, was den positiven Gesamteindruck etwas stört, wenn man wie ich mit dominantem Saxofonsound automatisch "Careless Whisper" assoziiert. "Young Americans" wäre jedenfalls als saxofonlastigstes Bowie-Album hiermit überholt.
Zwischen diese beiden Großtaten packt Bowie "Tis A Pity She Was A Whore". Der stürmische Drum-Auftakt reist einen abrupt aus allen Träumen: Bowie ist wieder Rocker, und wir wieder auf "The Next Day". Zumindest bis McCaslins Saxofon den Song mit allen erdenklichen Soli an sich reißt, Triolenimprovisationen und sonstige Proberaum-Gimmicks inklusive. Wie gesagt: Muss man mögen.
Der Songtitel bezieht sich auf ein blutiges Inzeststück des englischen Dramatikers John Ford aus dem 17. Jahrhundert, worin Bowie offensichtlich die Legitimation sah, unverblümt das Wort "cock" zu verwenden. An anderer Stelle schreckt man bei der Zeile "I was looking for your ass" auf. Das wirkt dann leider doch ein wenig so aufgesetzt wie Viscontis Statement, man habe viel Kendrick Lamar im Studio gehört.
"Girl Loves Me", halb Iggy-Ballade der "The Idiot"-Phase, halb Trauermarsch, dafür wieder im Strophe-Refrain-Muster und ganz ohne Saxofon. "Where the fuck did Monday go?" weint Bowie seinen immer wertvolleren Tagen hinterher. Dabei benutzt er offenbar auch einen inzwischen ausgestorbenen Slang der Schwulenbewegung im Swinging London.
Überhaupt lassen sich wieder lose eingestreute Verweise auf seine Vergangenheit finden, auf die wir rührselige Vinyl-Boxset-Käufer insgeheim ja alle warten ("By the time I got to New York I was living like a king" in "Lazarus"). Dem monotonen Beat folgt das melancholische Ausschnaufen "Dollar Days", das allein mit dem hervorstechenden Trademark des Ü50-Bowies glänzt, seiner brüchig gewordenen Stimme.
Verstörend nur, dass nach einem von Gesangseffekten, aufsteigenden Akkordfolgen und dem ganz normalen Saxofon-Irrsinn detailreich hingearbeiteten Crescendo zum Ende des Songs in den allerletzten fünf Sekunden plötzlich eine 80s-Drum-Machine mit Handclaps losrattert. Hat John Frusciante hier etwa einen geheimen Gastauftritt? Der Sinn dieser Überleitung zum Abschlussong bleibt im Unklaren, abgesehen davon, dass "I Can't Give Everything Away" den Beat mit Band-Instrumentarium aufnimmt, was leider keinen nennenswerten Effekt erzielt.
Der Song selbst ist ein recht zähes Aneinanderreihen von drögen Keyboardflächen und Bowies nicht enden wollendem Mantra "I Can't Give Everything Away". Kann man sich kaum schönhören, zumal in keinster Form Atmosphäre aufkommt - ein krasser Gegensatz zu "Blackstar" und "Lazarus".
Dennoch: Mit diesem Album hat der alte Hase mit einer allerletzten Kraftanstrengung den Fluch der eigenen, für uneinholbar erklärten Heldentaten der Vergangenheit besiegt. "Blackstar" wäre ein krönender Abschluss für seine einzigartige Karriere. Aber vielleicht wird in New York schon wieder nach vorne geschaut. Ein Held für einen Tag sein, das war David Bowie schließlich nie genug.
27 Kommentare mit 66 Antworten
Pitchfork vergibt 8,5. Auf fast einer Stufe mit Kendrick Lamar.
Wir werden's morgen sehen beziehungsweise hören.
Nichts gegen Saxofone, du Banause! Ansonsten eine sehr schöne Rezension; die Spannung steigt.
Traurig genug, dass sich jetzt schon von iTunes in ihrer Kreativität vorschreiben lassen, wie lang eine Single max. zu sein hat.
Das selbe Album, von einem Unbekannten veröffentlich, würde von den Kritikern zerfetzt.
In meinen Augen nicht mehr als das Gejammere eines alten Mannes, welches völlig überbewertet ist.
6 setzen und noch mal von vorne
@Elviz.. In meinen Augen nicht mehr als das Geschreibsel eines frustriertenen Mannes, welches völlig überbewertet ist.
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Ein Kunstwerk der Extraklasse. Mit Jazz hat das ganze hier wenig zu tun hier sollte man die Herren Miles Davis, Charlie Parker besuchen. Hm, wobei einer von denen spielt so ein komisches Instrument. 5/5