laut.de-Kritik
Ein klangliches Kunstwerk mit tierisch langer Haltwertzeit.
Review von Kai ButterweckCherilyn MacNeil, Frontfrau, Stimme und Kopf von Dear Reader hat sich in punkto Konzept für das Folgewerk ihres Debuts "Replace Why With Funny" etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Man nehme all die humanistischen Probleme, Sehnsüchte, Vorbehalte und Denkansätze, und belade die Tierwelt damit.
Das mag auf den ersten Blick amüsant klingen, wenn sich auf elf Songs Giraffen, Kamele, Wale und Füchse die Klinke in die Hand geben. Lauscht man der inhaltlichen Umsetzung aber genauer, hat man spätestens beim zweiten Durchlauf das Bedürfnis, all die Vierbeiner, Rüsseltiere und Flossenträger tröstend in die Arme zunehmen ob des menschlichen Abfalls, der ihnen auf "Idealistic Animals" unter das Fell oder hinter die Kiemen gespritzt wird.
Während sich das Trio also lyrisch in völlig neue Welten wagt, geht es musikalisch eher auf Nummer sicher. Das Grundgerüst aus leichtem Indie-Folk-Pop, das bereits auf dem Debüt zu begeistern wusste, bleibt weitestgehend erhalten.
Das Piano thront ganz oben und delegiert seine Untertanen, bestehend aus Bläsern, Hörnern, zarten Gitarren und Akkordeon-Klängen. Sperrige Drum-Rhythmik und ausgeklügelte Percussion-Elemente runden das intime Spektakel ab und bilden den idealen Nährboden für Cherilyns zartes Organ, das einmal mehr wie eine Mischung aus Emiliana Torrini und Tori Amos klingt.
Das minimalistisch arrangierte "Fox" macht den Anfang und präsentiert die glasklare Stimme der Sängerin in voller Pracht und Blüte, nur begleitet vom melancholischen Sound einer cleanen Gitarre. "Monkey" öffnet plötzlich die Pforten. Verspielt und poppig galoppieren Drums und Gitarre um die Wette, während sich "Mole", wie im Stile eines echten Talpidae eher schleppend und schniefend durch das musikalische Erdreich pflügt. Auch "Earthworm" gesellt sich eher zum klanglichen Schwermut, die aufhellende Klangfarbe von Cherilyns Stimme bettet den Song jedoch in samtiges Weich.
Fast schon opulent wird es auf "Man", wenn sich das Trio im Refrain regelrecht an epischen Melodiebögen hochschaukelt. Richtig stimmungsvoll schwankt die raue See, wenn der Wal ("Whale") seine Bahnen zieht. Zischende Percussions und wirre Drumstick-Spielereien beherrschen den Dreiminüter, bevor das Album mit "Bear" seinen Höhepunkt erreicht. Eingängig und harmonisch erweist sich das Zotteltier und versprüht dabei den Charme seines kleinen Teddy-Bruders.
"Idealistic Animals" ist ein Kunstwerk. Nicht nur innovativ und belebend aufgrund des Konzeptes, sondern vor allem aufgrund der zeitlos schönen Musik, die den Inhalt begleitet. Zwischen Opulenz und Schlichtheit präsentieren Dear Reader elf tierische Perlen mit langer Haltwertzeit.
3 Kommentare
Das Wort heißt "Halbwertszeit".
http://www.youtube.com/watch?v=YZMsNpyaHcA
....hahaha, alex. sehr gut!