laut.de-Kritik
Riecht nach Bierflaschen, Schweiß und Aschenbechern.
Review von Sven Kabelitz"Deerhoof here we are / Deerhoof here we come / We love to visit your towns", singt Frontfrau Satomi Matsuzaki in "Acceptance Speech" in aller Höflichkeit. Die große Stadiongeste für die kleine Hütte. Geschredderter Arena-Rock, der nach stickigem Proberaum, nach umgekippten Bierflaschen, alten Aschenbechern, Käsemauken und Schweiß riecht. Wenn Deerhoof diese Hymne anstatt im Berliner Olympiastadion im Bi Nuu anstimmen, mag man sie zur Begrüßung knuddeln. Ja, wir haben euch auch lieb!
Unter der rauen Produktion und Spielweise verbinden die Lärm-Avantgardisten Post-Punk, Funk, Glam-Rock, Pop, Hair-Metal, Doo-Wop, Dream-Pop und Chaos. Hinzu kommt noch all der Schmutz, den sie aus den Ecken des verlassenen Büros in Mexiko, das sie für die Dauer der Aufnahmen zu ihrem Studio umfunktionierten, kratzen konnten. Genregrenzen sind für Anfänger. "The Magic" bietet ein Mixtape durch die diversen Musikstile, zusammengehalten durch den narbigen Groove, die rauborstige Energie und Matsuzakis Präsenz und Gesang.
Ohne Vorbereitung schrieben und spielten Deerhoof ihr 13. Album innerhalb von nur sieben Tagen ein. Ohne einen vorgegebenen Leitfaden blieb ihnen ein leeres Blatt Papier, das ihnen die Möglichkeit gab, ihre Kreativität in sämtliche Richtungen ausbrechen zu lassen.
Wild mit den Armen fuchtelnd wirbelt "The Devil and His Anarchic Surrealist Retinue" von einer Wendung zur Nächsten. Matsuzakis funkelnd heller Gesang dient als Kontrapunkt zu dröhenden Saiten und krachendem Schlagzeug. Zu dem grantigen Rock-Riff in "Kafe Mania!" skandiert sie diverse Espressospielereien: "Cappuccino! Macchiato! Affogato! Cortado!". Setzen sie hier bitte eine lustige Songbeschreibung mit Koffeinbezug ein.
In "Model Behavior" tritt der auf "The Magic" harte und allgegenwärtige Groove am deutlichsten ans Tageslicht. Deerhoof umwickeln knorrigen James Brown-Funk mit den Synthesizer-Eskapaden aus dem verschrobenen Dream-Pop "Criminals Of The Dream" und irgendetwas seltsamen, das wie ein auf "Missle Command" gespieltes Atari 2600-Solo klingt. Ink Spots' von 1941 stammendes "I Don't Want To Set The World On Fire" verwandeln sie in eine geisterhafte Ballade. Die Trackskizze "Patrasche Come Back" ist zwar verzichtbar, dafür aber wenigstens kurz.
Im herausfordernden Genrehopping gehen Deerhoof ganz auf. Dabei kommt dem Überraschungsmoment stets eine höhere Bedeutung als dem Songwriting zu. Der übersprudelnde Spaß und die ausufernde Leidenschaft geht dadurch jedoch auf die Kosten der Langlebigkeit. Zu schnell zeigt das Album erste Abnutzungsspuren.
2 Kommentare
Hab ich ungehört mitgekauft, aber zuerst brauche ich Zeit für die Braut...
Bin auch erst spät (Deerhoof vs. Evil) eingestiegen, seither aber regelmäßig beglückt worden von dieser Band. Hab mir in den letzten Jahren alle paar Monate vorm Plattenladenbesuch auch ältere Werke von ihnen bestellt. Fanboybrille: fliederfarben.
Wurde mir von einem Mitmusiker empfohlen, und Mann, der Shit geht gut ab...