laut.de-Kritik
Mit einem Hauch Bitternis auf den Spuren großer Liedermacher.
Review von Ulf KubankeInteressante Popmusik aus unseren Breiten muss man seit Generationen mit der Lupe suchen, erst recht deutschsprachige Produktionen. Zwischen leblosen Kalenderweisheiten, Humpe-Übersättigung oder mumifiziertem Teletubbie-Eso-Pop bietet das laufende Jahr wenig Schönes. Doch es gibt sie noch: junge Künstler, die weder den bequemen Epigonenzug nehmen noch mit Genres nerven, die sie gar nicht beherrschen. Vorhang auf für: Der Polar.
Hinter dem monolithisch gewählten Künstlernamen verbirgt sich der 24-jährige Aachener Stefan Piez. Sein Debüt klingt trotz des eisigen Namens weder unterkühlt noch distanziert. Gefühl, nichts anderes zählt hier. Auf einem Dutzend Songs - plus ein paar Soundgimmicks in den Übergängen - feiert der Songwriter aus dem Dreiländereck die Emotion in allen Farben und Facetten.
Wem das zu sehr nach Minnesänger klingt, darf indes beruhigt sein. Schwulst und Kitsch sind dem Polar fremd. Im Gegenteil: Ohne den notwendigen Hauch Bitternis kommt man nicht in den Genuss der harmloseren Stellen. Hie und da ein wenig Verlust, um die Songs weise auszupendeln. Kein wohliges Wegdämmern. Clever gemacht.
Besonders zeichnen diesen Erstling dabei die ungekünstelte, schonungslose Authentizität in den Lyrics und seine musikalische Eigenständigkeit aus. Letztere zeigt sich vor allem im Umgang mit den selbst eingespielten Pianoparts und im souveränen Gesang. Beide ergänzen einander. Ohnehin steht die gelegentlich aufblitzende 'Mann am Klavier'-Attitüde der Platte gut zu Gesicht.
Piez lässt in den rhythmischeren Momenten seinen Gesang von Bossa bis Funk lässig von der Leine, ohne dass er zu oberflächlich oder gar lachhaft für die transportierten Zeilen geriete. Deutsche Silben in smart phrasiertem Anglo-Groove? Das beherrscht er schon jetzt zehnmal überzeugender als manch etablierter Blender. "Ping Pong" zählt zu diesen bunten Liedern. Germany goes Brazil. Tom Jobim hätte den Track sicherlich nicht von der Bettkante geworfen.
Der "Egoshooter" holt den Hörer hernach aus der sanften Traumwelt. Piez entlarvt als wissend trauernder Beobachter all Mammon- und Kick-fixierte Egomanie der Gegenwart als destruktiven Highway zur eigenen Drogenhölle. "Du bist so kalt. Junge, du wirst nicht alt."
Noch intensiver gelingt "Der Fährmann". Wie sich der Polar als griechischer Totenbegleiter Charon in eine junge, attraktive Leiche verliebt und mit dem eigenen Job hadert, macht den Song zur tragischkomischen Perle. "Lass uns um die Häuser ziehen. Bis sich der eine oder andere im einen oder anderen verliert. Wir sind verloren!" Ein herausragendes Lied, mit dem Piez die Tür großen deutschen Liedermachern wie Heinz Ratz oder Rio zumindest einen Spalt aufstößt. Allein schon, wie der Eisige hier das Wort 'Babe' einsetzt, ohne es tumb zu deplatzieren, ist aller Ehren wert. Das können nicht viele.
Warum also nur drei Punkte? Gern gebe ich zu: Im Vergleich zu vielen Kollegen verdient Der Polar mit seinem herzblutigen Erstling sicherlich vier oder fünf. Geschenkt! Doch Piez ist als Songwriter so stark, dass man ihn nach den selbst erwählten Maßstäben beurteilen muss. Gemessen an den wirklichen Giganten der Musik befindet sich der sympathische Liedermacher mitunter noch auf der Suche nach sich selbst.
Die gemeinsame Produktion des Polar mit Kumpel Stani Djukanovic (u.a. Blümchen) hat noch ab und an ihre Aussetzer. Die Elektro-Schnipsel wirken zwar stets einigermaßen trendy, doch oft bemüht - weil für den jeweiligen Song nicht notwendig - und effekthaschend.
Im Ergebnis raubt ein merkwürdig unkreatives Allerweltsgedengel wie in "Selbstgespräche" dem Lied mehr Aura, als es geben könnte. Wie wenig es stilistisch taugt, wenn die grellen Klamotten den zeitlosen Inhalt des Songs überdecken, zeigt uns derzeit Owl City. Bitte nicht nachmachen! Piez' Songs bräuchten kaum mehr als Stimme und ein paar wenige echte Instrumente, keine Ablenkung vom Wesentlichen.
Diesen Kritikpunkt treffen auch noch manche Textzeilen, die den Polar verführen, von seinem lakonischen Weg abzukommen, um ins weniger pointierte Fahrwasser zu gelangen. Noch ein paar Füllphrasen weniger und er darf sich mit den ganz großen à la Reiser oder Regener messen, ohne inhaltlich vergleichbar zu sein. Bis dahin gilt für alle Nichtautisten: unbedingt anchecken.
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