laut.de-Kritik

Synthie-Punk-Protest in Strahlenanzügen.

Review von

Sommer 1977: Die britische Punkrock-Bewegung ist in vollem Gange und Amerika schaut zu. The Clash, Buzzcocks, The Damned und natürlich The Sex Pistols spielen umjubelte Konzerte und brechen verkrustete Hippie-Rockstrukturen auf. Zeitgleich geben Devo ein Konzert in New York und werden vom Publikum gefeiert. Sie benutzen Synthesizer, klingen dabei aber überhaupt nicht wie diese andere Synthesizer-Band Kraftwerk. Ihre wilden Soundscapes mischen sie mit zackigen, vorpreschenden Gitarren und einem einheitlichen Bühnen-Outfit: Vorwiegend Strahlenanzüge und Plastikhelme. Vor dem Zugabenteil betritt David Bowie die Bühne und verkündet: "Das ist die Band der Zukunft. Ich werde ihr Debütalbum im Winter in Tokio produzieren."

Mächtige Vorschusslorbeeren für eine Band, die zuvor zwei Jahre lang ausschließlich Konzerte in einem verschlafenen Nest, der trostlosen Reifenstadt Akron in Ohio, und dem nahegelegenen Cleveland absolviert. Vor einem Publikum, das Gitarrenrock mit langen Soli verlangt. Manchmal zahlt sich Verbissenheit eben aus. Neben der Musik tüfteln die Devo-Gründer und Ex-Kunststudenten Gerald Casale und Mark Mothersbaugh am Gesamtkonzept "De-Evolution", von dem sich auch der Bandname ableitet.

Devo soll mehr sein als nur eine Band, die Musik spielt. So brüten sie über diversen Kulturtheorien und formulieren eine eigene Lehre, die den Verfall der Zivilisation, die korrupte Politikerkaste, die Lobpreisungen des Kapitalismus und dumpfen 70er Rock geißelt. Dazu drehen sie den zehnminütigen Film "The Truth About De-Evolution", der die Freak-Ästhetik der Gruppe einführt und sie als schräges, dadaistisches Kunstkollektiv vorstellt. Der Film wird vor jedem Konzert abgespielt.

Als Bowie sich für Devo zu begeistern beginnt, hat sich die Kunde der verrückten Liveshows längst herumgesprochen. Frank Zappa, Jack Nicholson, Robert Fripp, Iggy Pop und Brian Eno lassen sich auf die Gästelisten ihrer Shows setzen. Letzterer spannt Bowie dann auch den Produzentenjob aus, denn der Superstar muss in Berlin "Just A Gigolo" mit Marlene Dietrich drehen. Eno schlägt der Band vor, in Deutschland aufzunehmen. Dort gäbe es ein Studio mitten in der Natur, Besitzer wäre der Krautrock-Prouzent Conny Plank. Zu jener Zeit haben Devo noch immer kein Label, nicht mal einen Manager, so dass Eno ihnen erst die Flugkosten anbieten muss, bevor die Band zusagen kann.

Mark Mothersbaugh erinnert sich: "Wir schliefen damals im Auto, von daher klang Enos Idee sehr gut. Es war eine tolle Zeit. An den Wänden hingen Albumcover von Bands herum, von denen ich noch nie gehört habe: Guru Guru, Mother's Milk und andere deutsche Progbands. Hier Kraftwerk, da Roedelius und dann kamen die Typen irgendwann persönlich vorbei und unterhielten sich mit uns. Holger Czukay jammte sogar stundenlang mit uns. Eno war sehr wichtig, er hat tolle Ideen eingebracht, aber wir haben viel abgelehnt. Rückblickend war das sicher ein Fehler. Aber wir dachten damals eben, wir wüssten total Bescheid." An den Wochenenden kam Bowie vorbei, der allerdings nichts zur Platte beisteuerte, sondern eher Eno ablenkte.

Tatsächlich erinnern einige abstrakte Synthie-Passagen auf "Q: Are We Not Men? A: We Are Devo!" an das erste Roxy Music-Album, das Enos Stempel trägt. Nachhilfe in abgedrehtem Songwriting hatten Devo jedoch nicht nötig: "Jocko Homo" verzichtet auf einen durchgängigen Beat und führt auf immer gleichen drei Akkorden das Frage-Antwort-Spiel "Are We Not Men? - We Are Devo" ein, das den Song schnell zum Erkennungssong der Gruppe macht.

Das Album startet mit "Uncontrollable Urge" angemessen panisch: "Got an urge got a surge and it's out of control", jault Sänger Mothersbaugh in seiner extrem hohen Tonlage, die Synthies halten sich noch zurück, so dass der Sound recht punkig rüberkommt. Schon hier beeindruckt das präzise Zusammenspiel der Rhythmusfraktion um Drummer Alan Myers und Bassist Gerald Casale. Der Song, mit dem die Band überregional bekannt wird, ist ausgerechnet ein Cover von "(I Can't Get No) Satisfaction". Nicht weniger unterkühlt als der Opener gelingt Devo hier wohl eine der absurdesten Coverversionen der jüngeren Popgeschichte. Keith Richards' prägendes Riff wird einfach aussortiert, stattdessen kreiert Gitarrist Bob Casale zusammen mit Bassbruder Gerald einen steifen Krautrock-Groove, auf dem Mothersbough den bekannten Text roboterhaft runterspult.

Um ein Haar hätte dieses Cover das Licht der Welt gar nicht erblickt, denn wie sich Gerald Casale erinnert, mussten sie aufgrund der massiven Veränderung der musikalischen Vorlage die Genehmigung des Musikverlags einholen und im Falle der Stones erwies sich die Freigabe als äußerst hinderlich: "Die sagten: Ihr habt den Song neu interpretiert, also wollen wir das vorher hören. Und dann trafen wir Mick Jagger in New York. Er war höflich, aber sehr distanziert. Wir legten das Tape ein und er setzte sich mit einem Glas Wein in der Hand. Während des Songs bewegte er sich nicht und hat uns nicht angeschaut. An seinen Gesichtszügen konnte man absolut nichts ablesen. Wir dachten: Das ist gegessen. Dann steht er plötzlich auf, stellt sein Weinglas auf den Kaminsims, hüpft durchs Zimmer wie Mick Jagger und ruft 'I like it! I like it!'. Es war ein Augenblick, den ich nie vergessen werde."

Devos erste Single 1977 war ein Lied über einen Mongoloiden, "who has one chromosome too many", doch weil er einen Hut trägt, einen Job hat und den Schinken nach Hause bringt, fällt es niemandem auf. Der Song besitzt den wohl markantesten Basslauf aller Devo-Songs und ist ein weiterer Klassiker. Ebenso wie "Gut Feeling / Slap Your Mammy", das über zwei Minuten lang Fahrt aufnimmt, bevor Mothersbaugh wieder hysterisch und supertight nach vorne geht, später setzen noch Feedbackorgien ein und Devo knüppeln sich 50 Sekunden lang aus der Nummer raus.

Das Chuck Berry-Cover "Come Back Jonee" lässt in seiner elektronischen Ausrichtung schon in die Zukunft blicken, denn auf den kommenden drei Alben bis 1981 spielen die Gitarren eine immer untergeordnetere Rolle. Mit dem Video zu "Whip It" gelingt ihnen 1980 noch einmal ein großer Coup, in dem sie den Wahlsieg Ronald Reagans als Vorlage für einen surrealen Clip nutzen, in dem Mothersbough eine Frau auspeitscht und Cowboys, also 'echte Amerikaner', ihn dabei anfeuern. Der Clip wurde ein MTV-Hit.

Der Science Fiction-Punk von "Q: Are We Not Men? A: We Are Devo!" bleibt jedoch Devos Vermächtnis. Ähnlich wie Wire oder The B-52s erreichen sie gleich auf ihrem Debütalbum mit primitivsten Mitteln die größte Wirkung. 2009 spielen sie das Album auf dem Londoner "All Tomorrow's Parties"-Festival in voller Länge.

Im selben Jahr treten Pearl Jam zu Halloween komplett in Devo-Uniformen auf. Gitarrist Stone Gossard preist die Errungenschaften der Band: "Man würde vielleicht nicht annehmen, dass wir auf Devo stehen, aber sie haben jeden von uns beeinflusst. Aus meiner Sicht haben sie einen sicheren Platz in der Geschichte der Popmusik. Devo haben Schranken des Rock'n'Roll niedergerissen, und aufgezeigt, wie man im Rahmen von Rockmusik Konventionen überwinden kann."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Uncontrollable Urge
  2. 2. (I Can't Get No) Satisfaction
  3. 3. Praying Hands
  4. 4. Space Junk
  5. 5. Mongoloid
  6. 6. Jocko Homo
  7. 7. Too Much Paranoias
  8. 8. Gut Feeling / Slap Your Mammy
  9. 9. Come Back Jonee
  10. 10. Sloppy (I Saw My Baby Gettin')
  11. 11. Shrivel-Up

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LAUT.DE-PORTRÄT Devo

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9 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Historisch sicherlich bedeutsam und einer Meilenstein-Review würdig, aber ich konnte damit noch nie etwas anfangen - Devo stehen für mich für all das, was ich an New Wave furchtbar finde.

    • Vor 10 Jahren

      Derr Schuh zeigt doch nur auf wo ihm der Schuh drückt. Kannte die vorher garnicht und freue mich über den Meilenstein. Du hast wie immer keine Ahnung von Musik, Santiago. Und natürlich war das als Provokation gemeint oder wie war das mit den Schweinen und ihrem Gang? :D

    • Vor 10 Jahren

      Das erkenne ich sogar an; wahrscheinlich hat mein Geschmack an diesem Punkt wirklich einen Mangel, aber ich kann ja nicht ändern, dass ich Devo einfach nur nervig finde.

    • Vor 10 Jahren

      Nö aber du könntest deine Haltung zu New Wave mal überarbeiten? Weil er ist es wert und war mit eine der wichtigsten Neuentwicklungen, die es im Musikgeschäft gab. Sonst steigst du auch eher mit Hintergrund ein in Threads.

    • Vor 10 Jahren

      Es ist ja nicht so, als würde ich mich mit New Wave gar nicht auskennen, "The Cars" (von The Cars) z.B. ist ein klasse Album und auch die Arbeit von Elvis Costello in dem Bereich ist großartig. Ich finde nur speziell Devo grauenhaft (und auch solche Bands wie The B-52's oder Blondie völlig überbewertet).

    • Vor 10 Jahren

      Manchmal habe ich das Gefühl, die meisten New Wave Bands hatten nur einen Song und daraus sollte dann eine Karriere werden. Das funktioniert natürlich dann nicht.

    • Vor 10 Jahren

      New Wave ist nicht wegen einiger One Hit Wonder gestorben. Da haben andere Genre min. genauso viele produziert. Glaube die Aufsplitterung in zu viele Subgenre ist schuld. Dem Metal drohte ähnliches einige Zeit.

  • Vor 10 Jahren

    Und ich dachte, den Meilenstein hätten se schon längst bekommen...
    Ich halte es wie Santiago. Kann ich mir nicht geben, hat aber natürlich seine Berechtigung.

  • Vor 10 Jahren

    Gefällt mir nicht und nachvollziehen kann ich den Hype auch nicht. Da die Songs möchtegern Noise Wave repräsentieren und nicht gut komponiert sind. max 2/5