laut.de-Kritik
Runter vom Index, rein in die Anlage.
Review von Michael SchuhJetzt mal schön aufpassen, liebe Kinder, der Onkel hat was zu erzählen. Es betrug sich zu einer Zeit, als Rodrigo Gonzalez gerade einmal 16 Jahre alt war, 1984 nämlich, da erschien das erste Album einer Berliner Newcomerband namens Die Ärzte, eingespielt in sagenhaften acht Tagen: "Debil". Drei Jahre lang konnte man es auf Vinyl und Muskkassette käuflich erwerben, danach wurde es verboten, aber dazu später mehr.
Statt Rod bediente seinerzeit ein knuffiger BWLer namens Sahnie den Bass und nicht lange nach Erscheinen des Albums wurde die Band von den Mädchen verehrt und von den Jungs aus nahe liegenden Gründen beneidet. Als ich in das Alter kam, in dem man sich brav mit Signierstift an den Hinterausgang von Konzertorten stellte, erwischte auch ich einmal die frisch reformierten Ärzte, eine "Paul"-Single mitführend.
Drummer Bela ließ sich sogleich zu einem kleinen Vortrag über die geringe Anzahl jener "Debil"-Single inspirieren, und plötzlich hatte auch Neu-Basser Rod darauf unterschrieben, was so zwar nicht vorgesehen war, aber egal. Die Aufregung. Jedenfalls übermalte der Sahnie-Nachfolger das "b" des "Debil"-Schriftzuges auf dem rückseitig abgedruckten Albumcover mit einem "v". "Devil" statt "Debil": Sicher hätte damals keiner der drei Herren damit gerechnet, dass der kleine Signiergag jemals Realität werden bzw. "Debil" je wieder in den Handel zurück kehren könnte. Seit dem 30. November 2004 ist dies nun ausdrücklich erlaubt.
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (seinerzeit: Schriften) erkannte an jenem Tag des vergangenen Jahres offiziell die "satirische Form" der Lieder "Claudia Hat 'nen Schäferhund" und "Schlaflied" an, die von "heutigen Jugendlichen aufgrund deren Medienerfahrung ohne Schwierigkeit als Fiktion" eingeordnet würden. "Verrohungseffekte" seien im Gegensatz zu 1987 auch nicht mehr zu vermuten. Klar, darum kümmern sich heute schließlich die Bösewichter von Aggro Berlin unter Verwendung von Songtiteln wie "Fick Rap" und "Nutte Bounce" mit einigem Erfolg.
Die beinahe zu Tränen rührende Begründung der Kontrollinstanz mal beiseite gelassen, gehört "Debil", pardon, "Devil" samt seiner ganzen Hits ("Zu Spät", "Paul", "Mädchen", "Mr. Sexpistols" und die anderen neun) sicher in jeden deutschen Pop-Plattenschrank. Denn: Ohne "Debil" kein bestes deutschsprachiges Album des Jahres 1984, ohne "Debil" kein größter Ärzte-Hit ever, ohne "Debil" keine offizielle Ärzte-Homepage namens bademeister.com.
In einer Zeit aber, wo das deutsche Fernsehprogramm noch nicht mit unsäglichem Comedy-Müll verpestet und "Die Supernasen" als Speerspitze deutschen Humors erachtet wurden, musste die ungezwungene Dreistigkeit und der jungfräuliche Witz eines Albumdebüts der Marke "Debil" zwangsläufig aufhorchen lassen. Im Musikbereich sah es ja nicht besser aus: Nino de Angelo fabulierte über einen Ort "jenseits von Eden", Nenas Rocksound klang damals schon "irgendwie, irgendwo, irgendwann" jenseitig und Klaus Lage röchelte weiter eisern nach "1000 und 1 Nacht".
Unter all diese handzahmen Wolkenschieber mischten sich plötzlich drei Anfangszwanziger, die so gar nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit an das Kulturgut Popmusik heran traten und Liedtexte verfassten, in denen sowohl Schwimmaufseher und Supermarkt-Kassiererinnen, als auch Cowboys und Monster zu Helden mutieren. Ein Sammelsurium an Themen, das natürlich nicht frei von Ironie-Schüben kommunizierbar war. Oder doch? Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften stellte sich dem Teenagerspaß 1987 schließlich entschieden in den Weg, mit der Begründung, die Inhalte der Songs "Claudia Hat 'nen Schäferhund" und "Schlaflied" führten bei Jugendlichen zu "sozialethischer Desorientierung".
Genauer: In "Claudia" würde "der Gesamteindruck" vermittelt, "geschlechtliche Kontakte mit einem Schäferhund überträfen bei weitem heterosexuelle Befriedigung". Das "Schlaflied" wiederum werde "dominiert von den oralen, reißenden und destruktiven Kräften eines Monsters und entlässt den Zuschauer im Zustand angespannter, latenter Aggressivität." Wie Journalist Ingo Neumayer in seiner erfrischenden Booklet-Eloge treffend feststellt, wurde in den 80ern überraschenderweise kein Skandal bekannt, wonach "Ärzte-Fans lüstern ihre Haustiere besprangen oder zu nachtaktiven Eingeweide-Gourmets" mutierten.
Nun soll es ja bis heute Menschen geben, denen "Debil" auf Plattenbörsen bislang immer zu teuer war, und all jene sind mit "Devil" sicher bestens bedient. Und die heutigen Ärzte wären nicht sie selbst, würden sie dem Re-Release nicht noch ein paar Gimmicks aufhalsen. So bekommt der eher ungeliebte Ex-Bassist einen Cover-Heiligenschein und die Tracklist ein Update verpasst. Dass manch unveröffentlichter Song sein Schicksal nicht ohne Grund erlitt, beweist allerdings die bisherige Bootleg-Nummer "Füße Vom Tisch" nachdrücklich, und auch die "Richy Guitar"-Versionen von "Grace Kelly" oder "Teenager Liebe" liefern keinen nennenswerten Mehrwert.
Da wären "Erna P." oder Frühwerk-Phantome wie "Jack, Der Schlitzer" und "Eva Braun" vielleicht spannender gewesen, wobei, vielleicht auch nicht (siehe "Füße Vom Tisch"). Etwas mehr Mühe machten sich Die Ärzte mit der visuellen Aufbereitung eines Liveauftritts von 1983, der nun den Song "Mein Teddy" auf PC-Monitore zaubert. Im Endeffekt sind das aber alles nur schnöde Ablenkungen vom Thema, von der raubeinig wie zärtlichen Teenager-Offensive dreier Jung-Berliner in Form von dreizehn Songs, deren Weg zum Klassikerstatus weder Vorwürfe der Frauenfeindlichkeit ("Paul"), noch staatliche Gremien verstellen konnten. Damit euch die Kassiererin nicht mit dem Wechselgeld bescheißt, sei euch der Online-Kauf des Albums im Lautshop empfohlen.
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