laut.de-Kritik

Regenwetter-Grunge gegen unsere hektische Zeit.

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Der Witz ist natürlich, dass Die Heiterkeit eigentlich ganz anders heißen müssten. Die Gelassenheit zum Beispiel oder Die Abgeklärtheit. Denn wie heiter der Inhalt ihrer Songs mitunter auch sein mag, die Musik bleibt stets extrem zurückhaltend und maximal unaufgeregt.

Das kann man mustergültig gleich im ersten Song "Alles Ist So Neu Und Aufregend" hören. Der Text an sich ist eine Hymne an ein ganz neu erlebtes Leben: "Alles ist so neu und aufregend / Blumen pflücken am Kanal / Alles ist so neu und aufregend / Bier trinken in der Bar." Ob frisch verliebt oder frisch getrennt (oder irgendwas anderes frisches): Hier werden neue Freiheiten genossen.

Der Song allerdings droht schon während der ersten paar Takte fast zu verrecken und nimmt auch danach nur unmerklich an Fahrt auf. Die Gitarren schrammeln beinahe lustlos vor sich hin, das Schlagzeug bleibt ohne viel Firlefanz, selbst der kurze Verzerrer-Ausbruch kommt gedämpft daher. Der Gesang schließlich könnte emotionsloser nicht sein. Anders als man jetzt vielleicht vermuten könnte, ergibt dieser Kontrast aber ein großartiges Lied.

Dieses und zwei weitere Lieder – "Alle Menschen" und "Die Liebe Eines Volkes" – gab es schon vor knapp zwei Jahren auf einer schlicht "Die Heiterkeit" betitelten EP zu hören, dem ersten Lebenszeichen der Band. Stella Sommer (Gesang, Gitarre), Rabea Erradi (Bass) und Stefanie Hochmuth (Schlagzeug) waren darauf ganz in schwarz, aber mit Kronleuchter und Champagner vor einem verblühten Rhododendron zu sehen. Auch das ein schöner Kontrast. Die drei jungen Frauen hatten sich vor ein paar Jahren in Hamburg kennen gelernt und kamen nun beim Berliner Staatsakt-Sublabel Nein, Gelassenheit unter, das von Ja, Panik betrieben wird.

Musikalisch ändert sich nach dem ersten Lied nicht mehr viel. Die Songs bleiben im Midtempo, entspanntes Gitarrengeschrammel begleitet den zurückhaltenden, manchmal zarten Gesang Sommers. Das eine Mal trifft so Größenwahn auf Understatement, wie im nonchalanten "Baby, Wein' Mir Keine Träne Nach" oder im tröstenden "Komm In Meine Arme". Das andere Mal speißt die Ahnung von einer Unausweichlichkeit der Zukunft eine eigentümliche Ruhe, wie in "Für Den Nächstbesten Dandy" oder in "Alle Wege".

Wer der Band angesichts der simplen Arrangements und der Gleichförmigkeit des Albums aber Unvermögen und Monotonie vorwirft, irrt. Denn es geht der Heiterkeit weder um Virtuosität, noch um Abwechslungsreichtum. Es geht ihnen um Lässigkeit und Entschleunigung. Und das bringt die Platte eindeutig rüber.

Der Regenwetter-Schrammel-Grunge der Band klingt außerdem genuin nach Hamburg. Das erinnert mal an die frühen Tocotronic, mal an Kolossale Jugend. Aber natürlich auch an amerikanische Slacker-Bands wie Pavement oder Sebadoh. Wäre da noch der Titel, der Neil Youngs "Heart Of Gold" zitiert. Und tatsächlich versprühen Die Heiterkeit eine ähnlich melancholische und sehnsüchtige Stimmung wie die Songs des Godfathers of Grunge. Das alles aber auf ganz andere Weise.

Denn Die Heiterkeit sind gewissermaßen der Gegenentwurf zu den unzähligen aufrührerischen, jugendlich-ungestümen Jungsbands. Ob die nun (früher) Tocotronic und Kolossale Jugend oder (heute) 1000 Robota und Madsen heißen. Egal ob Revolte oder seelischer Schmerz: Jungs scheinen immer schreien zu müssen, mit Haut und Haar und mit der Gitarre.

Stand für Nirvana einst ein zugedröhnter, lächelnder Smiley, ist es bei Die Heiterkeit einer mit Strichmund und ausdruckslosen Augen. Lediglich Tilman Rossmy fällt einem ein, der vor einer halben Ewigkeit mit seiner Regierung auf "Unten" ähnlich abgeklärt von allerlei Liebesgeschichten sang. Und natürlich die Lassie Singers, denn so himmelhochjauchzend deren Lieder oft auch waren, sie hatten ihre lethargischen Momente, etwa wenn sie von ihrem "Zukünftigen Ex-Freund" sangen.

Mit ihrem Hamburger Schule-Sound scheint Die Heiterkeit ziemlich aus der Zeit zu fallen. Und obwohl ihre Herangehensweise so zeitgemäß wie neuartig ist, bleibt zu befürchten, dass sie mit ihrem Sound mindestens zehn Jahre zu spät kommen. Zu wünschen ist ihnen das allerdings keinesfalls. Denn in der Unaufgeregtheit und Gleichgültigkeit dieser drei Frauen liegt die zutiefst menschliche Antwort auf unsere hysterische und hektische Zeit.

Trackliste

  1. 1. Alles Ist So Neu Und Aufregend
  2. 2. Hauptquartier
  3. 3. Heiterkeit
  4. 4. Für Den Nächstbesten Dandy
  5. 5. Alle Wege
  6. 6. Baby, Wein' Mir Keine Träne Nach
  7. 7. Komm In Meine Arme
  8. 8. Die Liebe Eines Volkes
  9. 9. Süß, Wie Man Es Sein Kann
  10. 10. Alle Menschen
  11. 11. Solange Es Euch Gut Geht
  12. 12. Auf Dem Gipfel Des Erfolges

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7 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    aber irgendwie kommt die platte gut an. typisch feuilletonisten - prätentiöser blödsinn zieht bei denen natürlich...

  • Vor 12 Jahren

    Zitat "Wer der Band angesichts der simplen Arrangements und der Gleichförmigkeit des Albums aber Unvermögen und Monotonie vorwirft, irrt."
    Ach so, na dann - ich hab halt keine Ahnung. Ich find's einfach nur Scheiße, auf den Punkt gebracht: ein Schlag in die Fresse eines jeden Musikschaffenden. Dass so eine Band im Gegensatz zu vielen anderen großartigen Künstlern, derart Beachtung findet ist schon Strafe genug. Diese Rezi und 4 Sterne sind dann noch der Schlag in den leblosen Körper, nach dem Motto: selber Schuld wenn Du Depp Dich um Arrangements oder gar darum kümmerst Dein Instrument zu beherrschen.